Heute Mittwoch, den 9. September 2015 haben das Bundesamt für Umwelt (BFE) und das Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) an einer Pressekonferenz im Zürich eine Verschiebung des Zeitplans bei der Überprüfung der Standortvorschläge bekanntgegeben (https://www.news.admin.ch/message/index.html?lang=de&msg-id=58634). Das ENSI fordert die Nagra auf, weitere technisch-wissenschaftliche Unterlagen, namentlich zur Frage der Tiefe der Lager nachzuliefern, um die Standortvorschläge der Nagra zu beurteilen.
Wieder eine Verschiebung, ist man geneigt zu sagen. Auch wenn vorerst „nur“ 6 bis 12 Monate zur Diskussion stehen. Und man fragt sich, warum das ENSI ein Jahr (seit der Publikation der Berichte im Oktober 2014) gebraucht hat, um die Nagra aufzufordern, weitere Beurteilungsgrundlagen bereit zu stellen.
Der Einengungsentscheid von 6 auf 2 Standorte nach dem in der Aktennotiz AN11-711 vorgesehenen internen Fahrplan der Nagra ist in der Tat schwer zu begründen. Er widerspricht nicht nur der über Jahre geäusserten Absicht von Nagra und zuständigen Behörden, alle drei potentiellen Standorte für hochradiokative Abfälle in der Etappe 3 des Sachplans zu untersuchen. Kantone, Regionen wie wissenschaftliche Beobachter und Bürger müssen nun aber feststellen, dass unklar ist, warum der Standort „Nördlich Lägern“ nun offiziell aus dem Verfahren fällt. Über Jahre beanstandete die Nagra nämlich den Standort „Nördlich Lägern“ nicht. Im Gegenteil: Die Lagerkammern für die Endlager wurden von der Nagra „trotz der vorhandenen Ungewissheiten als bautechnisch machbar“ eingestuft[1]. Ebenso die Platzreserven für alle Standortgebiete, weshalb die Genossenschaft „von einem ausreichenden Platzangebot“[2] sprach. Und das für alle Abfallkategorien. Der technische Bericht 10-01 mit dem wichtigen Untertitel „Klärung der Notwendigkeit ergänzender geologischer Untersuchungen“ liess keine Zweifel offen, dass der Standort „Nördlich Lägern“ auch als bautechnisch geeignet zu betrachten und das Platzangebot für das verfolgte Konzept genügend sei.
Dann, im Oktober 2014, also vier Jahre später, erfolgte die Standort-Reduktion von 6 auf 2 Standorte und der diesbezügliche technische Bericht der Nagra NTB 14-01 liess keinen Zweifel an der ungünstigen Situation aufkommen. „Nördlich Lägern“ erhielt die schlechteste Benotung von allen Standorten: die bautechnische Machbarkeit war sowohl bei den Lagern für hochaktive Abfälle (HAA) und für jene für schwach- und mittelaktive Abfälle gerade nur noch eine satte 1.3 wert. Die Folgerung war unmissverständlich: „Diese Schwächen werden als eindeutige Nachteile des Standortgebiets ‚Nördlich Lägern’ eingestuft, da die entsprechenden Bewertungen viel schlechter sind als diejenigen für die Standortgebiete Zürich Nordost und Jura Ost“[3] (siehe Abbildungen 1 und 2).
Abbildung 1: Nagra NTB 14-01, S. 335: Beurteilung der Lagerstandorte für hochradioaktive Abfälle (rot = ungünstig, gelb = bedingt günstig), der Standort „Nördlich Lägern“ wird dadurch ungeeignet.
Abbildung 2: Nagra NTB 14-01, S. 329: Beurteilung der Lagerstandorte für schwach- und mittelaktive Abfälle (rot = ungünstig, gelb = bedingt günstig), der Standort „Nördlich Lägern“ wird dadurch ungeeignet.
Vergleicht man die verschiedenen Bewertungsetappen der Nagra im Laufe der Zeit, ist nicht nachvollziehbar, warum der Standort „Nördlich Lägern“ plötzlich eine derart schlechte Benotung erhält. Und man kann sich fragen, warum es so spät zu dieser Erkenntnis kommt. Und vergessen wir dabei nicht: die bautechnischen Schwierigkeiten, welche in den letzten Jahren beim Bau eines Lagerstollens für ein Experiment im Laboratorium Mont-Terri im Kanton Jura zum Vorschein kamen, gelten beim gleichen Lagerkonzept mit gleichen Lagerkavernen und Querschnitten für alle Standorte gleich. Also auch für das Weinland und den Bözberg. Ebenso der bereits am Bözberg festgestellte Ressourcenkonflikt mit schwerem Verdacht auf Kohle- und/oder Gasvorkommen im Permokarbontrog unter dem Lagerstandort.
Wenn man also wieder zu den Eingangs aufgeworfenen Fragen zurückkommt, fragt man sich, warum diese Nachtragsforderungen durch das ENSI gerade jetzt aufgeworfen werden. Geht es dem ENSI und dem dahinter stehenden Prozessführer BFE tatsächlich darum, den Takt vorzugeben und der Nagra die Leitplanken zu setzen? Nehmen die zuständigen Behörden also die Chance wahr, das Verfahren zu korrigieren, indem man die Nagra – in den Worten des BFE-Direktors Walter Steinmann von 2012 – an die Kandare nimmt? Oder soll der Nagra im Gegenteil eine Plattform geboten werden, mit der sie die Einengungsvorschläge noch durch weitere Gutachten begründen kann? Also eine Art Rauchpetarde, die dazu dienen soll, viel Staub aufzuwirbeln und die Sicht zu trüben, aber zu keinen wirklichen Verbesserungen am Verfahren führt?
Neben der erwähnten Frage der Lagertiefe (die auch die Frage nach Ausweichmöglichkeiten für den durch Gletschererosion bedrohten Standort im Zürcher Weinland betrifft!), gibt es weitere dringende Fragen, die bearbeitet werden müssen. Zum einen müssten endlich andere Varianten der Lagerauslegung aufgezeigt werden, unter Einbezug der Erfahrungen, welche bezüglich Bautechnik und zusätzlicher Stollensicherung im Mont-Terri gemacht wurden. Also weg von den grossen Lagerkavernen für SMA mit bis zu 100 Tonnen schweren Gebinden oder von den 800 m langen Lagerstollen für über 25 Tonnen schwere HAA-Lagerbehälter zu kleineren Anlagen, mit kleineren Querschnitten, in die bedeutend leichtere Tonnagen eingebracht werden könnten. Weg von den Rampen zu Schächten, die sicherheitstechnisch vorteilhafter sind. Oder zur Frage nach anderen Lagerbehältern und anderen Materialien? Dass diese seit vielen Jahren heiss debattierten Fragen immer noch offen sind, zeigt die Dringlichkeit auf, sie endlich ernsthaft aufzunehmen und zu bearbeiten. Eine Review der Option Opalinus drängt sich auf.
Zum anderen stellen sich Fragen nach dem weiteren Vorgehen bei der Einengung der Standorte und nach den erforderlichen Untersuchungen, insbesondere durch 3D-Seismik und Bohrungen. Fragen also nach klaren Ausschlusskriterien beziehungsweise nach Zweck und Abwicklung der Untersuchungen an den Standorten. Fragen auch nach der Breite, dem Tiefgang und der Abfolge der Arbeiten. Ausserdem müsste die Nagra heute im Detail aufzeigen, wie sie den tiefen Permokarbon-Trog unter dem Bözberg und dem Standort Lägern Nord erkunden wird.
Diesen Fragen werden wir in unseren Blogbeiträgen der nächsten Wochen nachgehen.
Jürg Rasi
Die Frage ist doch eher aus bergmännischer Sicht zu beurteilen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass 200 Meter tiefer oder nicht eine grosse Rolle spielen.
Die Opalinus Tonschicht ist schwierig für den Bergbau. Wäre Interessant was hier ein Bergbau Ingenieur dazu meint.
Edi Hoehn
Zugangsbauwerk zum Tiefenlager und Grundwasser
In ihrem Film über das Erstellen eines geologischen Tiefenlagers im Opalinuston der Nord¬schweiz in ca. 600 m Tiefe schlägt die Nagra vor, als Bauwerke für den Zugang von der Ober¬fläche zum Lager und den Transport der radioaktiven Abfälle befahrbare Rampen und einen senkrechten Schacht mit Lift zu bauen (; zuge¬griffen im März 2016). Die Rampe zieht sich von der Oberflächenanlage mit einem bestimm¬ten Gefälle spiralförmig in die Tiefe. Der Schacht hingegen scheint im Film von einem beliebi¬gen Punkt aus in die Tiefe zum unterirdischen Eingangsbereich des Tiefenlagers zu führen.
Auch aus hydrogeologischen Erwägungen sollte auf den Bau einer befahrbaren Rampe wenn möglich verzichtet und der gesamte Ablauf der Tiefenlagerung von der Oberflächenanlage aus über senkrechte Schachtanlagen erfolgen. Falls für die Oberflächenanlage kein Standort ausserhalb des Gewässerschutzbereiches Au gefunden wird, wäre für dessen Bau meines Erachtens unter gewissen Bedingungen auch ein Gebiet randlich innerhalb dieses Bereichs denkbar.
Bis zum Erreichen der vorgeschlagenen Endteufe im Opalinuston durchfahren alle Zugänge zum Tiefenlager grundwasserleitende Formationen, oberflächennah evtl. grobkörnige Lockergesteine und Bereiche der Molasse, insbesondere der Oberen Meeresmolasse, tiefer unten ziemlich sicher wasserdurchlässige Kalke im Malm und in Teilbereichen des Doggers. Mittels Abdichtungsmassnahmen muss bei diesen Zugängen gewährleistet werden, dass radioaktive Stoffe beim Transport nicht mit Grundwasser dieser Formationen in Berührung geraten. Die Gefahr eines solchen Kurzschlusses dürfte umso kleiner sein, je kleiner die abzudichtende Fläche ist. Somit dürfte das Risiko einer Grundwasserverunreinigung mit radioaktiven Stoffen bei einem Schacht um ein Vielfaches geringer sein als bei einer schrägen Rampe.
Bei der Planung eines Zugangs zum Tiefenlager muss die Durchlässigkeit der durchbohrten Gesteine für Wasser vorausgesagt werden. Diese Voraussage ist bei einem senkrechten Schacht einfacher als bei einer schrägen Rampe. Bei einem senkrechten Schacht dürften hierfür einige Bohrungen und evtl. ein Versuchsschacht (z.B. ein späterer Lüftungsschacht) genügen. Die Abdichtung senkrechter Schächte gegen Grundwasser ist im Bergbau gut erprobt. Zudem wurden beim Bau des unterirdischen Bahnhofs der NEAT in Sedrun über die dortigen Schachtanlagen mit einem Durchmesser von 7.9 m (Schacht I; Abluftschacht II: 7m) grosse Baumaschinen in die Tiefe von rund 800 m des NEAT-Tunnels gebracht. Für das Tiefenlager radioaktiver Abfälle könnte der Schacht von der Oberflächenanlage bis in den Opalinuston getrieben, und von der Basisstation in der Tiefe aus könnten Stollen im Schichtfallen zum unterirdischen Eingangsbereich des Tiefenlagers geführt werden. Damit fallen Lastwagen-Transporte in die Tiefe weg.
Der Zugangsschacht muss im Rahmen der Planung für eine Oberflächenanlage in einem bezüglich oberflächennahem Grundwasser wenig sensiblen Gebiet durchgeführt werden, grundsätzlich ausserhalb des Gewässerschutzbereiches Au. Falls bei der Erkundung eine Verunreinigung des Grundwassers ausgeschlossen werden kann, könnten aber auch Gebiete in Erwägung gezogen werden, die auf der Grundwasserkarte bezeichnet sind als „mit geringer Mächtigkeit des Grundwassers von 0 – 2 m und mit geringerer Durchlässigkeit des Grundwasserleiters“, sowie Randgebiete mit unterirdischer Entwässerung zu einem heute und voraussichtlich auch in Zukunft nicht genutzten Grundwassergebiet.