In unserem Blog Beitrag vom 26. September war von PR in der nuklearen Aufsicht die Rede. Hier möchten wir nochmals auf die konkreten Schwierigkeiten des ENSI und des ENSI-Rates im Umgang mit Information, Trasparenz, Wahrheit und der Öffentlichkeit eingehen. Dahinter steht nicht nur die Frage der Vertrauenswürdigkeit der nuklearen Aufsichtsbehörde, sondern auch jene der nuklearen Sicherheit an sich. „19 Prozent der Bevölkerung beurteilen die Schweizer Kernkraftwerke als nicht sicher“, steht auf dem Internet Site des ENSI.
Nukleare Sicherheit: Was ist messbar, was ist virtuell?
Nukleare Sicherheit ist nur dann eine nachweisbare, quantifizierbare Grösse, wenn vom direkten Einfluss einer störungsfrei funktionierenden Kernanlage auf Mensch und Umwelt die Rede ist. In diesem Zustand gibt die Anlage messbare Strahlung und messbare Mengen radioaktiver Substanzen an die Umwelt ab. Diese Abgaben müssen innerhalb der durch Gesetze, Verordnungen und Direktiven erlaubten Grenzen liegen[1]. Die Messdaten aus der Luftüberwachung sind in der Schweiz on-line abrufbar[2].
In andern Bereichen ist nukleare Sicherheit nur teilweise mit messbaren und gesicherten Methoden vorhersehbar. Ihre Einschätzung durch die Werke selbst und durch die Sicherheitsbehörden hängt weitgehend von Konzepten, Modellen und menschlichem Ermessen (Expertenurteil) ab. Dies betrifft namentlich folgende Bereiche:
- Störfälle und Unfälle in Kernanlagen: Einschätzung des Risikos für das Eintreten von Unfällen in Kernanlagen mit massiver Freisetzung von radioaktiven Stoffen und entsprechender Verstrahlung. Die Abwehr solcher Unfälle basiert auf dem sogenannten Konzept der „Defense in depth“, einer Strategie des Schutzes durch mehrere einander überlagerte Sicherheitsbarrieren:
- Auslegung: Robustes Konzept und Auslegung der Anlage in Funktion des Standortes (etwa bzgl. Erdbeben, Hochwasser udgl.).
- Regulierung: Strenge Regulierung (v.a. Gesetzgebung, Betriebsreglemente, etc.) bzgl. Auslegung, Bau, Betrieb und Sicherheitskultur.
- Periodische Sicherheitsprüfung durch das Werk und durch die Sicherheitsbehörden.
- Aufsicht, incl. Inspektionen durch die Sicherheitsbehörden.
Tritt trotz dieser Massnahmen ein Unfall ein, so kommt das sogenannte Notfallkonzept zur Bewältigung der Störfälle, d.h. zur Milderung der Schäden durch radioaktive Strahlung und zur Isolation der Quelle zum Einsatz.
- Radioaktive Abfälle: Bei Normalbetrieb und im Störfall produziert eine Nuklearanlage radioaktive Abfälle. Diese werden nach offizieller Sprachregelung im Rahmen des Entsorgungsprogramms beseitigt. Diese Entsorgungsanlagen existieren aber (noch?) nicht. Die Entwicklung der Entsorgungsanlagen in der Schweiz und im Ausland ist bekanntlich eine tragische Geschichte von Misserfolgen, aus der Kontrolle gelaufenen Programmen und stetig steigenden Kosten.[3]
Die Modelle welche zur Beurteilung der Sicherheit der Kernanlagen dienen, beruhen auf Daten aus der Anlage selbst und teilweise aus Erfahrungswerten aus andern Anlagen, sowie aus Expertenurteil. Am beurteilten Werk selbst können die Resultate nicht getestet (validiert) werden. Erst wenn die Anlage (oder ein wichtiger Teil der Anlage) versagt, also bei einem Stör- oder Unfall weiss man, dass ein Grenzwert überschritten wurde, oder dass eine Abfolge von Ereignissen zu einer Überschreitung geführt hat. Die Beurteilung bleibt in diesem Bereich also weitgehend virtuell[4].
Gemäss Kernenergiegesetz (KEG 2003) kann/muss die Sicherheitsbehörde in der Schweiz ein Kernkraftwerk abstellen, wenn sie die Sicherheit als ungenügend beurteilt. Wie oben dargestellt, ist diese Beurteilung stark von den dahinter stehenden Experten und ihrem Urteil abhängig.
Kompetente, ehrliche, transparente und vollständige Information
Von einem eventuellen Unfall in einem Kernkraftwerk sind Mensch und Umwelt in einem weiten Umfeld um die Anlage betroffen. Die Bevölkerung hat daher Anrecht auf eine kompetente, ehrliche, transparente und vollständige Information zum Sicherheitszustand der Kernanlagen. Diese Information ist (neben der Information durch das Kernkraftwerk selbst), Aufgabe der Sicherheitsbehörde ENSI und der verschiedenen Fachkommissionen die sich mit nuklearer Sicherheit beschäftigen, wie etwa die Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) und die Eidgenössische Kommission für Strahlenschutz (KSR). Die Wahrnehmung der Sicherheit durch die Bevölkerung spiegelt sich in ihrer Wahrnehmung und Beurteilung nieder, was die Kompetenz, Ehrlichkeit und Transparenz der Sicherheitsbehörden angeht. Um an nukleare Sicherheit glauben zu können, müssen die zuständigen Behörden diese Tugenden erfüllen.
Behördenurteil und Sicherheit
Die Beurteilung durch die Behörden wirkt sich wiederum auf die Sicherheit der Werke aus: Mitarbeiter der Werke sind motivierter und geniessen in der Bevölkerung grössere Anerkennung, wenn ihr Werk gute Noten erhält. Diese Motivation wirkt sich auf ihre Arbeit in den Werken und auf die Sicherheit selbst aus.
Aus diesen Zusammenhängen wird ersichtlich, wie wichtig die Rolle der Sicherheitsbehörden in der Frage der nuklearen Sicherheit ist. Es wird auch ersichtlich, wie wichtig die Frage der Information und der Kommunikation der Information durch diese Behörden für die Sicherheit sein kann. Gefährlich wird die Situation, wenn die oben genannten Tugenden (Kompetenz, Ehrlichkeit, Transparenz und Bereitschaft zur umfassenden Information) in Frage gestellt werden.
Das ENSI im Feuer der Kritik
Das ENSI als Aufsichtsbehörde kommuniziert heute in erster Linie über Internet, sodann über seine Jahresberichte, Pressemitteilungen und Medienkonferenzen. Hierzu hat die Sicherheitsagentur im Jahr 2011 zwei PR-Spezialisten angeheuert[5]. Information und Kommunikation der Sicherheitsagentur haben sich in den vergangenen Jahren deutlich ausgeweitet. Und doch steht das ENSI oft im Feuer der Kritik. Dabei werden etwa folgende Kritikpunkte aufgebracht[6]:
- Einseitigkeit: Präferenz werde den Betreibern gewährt, die Öffentlichkeit stiefmütterlich behandelt.
- Filz: Interne Absprachen zwischen Behörden und Akteuren in der Nuklearindustrie (siehe dazu unsere Beiträge vom 23. und 29. September 2016).
- Parteiisches Verhalten: Findet das ENSI in einem Kernkraftwerk eine Schwachstelle, so gewährt es dem Werk eine (oft lange) Frist zur Behebung des Fehlers. In dieser Zeit lastet das Risiko eines Störfalls auf der Bevölkerung.
- Unkritisches Verhalten, Inkompetenz? : Etwa im Bereich der nuklearen Entsorgung, reagiert das ENSI auf Lücken in Nagra Fachberichten erst auf Einspruch der Kantone oder anderweitig formulierter externer Kritik.
- Unvollständige Information, undurchsichtige Kommunikation und Manipulation: Nur gefilterte Information wird kommuniziert. Auf Anfragen, etwa von Journalisten, werden so weit geschwärzte Dokumente herausgegeben, dass die Information über weite Strecken verlorengeht. Dies führt zur Anschuldigung, dass das ENSI das Öffentlichkeitsgesetz nicht einhält.
Diese Verhaltensweisen sind Teil eines historischen Erbes, das auch nach der Gründung des ENSI nicht überwunden werden konnte. Denn das ENSI entstand im Jahr 2009 durch die Ausgliederung der Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) aus dem Bundesamt für Energie. Dieses Amt pflegte während einem halben Jahrhundert die Förderung der Atomwirtschaft, und damit selbst die nukleare Aufrüstung der Schweiz. Wie in vielen anderen kernenergienutzenden Ländern mit dieser Doppelrolle, kamen dabei alle erdenklichen Methoden zum Einsatz. Geheimhaltung und Manipulation von Informationen gehörte dabei zum Erbgut, wie auch die Verleumdung jener, die das System hinterfragten. Und dieses Erbgut hat das ENSI mitgenommen in seine neue Heimat im sogenannten „dritten Kreis“ der Administration. ENSI und der strategische positionierte ENSI-Rat hätten deshalb vordringlich den Auftrag, sich diesen Schwachstellen anzunehmen. Eine dringliche Aufgabe vor dem Hintergrund eines auslaufenden Atomprogramms und im Hinblick darauf, die Sicherheit des Restbetriebs der Werke und der Zwischenlagerung, sowie die Qualität der Planungen zur geologischen Tiefenlagerung sicherzustellen. Insbesondere mit dem Ziel, die dringend benötigte Glaubwürdigkeit einer ziemlich angeschlagenen Institution wieder herzustellen. Ansonsten bleibt wohl nur noch Massenhypnose (siehe Abbildung).
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