Von Marcos Buser
Ende Februar 2020 berichtete die spanische Zeitung „El País“, dass Enresa, die spanische Andra oder Nagra, das Bauvorhaben für das geplante zentrale Zwischenlager„Almacén Temporal Centralizado (ATC)“ im zentralspanischen Villar de Cañas (Provinz Cuenca) einstellen würde.[1] Das öffentliche Unternehmen schließe den Wettbewerb für die Hauptarbeit des ATC, das die Regierung des Partido Popular 2014 eröffnet habe, so die Headline weiter. Die Gründe für diesen Schritt sind manche. Erstens Planungsfehler, darunter auch die Wahl eines Standorts auf einem zumindest problematischen geotechnisch instabilen, weil tonigen und quellfähigen, gipshaltigen und teils verkarsteten geologischen Untergrund, der zu fachlichen wie politischen Streitereien und Polemiken geführt hatte.[2] Dann politische Schiebereien von und später zwischen den nationalen Parteien, die bei einem Regierungswechsel[3] einfach dazu führten, dass die Politik der Vorgängerregierung wieder gekippt wurde. Schliesslich hatten ähnliche politische Umwälzungen von konservativen zu progressiven Kräften in der zentralspanischen Meseta-Region von Castilla-La Mancha, auf dessen Gebiet das geplante Zwischenlager zu liegen gekommen wäre, zu einer massiven Akzeptanzkrise geführt (Tabelle 1).
Tabelle 1: Zusammenstellung wichtiger Entwicklungsdaten zum ATC
Die Einstellung des Projektes wurde bisher von Enresa zwar nicht offiziell bestätigt.[4] Ebenso gab das Unternehmen die Gründe dafür nicht bekannt und legte auch nicht die Konsequenzen auf die strategische Ausrichtung der spanischen Entsorgungsprogramme in der Zukunft dar. Allerdings klärt ein Blick auf seine Web-Seite die Zielrichtung der Zwischenlagerung in Spanien doch klar auf[5]: gleich drei Kernkraftwerke mit vier PWR-Reaktoren mit einer elektrischen Leistung von gesamthaft über 3’200 MWe – Trillo (Guadalajara), Zorita (Guadalajara) und Ascó (Tarragona) – betreiben sogenannte „Almacenes Temporales [Autónomos] Individualizados“ (Tabelle 2). Trillo richtete sein Aussen-Stehlager bereits 2002 ein, noch unter der Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Aznar.[6]
Tabelle 2: Zusammenstellung der Almacenes Temporales Individualizados – Individualisierte temporäre Speicher des spanischen KKW-Parks
* 1 Stellfläche à 16 Stellplätze ** 2 Stellflächen à 16 Container-Stellplätze
+ 2 Stellflächen à 12 Stellplätze
3 Cofrentes, 2019, Cofrentes inicia la construcción del Almacén Temporal Individualizado, 30/07/2019, https://www.cncofrentes.es/actualidad/noticias/detalle/190730_Inicio_construccion_ATI
4https://www.infolibre.es/noticias/politica/2018/08/17/la_central_nuclear_garona_comenzara_desmantelamiento_2019_85918_1012.html
Bei diesen „Autonomen Individualisierten Zwischenlagern“[7] handelt es sich um nichts anders als um die – vor allem in den USA praktizierte – Trockenlagerung von abgebrannten Brennelementen in Stahl-Beton- oder vergleichbaren Behältern unter freiem Himmel (siehe Abbildung 1). Auch die anderen KKW in Spanien haben diesen Weg eingeschlagen. Das KKW Almaraz (Cáceres, 2 PWR Reaktoren mit über 2’000 MWe Leistung) verfügt ebenfalls über ein solches Zwischenlager.[8] Das KKW Cofrentes (Valencia, BWR mit über 1’000 MWe Leistung) hat laut Mitteilung des Unternehmens vom 30. Juli 2019 mit dem Bau für ein „Individualisiertes Autonomes Zwischenlager“ begonnen.[9] Im Gang sind diese Bemühungen auch für das KKW Vandellós (Tarragona).[10] Ebenso wie für das seit 2012 stillgelegte KKW Santa María de Garoña (BWR 460 MWe) am oberen Ebrolauf in der Provinz Burgos, das mittlerweile über ein solches Lager unter offenem Himmel mit maximal 32 Stellplätzen verfügt.[11]
Abbildung 1: „Stahl-Betonklötze“ unter freiem Himmel, Ascó (links) und Zorita (rechts); siehe Ensa, 2018, Ensa carga con éxito 4 contenedores en el ATI de la CN de Ascó, Equipos Nucleares S.A., S.M.E (Ensa), 18 de junio 2018, https://www.ensa.es/es/ensa-carga-con-exito-4-contenedores-en-el-ati-de-la-cn-de-asco/ (07.03.2020) und https://www.foronuclear.org/es/el-experto-te-cuenta/123790-que-es-un-almacen-temporal-individualizado-ati
Die Notwendigkeit, Zwischenlager für hochaktive Abfälle zu errichten, zeichnete sich schon vor einem Dutzend Jahre ab, weil die bilateralen Verträge mit Grossbritannien und Frankreich für die Behandlung der Kernbrennstoffe und für andere Dienstleistungen 2010 bzw. 2011 ausliefen.[12] Spanien hatte die Standortsuche für geologische Endlager zu diesem Zeitpunkt bereits aufs Eis gelegt. Die Idee, dem niederländischen Beispiel mit dem Covra/Habog-Zwischenlager zu folgen, lag auf der Hand. Und als sich der politische Widerstand bildete und die neue Regionalregierung von Castilla – La Mancha das Projekt bekämpfte, war abzusehen, dass das ATC-Zwischenlager nur schwerlich realisierbar sein würde und rasche Ersatzlösungen gefunden werden mussten.
„Unter Bezugnahme auf die in “der Referenz „[7] vorgestellten Daten erhöhen sich die Stromkosten durch eine solche Lagerung nur um 1% -2%, wenn die Dichte der SNF-Lagerung 0,5 Tonnen Schwermetall pro Quadratmeter beträgt“, klärt ein Fachartikel aus dem Jahr 2019 die Kostenfolgen einer Zwischenlagerung von abgebrannten Brennelementen in Spezialbehältern und unter bfreiem Himmel auf.[13] Wieder einmal waren es also kurzfristige Kostenüberlegungen, welche ausschlaggebend dafür waren, dass man auch in Spanien die hochgefährlichen Abfallstoffe in Lagerbehältern in die offene Landschaft stellte! In Stahl-Beton-Behältern[14], die man auf einen armierten Betonboden von 1 m Mächtigkeit und Asphaltbelägen platzierte, schön begrenzt durch gelbe Linien oder hinter Gittern (Abbildung 1). Ohne weitere Abschirmungen wie armierte Gebäudeschalen und vor allem ohne eine natürliche geologische Schutzhülle.
Dies ist also, was die zuständigen Betreibergesellschaften und Regierungen unter verantwortungsvollem Umgang mit diesem extrem gefährlichen Gefahrengut verstehen. Man schiebt die Verantwortung einfach in die Zukunft ab und mogelt sich in den nächsten Sachzwang. „In sehr kurzer Zeit werden alle Kernkraftwerke ihren eigenen radioaktiven Stapelplatz haben, aber das ist nicht die endgültige Lösung“ stellte eine Beobachterin diese Entwicklung 2016 in Spanien bereits in Frage.[15] Und fuhr fort: „Diese Anlagen können den Abfall etwa 20 Jahre lang aufnehmen, aber sie haben nicht nur ein Verfallsdatum, sondern sind auch sehr anfällig, wenn sie unter freiem Himmel gebaut werden, und was dann?“ Und kam dann zum Schluss: „Sie ermöglichen eine Verschnaufpause …“ …. Ja, eine Verschnaufpause, die seit mehr als 2 Generationen andauert und immer wieder auf dem gleichen Spiel beruht: Die Realisierungspläne werden nach hinten angepasst. Und die Risiken und Kosten immer weiter in die Zukunft geschoben.
Der in Zusammenhang mit dem Ende des ATC in Villar de Cañas in El País vom 5. März 2020 zitierte Spruch Winston Churchills – „keep muddling through“ (wurstle dich weiter durch) – trifft leider für die Entsorgungspolitik weltweit zu. Unsere modernen Industriegesellschaften haben sich mit dem Einstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie eine besonders dramatische, weil Risiko behaftete Fussfessel eingebrockt. Das eigentliche Ziel, die Endlagerung der Abfälle in geologischen Schichten, wurde in den letzten rund 65 Jahren seit dem Beginn der kommerziellen friedlichen Nutzung der Atomenergie verfehlt. Keines der bisherigen angedachten oder umgesetzten Projekte für die Endlagerung war erfolgreich, weder die Projekte in Salzbergwerken bei Lyons Kansas (USA), in der Asse bei Wolfenbüttel (RFA), in Morsleben (RFA), im Bergwerk Felsenau und im Wellenberg (Schweiz) und auch nicht die vielgelobte „Waste Isolation Pilot Plant WIPP“ in den USA.[16] Die Liste der gescheiterten Projekte ist unendlich lang. Die wenigsten Fälle wurden aufgearbeitet. Saniert wurde kaum etwas. Und die schlechten Nachrichten mehren sich. Camp Century in Grönland? Cactus Dome auf den Marshall Islands? Das inzwischen geschlossene und abgedeckte Uranium Bergwerk La Haba (Badajoz) mit seinen Abfällen aus dem Anfangs der 1970er Jahre erfolgten Reaktorunfall der Junta de Energía Nuclear (JEN) in Madrid?
Man mag diese Zustände als skandalös bezeichnen – sie sind aber vor allem eins: sie sind hochgradig gefährlich. In einer zunehmend destabilisierten, von Gewalt und Terror geprägten Welt geht man mit den Abfallprodukten einer solchen Risikotechnologie nicht derart fahrlässig um, und lagert diese einfach unter freiem Himmel zwischen. Und auch nicht längerfristig in Betonhallen an der Oberfläche. Es geht nicht um Interessen und Befindlichkeiten einzelner Akteure, ob dies nun die Kernenergieindustrie, staatliche Instanzen oder die Politik betrifft. Es geht um den grundlegenden Respekt gegenüber den heute lebenden wie auch den künftigen Generationen. Zeit also, sich einmal eine bessere Strategie einfallen zu lassen, die nicht nur in der Bewirtschaftung von Sachzwängen und dem Hinstellen von besseren Betonkübeln in der Landschaft besteht, sondern in weitsichtigen sichereren Strategien im Umgang mit diesem hochgradig gefährlichen Abfallgut. Es braucht eine grundsätzlich neue Ausrichtung im Umgang mit dem radioaktiven Abfall, wie dies etwa die „duale Strategie“ postuliert.[17] Dabei geht es nicht um die Neuerfindung der Welt, sondern ursächlich darum, Ordnung in das heutige Chaos der Entsorgungsplanung zu bringen, die Probleme und Widersprüche der bisherigen Konzeption aufzuzeigen und Wege zu skizzieren, wie diese besser bewältigt werden können. [18]
Und dies heisst konkret, eine Neueinschätzung der gesamten Kette der nuklearen Entsorgung vorzunehmen. Angefangen bei der geologischen Tiefenlagerung, die regelmässig neu bewertet werden und deren Umsetzungszeitpläne engstens begleitet werden müssten. Grundfragen sind weiterhin offen, die nicht einmal angedacht bzw. nicht behandelt worden sind, etwa die Wirkung gekoppelter Prozesse, z.B. die Langzeit-Schädigung der einzelnen Lagerstollen durch den thermischen Puls, die Verformungen im Lagerfeld und die damit assoziierte hydraulische Risiken, die Möglichkeit einer Auspressung von Wasserzuflüssen nach Eindringen von Grundwasser, Risiko- und Sicherheitsanalysen bei Umverteilungen der Druck- und Gebirgsverformung im gesamten Lagerfeld.[19] Die Umsetzung der geologischen Tiefenlager verzögert sich seit Jahrzehnten, ohne dass die Planer solcher Anlagen je eine Rechtfertigung für die Jahrzehnte langen Verzögerung geliefert hätten. Und die zuständigen Behörden lassen so ein Verhalten zu. Man erinnert sich auch in der Schweiz: die Nagra hatte 1978 in Aussicht gestellt, das Endlager für hochaktive Abfälle nach 1990 in Betrieb zu nehmen.[20] Aktuell wird ein Zeitplan nach 2060 genannt, nach x-fachem Hinausschieben dieses Termins. Auf diese Weise werden in allen Entsorgungsprojekten der Welt die Zeitplanungen seit Jahrzehnten vor sich hergeschoben und führen schliesslich dazu, dass schlechte Übergangslösungen der Zwischenlagerung zu billigsten Bedingungen umgesetzt werden. Ohne Analyse der komplexen Risiken, die mit einem solchen System einhergehen. Ohne strategische Optionen, die etwa darin bestehen würden, die Abfälle in geschützte unterirdische Anlagen zu stellen und Zeit dafür zu gewinnen, die erforderlichen geologischen Tiefenlagerungsprogramme zu entwickeln. Vor allem aber ohne eine Aufsicht, die gegenüber einer solchen planerischen Willkür einschreiten würde. Ein Grund mehr für die betroffenen Zivilgesellschaften, diese Missstände offen anzuprangern und eine grundsätzliche Remedur für diese unhaltbaren Zustände einzufordern.
[1] Planelles, Manuel, 2020, Enresa renuncia al proyecto de construcción del almacén nuclear de Villar de Cañas, El País, 25 de febrero de 2010
[2] Ana María Isidora Losada, 2015, Subject to political capture? Nuclear Waste Governance in Spain, in Achim Brunnengräber et al., Nuclear Waste Governance, An International Comparision, Springer VS
[3] Das unter sozialdemokratischer Fahne geführte Parteienbündnis unter Pedro Sánchez ersetzte 2018 die Regierung des konservativen Partido Popular unter Ministerpräsident Mariano Rajoy
[4] Mota, Jesús, 2020, El confuso futuro del almacén nuclear, Opinión, El País, 5 de marzo 2020
[5] https://www.enresa.es/esp/inicio/actividades-y-proyectos/atc (07.03.2020)
[6] https://www.foronuclear.org/es/el-experto-te-cuenta/123790-que-es-un-almacen-temporal-individualizado-ati
[7] Der Begriff der „autonomen individualisierten Zwischenlager“ steht – was die Sprachkonstruktion und die Vernebelung des Inhalts angeht – in der Tradition von Begrifflichkeiten wie „Entsorgungspark“ oder „Brennstoffkreislauf“.
[8] López-Lago, J., 2018, El almacén temporal de la central nuclear de Almaraz recibe los últimos permisos, Hoy, 13 de septiembre 2018, https://www.hoy.es/prov-caceres/almacen-temporal-central-20180913214526-nt.html
[9] Central Nuclear de Cofrentes, 2019, Cofrentes inicia la construcción del Almacén Temporal Individualizado, Iberdrola, https://www.cncofrentes.es/actualidad/noticias/detalle/190730_Inicio_construccion_ATI (07.03.20).
[10] Maestre Andrés, Sara, 2017, El problema pendiente de los residuos nucleares. Estudio del conflicto del almacén temporal centralizado en Ascó (Catalunya, Estado Español), Revista de la Red Iberoamericana de Economía Ecológica, p.20, https://pdfs.semanticscholar.org/7a1b/f5e929393153740a1b19fee5ab33b8d51e79.pdf
[11] Consejo de Seguridad Nuclear, Web-Seite, https://www.csn.es/documents/10182/989190/Actividades%20destacadas%20de%20la%20CN%20de%20Santa%20Mar%C3%ADa%20de%20Garoña%20-%202018 (09.03.2020); https://www.csn.es/documents/10182/1865680/1453+-+1+Informe+-+CN+Garoña+Solicitud+de+autorización+de+la+modificación+de+diseño+para+la+puesta+en+servicio+del+ATI+de+combustible+gastado/526f6398-2a45-4771-813c-93d0e96d5962 (09.03.2020);
[12] Ana María Isidora Losada, 2015, S. 335.
[13] Toshinsky, Georgy, Grigoriev, Sergey, Dedul, Alexander, Komlev, Oleg, Tormyshev, Ivan, 2019, Safe Controlled Storage of SVBR-100 Spent Nuclear Fuel in the Extended-Range Future, World Journal of Nuclear Science and Technology. 09. 127-139. 10.4236/wjnst.2019.93009: „With reference to the data presented in [7], the cost of such storage heightens the cost of electricity only by 1% -2% upon the density of SNF storage being 0.5 tons of heavy metal per square meter.“
[14] Cordis, o. J. (kein Publiakationsdatum), Novel concept of cost-effective hybrid concrete/steel Auxiliary Shielding Module for enhancing the Radiological, Thermal and Structural behaviour of Spent Nuclear Fuel Dry Storage metallic casks, Europäische Kommission, Forschungsergebnisse der EU, https://cordis.europa.eu/article/id/300387-new-solution-for-openair-spent-nuclear-fuel-dry-storage/de (07.03.2020)
[15] Ojea, Laura, 2016, Todas las centrales nucleares tendrán su propio almacén temporal individualizado a la espera del ATC, El periódico de la energía, 09.11.2016, https://elperiodicodelaenergia.com/todas-las-centrales-nucleares-tendran-su-propio-almacen-temporal-individualizado-a-la-espera-del-atc/
[16] siehe auch https://www.nuclearwaste.info/zur-planung-einer-komplexen-wissenschaftlichen-herausforderung/
[17] https://www.nuclearwaste.info/von-der-geologischen-tiefenlagerung-zur-dualen-strategie-2/; https://www.nuclearwaste.info/die-duale-strategie-teil-2-2/
[18] https://www.nuclearwaste.info/die-duale-strategie-teil-2-2/
[19] https://www.nuclearwaste.info/die-nagra-und-das-buelacher-korallenriff-auf-dem-falschen-fuss-erwischt/
[20] NA, 2011, Erfahrungswerte bei der Planung und Umsetzung des Sachplans und des Realisierungsplans geologische Tiefenlager und Planungsgrundlagen für das weitere Vorgehen, Version 5, zuhanden der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit (KNS), Institut für nachhaltige Abfallwirtschaft INA GmbH
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