Westinghouse im Reaktorhimmel? Krise oder Pleite?
Abbildung: Der Stern von Westinghouse steht nicht mehr am Firmament
(Flammarions Holzstich – erstmals erschienen in L’atmosphère, Paris 1888, als Illustration zu La forme du ciel im Kapitel Le jour)
Westinghouse
Wenn Westinghouse heute in ein Konkursverfahren einsteigt, dann verliert das Kernkraftwerk Beznau sein Elternhaus.[1] Und dies bedeutet bei einem Kernkraftwerk viel, profitiert es doch während seiner ganzen Betriebszeit von elterlichen Serviceleistungen, welche nun grösstenteils fehlen werden.
So geschehen am 29. März 2017[2], nachdem die japanische Eigentümergesellschaft Toshiba (87% des Aktienkapitals) ihre Einwilligung zur Operation gegeben hatte.
Die Firma wurde 1886 durch George Westinghouse gegründet. Die US-Gesellschaft war vorerst v.a. in der Produktion elektrischer Beleuchtungen tätig. Sodann dehnte sich das Tätigkeitsgebiet auf Übertragungstechnik u.a.m. aus. Eine Tochtergesellschaft baute zwischen 1901 und 1903 sogar Elektroautos (!) und entwickelte später auch benzingetriebene Fahrzeuge[3]. Seit Anbeginn stand Westinghouse in Konkurrenz mit General Electric. Dies blieb auch 50 Jahre später so, zu Beginn des Atomzeitalters: Westinghouse entwickelte in den 1950-er Jahren einen Druckwasserreaktor, während dem sich General Electric auf Siedewasser Reaktoren spezialisierte. Die Druckwasserreaktoren stammten aus den ab Ende des zweiten Weltkriegs entwickelten U-Boot Antrieben. Sie wurden zu kommerziellen Zwecken auf höhere Leistungen „aufgeblasen“.Alvin Weinberg, der langjährige Leiter der amerikanischen „Uranschmiede“ Oak Ridge National Laboratories berichtet in seinem Lebensrückblick zu diesem Aufblähen: „Der wirtschaftliche Druck war so stark dass grössere Reaktoren bereits in Entwicklung waren bevor die kleineren Einheiten fertiggestellt worden waren und die Lehren in die grösseren Anlagen einfliessen konnten.[4]
Heute hinterlässt Westinghouse zahlreiche Kernkraftwerke als industrielles Erbe. Die Zukunft zweier Bauplätze in den US-Staaten Georgia und South-Caroline bleibt unsicher. Ebenso das Projekt von Cumbria[5], für das grösste je in Europa gebaute Kernkraftwerk. Weitere Projekte, namentlich in Indien, haben sich als nicht durchführbar erwiesen. Westinghouse hofft allerdings heute noch, den Kopf aus der Pleite-Schlinge ziehen zu können, indem sich die Firma unter „Chapter 11 of the U.S. Bankruptcy Code“ stellt[6]. Aber welcher Investor würde einer derart in defizitäre Affären verstrickten Gesellschaft noch Milliarden von Dollars anvertrauen?
Westinghouse ist nicht die erste Gesellschaft im Bereich der Kernreaktoren welche aufgibt. Die deutsche Firma Siemens hatte ab 1957 eine Kooperationsvereinbarung mit Westinghouse.[7] Von dieser übernahm Siemens die Druckwasser Technologie und entwickelte sie weiter. Die Kernenergie wurde in Deutschland zu einem erfolgreichen Geschäft. Aber zwei Ereignisse setzten diesem ein brüskes Ende: einerseits das Debakel mit dem Schnellen Brüter von Kalkar, und andererseits der Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986. Das letzte grosse Projekt war der Europäische Druckwasserreaktor EPR. Aber auch dieser vermochte keine neuen Aufträge zu generieren. Nach lange währenden Manövern stieg Siemens im Jahr 2009 aus der Zusammenarbeit mit der Französischen Areva zur Entwicklung und dem Bau des EPR aus. So war das Schicksal von Siemens im Bereich der Reaktor Technologie besiegelt.
Damit blieb heute in Europa die französiche Areva, welche das Abenteuer des EPR alleine bewirtschaftete. Nach Riesenverlusten in den vorangehenden Jahren, wird Areva nun aufgeteilt und neu kapitalisiert. Wir schrieben dazu in unserem Blog vom 9. Januar 2017:
„Am Ende des Jahres 2015 schrieb die französische Nuklearfirma bei einem Umsatz von 8 Milliarden Euros einen Verlust von 4 Milliarden. Nun wird die im Jahr 2001 aus der Fusion von Cogéma und Framatom geschaffene Firma in zwei Firmen aufgeteilt:
NewCo, oder die “neue Areva” spezialisiert sich im Bereich des Kernbrennstoffs, von der Mine bis zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle und dem Rückbau der stillgelegten Reaktoren. Zum Start erhält die Firma ein Betriebskapital von 3 Milliarden Euro in die Wiege geschüttet. Japanisches und chinesisches Kapital soll an dieser Aktion teilnehmen. . . . .
Die “alte” AREVA dient als Auffanggesellschaft für die verbleibenden Aktivitäten im Zusammenhang mit dem in Verzug geratenen Projekt zum Bau eines EPR Reaktors in Olkiluoto (Finland). Die Firma ist mit 7 Milliarden verschuldet. Sie soll durch den Staat Frankreich mit 2 Milliarden Euro rekapitalisiert werden.“
Die nationale Elektrizitätsgesellschaft EDF übernimmt neu das Reaktorgeschäft.
So bleiben denn heute in der westlichen Welt als letzte Reaktorbauer EDF (France), die nunmehr japanisch-amerikanische Firma GE-Hitachi Nuclear Energy, die Reaktoren der ehemaligen General Electric entwickelt und baut, sowie Atomic Energy of Canada Limited (AECL), die den CANDU-Reaktor, einen Siedewasserreaktor eigener Auslegung hervorgebracht hat.
Mit Westinghouse ist also das Mutterhaus der Druckwasserreaktoren Pleite: Ein Symbol? Haben die besseren Siedewasserreaktoren über die schlechteren Druckwasserreaktoren gewonnen? Wie wir in der Schweiz mit Mühleberg und Leibstadt erfahren haben (beides Siedewasserreaktoren), wohl kaum. Denn, ob GE-Hitachi mit seinen Siedewasserreaktoren noch lange durchhalten wird, bleibt bei den heutigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den Sternen geschrieben.
Was bedeutet dies für die Schweiz?
Die sich folgenden Pleiten der Reaktorfirmen haben auch Konsequenzen für die Schweiz:
- Die Serviceleistungen an Schweizer Reaktoren durch die Mutterhäuser werden zumindest prekär, auch wenn die europäische Abteilung von Westinghouse durch den Konkurs von Westinghouse nicht betroffen sein soll.
- Betreiber von Kernkraftwerken haben mehr und mehr Schwierigkeiten kompetente, zertifizierte Firmen im Bereich der Ersatzteile und der Nachrüstung zu finden.
- An neue Reaktoren der dritten Generation ist nicht mehr zu denken, auch wenn dies die Opponenten der Energiewende 2050 noch immer nicht glauben können.
Die voraussehbare Pleite von Westinghouse ist ein weiterer Schritt in der Endphase der Geschichte der Kernenergie. Was Alvin Weinberg, einer der grossen Vordenker des atomaren Zeitalters, bereits vor 25 Jahren für diese Reaktorlinien vorhergesehen hat.[8]
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