Pyrrhus, der griechische König und Feldherr, der den Stiefel Italiens im Jahr 280 v.Chr. zum Schutz der damalig griechisch stämmigen Bevölkerung besetzte und als zweifacher Sieger gegen die römischen Legionen das italische Festland trotzdem räumte, dürfte sich in den Lüften der Elysischen Gefilde wieder einmal ins Fäustchen gelacht haben. Denn anders lässt sich der im helvetischen Parlament errungene Sieg der Rechts- und Mitteparteien beim Zerzausen der Energiestrategie 2050 nicht deuten. Die Hürden für einen nuklearen Weg, welche im Zuge einer neuen Energiepolitik nach Fukushima vom selbigen Parlament eingebaut worden waren, wurden von den in neuer Zusammensetzung tagenden Räten wieder weggeräumt. Die bestehenden Werke – so das Fazit – dürfen nun wieder ohne Fristen laufen.
Doch blicken wir zur Erinnerung kurz nebenan und zurück:
- die Produktionskosten für Nuklearstrom sind gegen Kohlestrom und je länger desto mehr auch gegen Strom aus erneuerbaren Energiequellen nicht mehr konkurrenzfähig. Schweizerische KKW-Betreiber bezahlen beim Verkauf ihres Stroms oft drauf. Europaweit verabschieden sich grosse Elektrizitätsgesellschaften von der Atomenergie und versuchen, die wachsenden Kosten für Stilllegung und nukleare Entsorgung dem Staat zu überlassen. So auch in der Schweiz, wo erste Überlegungen der öffentlichen Hand zum Ausstieg von Kantonen aus den eigenen, auch Atomstrom produzierenden Konzernen kürzlich publik wurden[1];
- die Kosten der Stilllegung und Entsorgung steigen weiter und weiter, weltweit, europaweit und in der Schweiz. Für unser Land ist eine Kostenexplosion um mindestens das 10-fache in den letzten paar Jahrzehnten belegt[2]. Und das ist nur der Anfang, denn eine neue Schätzung der Stilllegungs- und Entsorgungskosten steht bei massiv verlängerten Realisierungsplänen im Herbst 2016 erst an.
- vergessen ist offenbar, dass selbst Alvin Weinberg, hochdekorierter Atomwissenschaftler, Vater des Leichtwasserreaktors und jedenfalls unverdächtiger Analytiker, das Ende der ersten nuklearen Aera eingestand.[3] Er war beileibe nicht der Einzige in der Nukleargemeinschaft, der das Ende der Atomenergie früh vorhersah. Auch James Conant, einer der führenden Strategen im Atombombenprojekt „Manhattan“, langjähriger Präsident von Harvard und anerkannter Diplomat des antikommunistischen Establishments, hatte bereits 1951 in einer nüchternen Analyse und Festrede vor der Amerikanischen Gesellschaft für Chemie das Ende der Atomenergie und deren Ablösung durch die Solartechnik vorhergesagt.[4]
- Pech auch für das helvetische Parlament, dass der Entscheid zur Aufhebung der Laufzeitfristen der eidgenössischen Räte wenige Tage vor Bekanntwerden der Vertuschungsversuche um den schweren Störfall im elsässischen Werk von Fessenheim erfolgte, der nicht nur das Problem der Alterung von Atomkraftwerken erneut aufwirft, sondern einmal mehr die untransparente und manipulative Informationspolitik dieser Branche aufzeigt (siehe Kästchen).
Wer nüchtern die heutige Politiklandschaft der Schweiz betrachtet muss sich fragen, ob das Parlament seine wichtigste Funktion, nämlich das langfristige Wohlergehen unseres Landes, überhaupt noch ernsthaft wahrnimmt[5]: da werden atomare Schleusen geöffnet, alte politische Rechnungen beglichen, die Realitäten des Marktes übersehen, offensichtliche wirtschaftliche und technische Fakten zur Seite gefegt. Es scheint, als hätten unsere bürgerlichen Parlamentarier in erster Linie das Kalkül vor Augen, dass ein Bestehen auf dem aussichtslosen atomaren Weg die Chancen für die Annahme der Initiative der Grünen erhöht, die Laufzeit der Atomkraftwerke auf 45 Jahre zu begrenzen. Denn würde die auf Herbst 2016 erwartete Abstimmung tatsächlich angenommen, könnten die betroffenen Atomwerke, ihre Gesellschaften und die dahinter stehenden Aktionäre – hauptsächlich Kantone und Gemeinden – Entschädigungsforderungen an den Bund stellen. Nach dieser Leseart hätte die parlamentarische Aktion keinen anderen Zweck, als das Parkett für die finanziellen Rückforderungen der Kraftwerkseigner vorzubereiten.
Dumm ist dabei nur, dass die Löcher des Stilllegungs- und Entsorgungsfonds immer mehr auseinanderklaffen. Womit die Frage im Raum steht, ob nicht zuerst die Löcher gestopft werden müssten, bevor Aktionäre bedient werden können. Die siegreichenden Parlamentarier sollten sich daher schon jetzt die Frage stellen, welche Pyrrhus dem römischen Historiker Plutarch zufolge (Pyrrhus, 21.9) für sich beantwortet hatte: „Sind wir noch einmal siegreich gegen die Römer, sind wir verloren!“.
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Kästchen:
Info-Sperber: “Atomunfall vertuscht” – einzig die “Vergiftung” des Fessenheim-Reaktors verhinderte am 9. April 2014 eine Katastrophe
https://www.infosperber.ch/Artikel/Umwelt/AKW-Fessenheim-Atom-Unfall-vertuscht
Quelle dieses Artikels sind eine Sendung des TV-Senders WDR und der Süddeutsche Zeitung.
Unser Kommentar
Am 9. April 2014 geschah das, was man heute allgemein in dicht besiedelten Gebieten am meisten fürchtet: Dass Sicherheitssysteme eines alten Reaktors ausfallen und dieser minutenlang ausser Kontrolle gerät. Genau dieses Szenario ereignete sich in AKW Fessenheim im Elsass. Die Steuerung des Reaktors war kurzzeitig völlig unterbunden. Die Kernreaktion musste durch eine ungewöhnliche Notmassnahme – die sogenannte “Vergiftung” der Kettenreaktion mit Borsäure – gestoppt werden. Nachdenklich stimmt dabei nicht nur, dass diese einzigartige Notmassnahme immer dann ergriffen werden muss, wenn alle Glocken zur Notabwehr klingeln. Man könnte diese mit einer Totalblockade des Steuerungssystems bei einem Fahrzeug vergleichen, wo man als letzte Lösung Zucker in den Treibstoff wirft um den Motor zu stoppen!
Unweigerlich fühlt man sich in die Anfänge der Atomenergie zurückversetzt, als Enrico Fermi und sein um sich versammeltes Team von Physikern und Technikern die erste kontrollierte und geheim gehaltene Kettenreaktion in den Katakomben der Universität Chicago durchführten (siehe Bild in unserem Beitrag vom 31. Januar 2016, AXPO-Ausstieg: Steuerzahler rüstet Euch). George Weil, einer der Atomphysiker, später der erste Direktor für Reaktorentwicklung der amerikanischen Kommission für Atomenergie AEC und der allererste offene Kritiker der Atomenergie, war als eines der Mitglieder des „suicide squad“ – der Terminator-Gruppe – damit beordert, die Kontrollstäbe oberhalb des zusammengebastelten Reaktors bereitzuhalten um zu intervenieren, sollte der Reaktor ausser Kontrolle geraten.[6]
Die Vorfälle in Fessenheim sind gravierend. Denn sie zeigen, dass immer wieder neue Versagensfälle auftreten, an die vorgängig nicht gedacht worden war. Denn wer hätte sich je vorgestellt, dass ein Rohrleitungsbruch eine Überschwemmung und einen Steuerungsausfall provozieren könnte, welche den ultimativen Einsatz von Borwasser im Reaktor erforderlich machen würde?
Wie seit Beginn der Atomenergieentwicklung wurde die wahre Dimension des Vorfalls verschwiegen, oder schlimmer noch, im Kleindruckten und Nebensächlichen versteckt. Und immer wieder trifft man auf die gleichen Handlungsträger, welche solche Sachverhalte verschleiern. Dies betrifft nicht nur die Atomindustrie, welche schon immer in den trübsten Gewässern operierte, was Transparenz angeht. Auch die Sicherheitsbehörde Autorité de sûreté nucléaire ASN und ihr heutiger Chef Pierre-Franck Chevet spielten bei diesem Vorfall mit. Pierre-Franck Chevet, der als ehemaliger Direktor der elsässischen Umweltbehörde (DRIRE) die Bewilligung für den Betrieb des inzwischen havarierten Endlagers für chemo-toxische Abfälle Stocamine in Wittelsheim erteilte und öffentlich beteuerte, diese Abfälle würden bei einem Störfall zwingend wieder zurückgeholt. Doch seit dem Brand im Endlager Stocamine im September 2002 und seiner 2012 erfolgten Berufung als Leiter der ASN scheinen diese Versprechen definitiv vergessen.
Die gleiche ASN stellt sich natürlich auch auf den Standpunkt, dass das Werk Fessenheim aus Sicherheitsgründen nicht vom Netz genommen werden muss. Im Zuge des oben geschilderten Vorfalls dürfte aber der politische Druck aus Berlin derart gross geworden sein, dass der Präsident der französischen Republik nun doch die Notbremse gezogen hat. Er liess am Sonntag den 6. März 2016 über seine Ministerin für Wohnungswesen Emmanuelle Cosse wissen, dass Fessenheim Ende 2016 vom Netz genommen würde.[1] Entgegen den Plänen von Umwelt- und Energieministerin Ségolène Royal, welche die AKW-Betreiberin EDF bereits im Oktober 2015 aufforderte, die Prozedur für die definitive Ausserbetriebnahme des Reaktors ab Juni 2016 einzuleiten. Vorgesehener Zeitpunkt des definitiven Abschaltens: das Jahr 2018. Denn man könne, so erklärte sie damals, zwei Reaktoren wie in Fessenheim nicht so einfach per Knopfdruck ausschalten. [2]
Offenbar hat die „politische Borsäure aus Berlin“ nun doch noch eine sehr viel schnellere Abschaltung bewirkt als vorgesehen. Man darf darum auch in der Schweiz gespannt sein, ob nicht diese Berliner „Borsäure“ zur Schnellerabschaltung von Beznau 1 führen wird, was angesichts der Sicherheitsrisiken und der desolaten finanziellen Perspektiven die wohl einzige richtige und zukunftsweisende Entscheidung wäre. Womit wir wieder beim helvetischen Parlament, seinen Rechts- und Mitteparteien und ihrem Pyrrhussieg der letzten Tage wären.
[1] https://www.lemonde.fr/energies/article/2016/03/06/emmanuelle-cosse-fessenheim-fermera-d-ici-la-fin-2016_4877475_1653054.html
[2] Le monde, op. cit: Car, « pour fermer deux réacteurs comme ceux de Fessenheim, il ne suffit par de tourner un bouton », avait-elle expliqué auparavant.
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