Titelbild: Darstellung des Erdbebens in Basel (1356) in der «Chronicon Helvetiae» von Christoph Silberysen aus dem 16. Jahrhundert.
Aargauer Kantonsbibliothek
Die Mitteilung des Ensi https://www.ensi.ch/de/2021/06/16/kkw-beznau-montageabweichung-an-den-notstanddieselgeneratoren-2/
In einer Mitteilung vom 16. Juni 2021 informiert das ENSI über ein Vorkommnis im Kernkraftwerk Beznau: «KKW Beznau: Montageabweichung an den Notstanddieselgeneratoren: Die seit der Inbetriebnahme der Notstandsysteme in den Jahren 1992 und 1993 bestehenden Montageabweichung in den Motorlagern der Notstanddieselgeneratoren des KKW Beznau führten zu einer reduzierten Erdbebenfestigkeit. Trotzdem waren, dank diversen Nachrüstungen und weiteren Massnahmen, die gesetzlichen Anforderungen an die Erdbebensicherheit mit Ausnahme der Monate April und Mai 2012 erfüllt. Zu diesem Schluss kommt das ENSI nach der Überprüfung des Vorkommnisses vom Dezember 2020. Damals hatte das KKW Beznau nach Entdecken der Montageabweichung umgehend beide Blöcke abgestellt, um die Abweichung zu beheben.» Und: «Nachdem diese Abweichung am 7. Dezember 2020 festgestellt worden war, nahm die Betreiberin Axpo die beiden Blöcke am 9. Dezember 2020 vom Netz. Die Montageabweichung wurde ordnungsgemäss behoben.»
Die fehlenden Anschlagbegrenzer
«Die Anschlagbegrenzer dienen dazu, die Bewegungen des Dieselmotors zu begrenzen. Wenn sie fehlen, reduziert sich die Erdbebenfestigkeit des Gesamtsystems. Trotz der fehlenden Anschlagbegrenzer wäre es beim 10’000-jährlichen Erdbeben gemäss den bis 2012 geltenden massgeblichen seismischen Gefährdungsannahmen auch ohne Anschlagbegrenzer nicht zu unzulässigen Relativverschiebungen gekommen. Dies gilt nicht für die im Nachgang zum Unfall in Fukushima stark erhöhten neuen seismischen Gefährdungsannahmen. Das 10’000-jährliche Erdbeben gemäss den neuen seismischen Gefährdungsannahmen wäre ohne Anschlagbegrenzer nicht beherrscht worden».
Die sicherheitstechnische Bedeutung des Vorkommnisses laut ENSI
Das ENSI hat das Vorkommnis nun beurteilt und kommt zu folgendem Schluss: «Das Vorkommnis ist von sicherheitstechnischer Bedeutung und wird daher auf der internationalen Ereignisskala mit INES-1 bewertet. Dies ist die tiefste Einstufung auf der siebenstufigen INES-Ereignisskala und beschreibt Abweichungen vom Normalbetrieb, die kein Eingreifen von Sicherheitssystemen erfordern.
Die Besonderheit am vorliegenden Vorkommnis liegt darin, dass die Montageabweichung während einer sehr langen Zeit nicht erkannt worden war. Das ENSI wird deshalb überprüfen, ob die einschlägigen Richtlinien angepasst werden müssen, die den Prüfumfang des ENSI und den Überwachungsumfang des Schweizerischen Vereins für Technische Inspektionen festlegen.»
Kommentar der Blogautoren
In der Folge der Katastrophe von Fukushima hatte das ENSI festgestellt, dass der Erdbebenschutz der schweizerischen Kernkraftwerke ungenügend war. Es kam daher in den Jahren 2012 und 2015 zu Nachrüstungen, um den neuen post-Fukushima Anforderungen zu genügen.
Als Erstes müssen wir annehmen, dass die schweizerischen Kernkraftwerke während all den Jahrzehnten seit ihrer Inbetriebnahme und bis zum Zeitpunkt der Aufrüstung durch Erdbeben gefährdet waren (also nicht nur in den Monaten April und Mai 2012, wie dies das ENSI suggeriert).
Sodann stellen wir fest, dass einmal mehr die Montagekontrolle versagt hatte, und ein Fehler während Jahrzehnten unentdeckt blieb. Das vorliegende Vorkommnis ruft jenes vom 24. Juli 2014 in Erinnerung, mit dem Titel «KKL: Beschädigungen am Primärcontainment», als die Durchbohrung des Primärcontainments bei der Montage von Feuerlöschern aus dem Jahr 2008 erst nach sechs Jahren entdeckt wurde.
Unsere Schlussfolgerung bezieht sich auf die Grundsätze nach welchen das ENSI die Aufsicht über die Kernkraftwerke wahrnimmt. Nach der Pensionierung von Hans Wanner als ENSI-Direktor und jahrelangem Präsident der WENRA wäre es an der Zeit, die berühmt-berüchtigte Devise des Ex-Direktors zu revidieren: « Die Frage ist, welche Arbeitshypothese wir unserer Aufsichtsfunktion zugrunde legen. Zwei Varianten stehen zur Wahl: Entweder ‘Die Schweizer Kernkraftwerke sind grundsätzlich sicher’ oder ‘die Schweizer Kernkraftwerke sind grundsätzlich unsicher.’ Wir gehen, wie ich schon verschiedentlich dargelegt habe, von der ersten Arbeitshypothese aus, die wir in einem laufenden internen Prozess fortdauernd mit Daten und Fakten untermauern.»[1]. Sicher würde es der Sicherheit der Anlagen wohl bekommen, wenn Servicearbeiten (auch solche vergangener Jahre) systematisch kontrolliert, bzw. nachkontrolliert würden. Wer weiss, wie viele solcher, oder noch weit gravierendere Fehler in schweizerischen Kernkraftwerken geschahen und bis heute unerkannt weiter bestehen?
[1] https://www.ensi.ch/de/2012/07/08/gegenseitiger-respekt-ist-dreh-und-angelpunkt-der-arbeit-des-ensi/
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