Bild: Das Kernkraftwerk Beznau betrifft alle Menschen in der Schweiz, in Deutschland und (bei einem Unfall) in ganz Europa!
„Des Pudels Kern“
(Goethe, Faust 1)
“Atomaufsicht überrascht ihre Kritiker: Ginge es nach der Betreiberin Axpo, wäre ihr Atomkraftwerk Beznau I längst wieder am Netz. Doch die Aufsichtsbehörde des Bundes gibt sich nicht zufrieden. Das sorgt für neue Misstöne. . . . Bald tausend Tage ist es her, dass das Atomkraftwerk Beznau I zuletzt Strom produziert hat. Grund für den ungewöhnlich langen Stillstand sind 925 Materialfehler, welche die Axpo 2015 in der Stahlwand des Reaktordruckbehälters entdeckt hat, direkt im Herzstück des Atomkraftwerks also. Seither hat die Axpo diverse Male einen neuen Starttermin in Aussicht gestellt. Zuletzt war es der 31. Oktober; mittlerweile ist daraus Ende Februar 2018 geworden. . . . . Verantwortlich für den Aufschub ist die Atomaufsichtsbehörde des Bundes (Ensi). Sie verlangt von der Axpo zusätzliche Materialuntersuchungen, die der Energiekonzern als «umfangreich» bezeichnet. . . . . Was wenig spektakulär klingt, birgt Konfliktpotenzial. Gut informierten Kreisen zufolge zeigt sich der Energiekonzern, der den Nordostschweizer Kantonen gehört, zunehmend irritiert über die Hartnäckigkeit der Bundesbehörde: Die Axpo sei nur teilweise bereit, weitere Nachweise zu erbringen, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen; dies habe zu einem Disput geführt.”
So gelesen im Tagesanzeiger vom 16.10.2017[1]. Und das gedacht: worum kann es denn der AXPO mit diesem alten Kernkraftwerk noch gehen? Denn:
- Mit Strom aus schweizerischen Kernkraftwerken kann man kaum mehr Geld verdienen, und
- Heute zeigen die Berner Kraftwerke, wie man in vernünftiger, finanziell verkraftbarer Art ein altes Kernkraftwerk stilllegen kann.
Und: Wo liegt die Motivation des ENSI?
Kurz gesagt: welches sind die „hidden agendas“, die „versteckten Agenden“ hinter der erneuten Verschiebung und dem Willen der AXPO dieses alte Atomkraftwerk wieder ans Netz zu bringen?
Bevor wir in die weiteren Überlegungen einsteigen muss festgehalten werden, dass es ja seitens der Atomwirtschaft und der Aufsichtsbehörden vielleicht gar keine Hintergedanken gibt und es sich tatsächlich einzig und allein um Fragen der nuklearen Sicherheit dreht. Dass Zweifel also eher dem Misstrauen oder der Phantasie entstammen. Nur: die Geschichte der Kernenergie hat gezeigt, dass es fast immer eine zweite Kulisse hinter der ersten, sichtbaren Kulisse gibt. Dass also nicht wirklich informiert, sondern vor allem kommuniziert wird. Dass also nicht alle Informationen offen gelegt, sondern Teile davon verwischt und verheimlicht werden. Dass etwa wirtschaftlich nicht das Realität ist, was in den Vordergrund gestellt wird. Oder: Dass Ideologie über Rationalität Oberhand gewonnen hat. Und darum befragen und hinterfragen wir das Geschehen und leuchten mögliche andere als die deklarierten Gründe aus, die für eine versteckte Agenda sprechen könnten.
Die eventuellen AXPO-Gründe:
- AXPO möchte den Atomausstieg „austricksen“, indem sie viel längere Laufzeiten für ihre Werke durchboxt.
- Anders gesagt „träumt“ AXPO von einem Weiterbetrieb des 1969-er Kernkraftwerks während 15 zusätzlichen Jahren. Drückt die Gesellschaft diese Forderung durch, so sollen alle verbleibenden schweizerischen Kernkraftwerke (Beznau 2, Leibstadt und Gösgen) während mindestens 60 Jahren betrieben werden können. Dies ist heute wohl nicht rentabel, aber wer weiss, in 5 oder 10 Jahren? Bis zu diesem Zeitpunkt könnten oder sollten die verschiedenen neuen Viertgeneration-Reaktoren entwickelt sein und eingesetzt werden können.
- AXPO träumt von Amortisierung seiner (incl. 1’000-Tage Stillstand) nun etwa 1 Milliarde CHF teuren Aufrüstung. Vielleicht ist auch dies der wichtigste Grund, weshalb AXPO fixiert bleibt und sich nicht getraut, einen schmerzhaften Abschlussstrich zu ziehen.
- AXPO hat keine wirkliche Alternativstrategie zur Kernenergie, stammte doch Ihre Produktion zu bis 70% aus Atomkraftwerken.
- Weitere?
Die möglichen ENSI-Motivationen:
- Wissenschaftliche Redlichkeit: Der Sicherheitsnachweis für Beznau 1 ist streng genommen nicht möglich, solange man keine Materialproben aus dem Druckgefäss selbst entnehmen kann. Und dies kann man nicht, ohne eben dieses Druckgefäss zu schwächen. Folglich ist der Sicherheitsnachweis in Tat und Wahrheit unmöglich!
- Signalwirkung: Akzeptiert das ENSI den Sicherheitsnachweis der AXPO, so fällt praktische jede Sicherheitsbarriere, um defekte oder fehlerhafte Reaktoren zu stoppen. Dies wird international, v.a. aber in Europa, eine starke Signalwirkung erzeugen und das ENSI einen Grossteil seines verbleibenden Rufes kosten. Besonders auffällig wäre dann der Kontrast zu Deutschland, wo alle Reaktoren mit ähnlichen, oder selbst geringeren Schwächestellen geschlossen wurden. Auch Frankreich ist strenger; dort wurden Schwächen aktiv gesucht und verfolgt. In der Schweiz kam die Reaktion auf französische und belgische Fehlermeldungen an Reaktoren erst zögerlich und mit Verzug.
- Betriebsrisiko: Etwas vereinfachend gesagt: je älter ein Reaktor, desto grösser das Risiko eines schweren Störfalles. Ein Reaktor wird auch im Stillstand älter. Innere Verstrahlung, Korrosion und Versprödung gehen weiter, wenngleich vielleicht etwas verlangsamt. Komponenten altern, ohne dass man dies in allen Teilen des Reaktors testen kann. Die Mannschaft verliert ihre Routine und Gesten; somit wird der Betrieb automatisch riskanter. Die Sicherheitsagentur muss sich der Frage stellen, ob somit nach 1’000 Tagen Stillstand der Betrieb nicht wieder in allen Teilen neu zu zertifizieren ist.
- Verantwortung: Wer trägt nun, nach 1’000 Tagen Stillstand bei einem Störfall oder Unfall die Verantwortung?
So kann man es vermutlich als Chance bezeichnen, wenn sich die Politik stärker mit der Frage des eventuellen Weiterbetriebs befasst, und (vor allem) das Nachbarland Baden Württemberg endlich seine höchst eigenen Interessen verteidigt![2] Dies gilt auch für die Schweizer Politik: Energiestrategie 2050 hin oder her – es geht hier um Fragen der elementaren Sicherheit, die man nicht allein einer schwach aufgestellten Sicherheitsbehörde überlassen kann. Auch die Politik in unserem Land ist mit dieser Frage gefordert. Denn schlussendlich trägt die Bevölkerung die Last des Atomrisikos, bewusst oder unbewusst, stillschweigend oder aufbegehrend!
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