Das Kernenergiegesetz ist klar (§ 30.2) : «Die in der Schweiz anfallenden radioaktiven Abfälle müssen grundsätzlich im Inland entsorgt werden». Eine Lagerung im Ausland ist gemäss Gesetz nur im Sinne einer Ausnahme und mit festen Auflagen möglich. Das heute laufende Entsorgungsprogramm bzw. der «Sachplan nukleare Entsorgung» sollen deshalb zu einem geologischen Tiefenlager aller radioaktiven Abfallkategorien in der Schweiz führen. In Etappe 2 des Sachplans wurden im Januar 2015 von der Nagra – wie erwartet (siehe Nagra Aktennotiz AN 11-711) – zwei mögliche Lagerstandorte vorgeschlagen (Bözberg und Zürcher Weinland). Daraus soll in Etappe 3 der definitive Vorschlag mit Rahmenbewilligungsgesuch für je ein Lager für beide Abfallkategorien entstehen.
Sind damit der Bözberg und/oder das Weinland für ein Lager fest gesetzt? Geht es wirklich nur noch darum, die beiden Standorte bzgl. Langzeitsicherheit miteinander zu vergleichen?
Die Sachlage ist etwas komplizierter. Einerseits ist es denkbar, dass die Sicherheitsbehörde ENSI, oder die Bewilligungsbehörde Bundesrat in den Prozess eingreift, sei es mit ergänzenden sachlichen Forderungen, oder politisch motivierten Entscheiden, z.B auf Druck der betroffenen Kantone. Aber auch rein sachliche Motive könnten noch immer zum Aus für beide Standorte führen. Folgende Fakten könnten namentlich zu einem definitiven Projekthalt führen :
Der Machbarkeitsnachweis (Entsorgungsnachweis) fällt dahin:
- Für schwach und mittel radioaktive Abfälle (SMA) wurde der Entsorgungsnachweis im Jahr 1995 am Oberbauenstock, mit den sogenannten „Valanginianmergeln“ als Wirtgestein erbracht. Heute soll das Projekt im Opalinuston realisiert werden. Problem: bautechnisch und bezüglich der Langzeitsicherheit ist der Opalinuston weniger stabil. Er bietet als Barriere gegen radioaktive Stoffe andere Vorteile, ist aber bezüglich der Stabilität offener Stollen heikler als die Valanginianmergel. Dazu kommt die Gasproblematik, die besonders im Opalinuston schwer zu bewältigen ist. Im Opalinuston müsste der Entsorgungsnachweis deshalb mit neu dimensionierten Anlagen und Abfallbarrieren und einem entsprechenden Betriebskonzept neu erbracht werden. Auch die Zugangsanlagen müssten sicher angepasst und Abfälle entsprechend konditioniert werden. Alle Dimensionen (Lagerstollen, Betriebsanlagen, Abfallgebinde) müssten dabei wohl gegenüber dem heutigen Projekt schrumpfen.
- Für hoch radioaktive Abfälle erfolgten seit dem Entsorgungsnachweis (Jahr 2002) im Opalinuston im Zürcher Weinland wesentliche Projektänderungen, welche das Barrierensystem stark veränderten. War im ursprünglichen Entsorgungsnachweis praktisch ein direkter Einbau der Lagerbehälter in Bentonit und die Einbringung dieses Tonminerals in den nackten (oder allenfalls mit etwas Spritzbeton konsolidierten) Opalinuston vorgesehen, so werden heute im Labor Mont Terri Experimente durchgeführt, in denen zur Konsolidierung der Stollen massive technische Barrieren getestet werden. Dabei werden bedeutende Mengen Stahl und Beton eingesetzt, die sowohl die Durchlässigkeit des Opalinustons beeinflussen, als auch die chemischen Reaktionen im Nahfeld des Lagers. Die dem Entsorgungsnachweis zu Grunde gelegten Bedingungen sind damit nicht mehr eingehalten und der Nachweis fällt dahin.
Die Langzeitszenarien für die geologische Sicherheit erweisen sich als zu riskant:
- Im Zürcher Weinland könnte sich beispielsweise die mögliche Erosion durch Gletscher als grosses Risiko erweisen. Muss in der nähern Umgebung mit dem Abtrag einer Deckschicht von etwa 200 m über dem Lagerstandort gerechnet werden, so ist zu prüfen, ob die verbleibende Überlagerung noch genügend Schutz bietet, und ob die Grundwasserzirkulation nicht in unvorhersehbarer Weise verändert werden kann und die Lagersicherheit bedrohen kann.
- Am Bözberg könnten sich z.B. Fragen bezüglich der Risikozunahme bei der Gewinnung von Ressourcen stellen (fossile Kohlenwasserstoffe, Geothermie), oder die Zunahme der Risiken bei der Konstruktion neuer Kommunikationswege (Swissmetro, u.a.m.).
Trifft eines, oder treffen mehrere dieser (oder anderer) entscheidenden Szenarien ein, wird sich die Schweiz mit der Frage konfrontiert sehen, ob denn die gesetzliche Auflage überhaupt eingehalten werden kann. Denn es ist sehr wohl vorstellbar, dass die Antwort auf diese wissenschaftliche und ethische Frage negativ ausfallen könnte. Und gerade in diesem Punkt ist eine möglichst baldige Antwort erforderlich! Sowohl was die Eignung der Standorte betrifft wie auch die energiepolitische Antwort.
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