Titelbild: Herbst im Atomland!
Die drei Standorte Bözberg (Jura Ost), Nördlich Lägern und Zürcher Weinland (Zürich Nord-Ost) sind seit mindestens zwei Jahrzehnten die alternativlos letzten Strohhalme, an die sich die Nagra klammern muss, wenn das Endlager im Inland realisiert werden soll. Kein Wunder also, dass die Nagra alles daran setzt, dieses letzte Beutestück möglichst ohne Verzug endlich für gut zu befinden und sich diesen Befund von den Behörden attestieren zu lassen.
Vorgezogene Schlussfolgerungen ohne Faktenbasis
Seit 2019 führt die Nagra in allen drei Standortgebieten Sondierbohrungen durch, um – wie sie schreibt -, den „bestehenden, bereits guten Kenntnisstand zu vertiefen“. Am 3. November 2020 berichtete die Nagra im Rahmen eines online durchgeführten Informationsanlasses die angemeldeten Medienschaffenden über die Sondierbohrungen. Obschon die Bohrkampagne erst vor 15 Monaten begonnen hat und noch mindestens zwei weitere Bohrungen vorgesehen sind, zog die Nagra bereits abschliessende projektbezogene Folgerungen. Notabene ohne wirklich offenzulegen, auf welchen Fakten diese beruhen.
Überraschungsfrei vorhersehbar lautete denn auch die Botschaft, dass die Nagra alle ihre optimistischen Prognosen bestätigt findet, wenn nicht sogar übertroffen. Selbstverständlich zweifelsfrei. Offene Fragen? Fehlanzeige!
Diese Strategie ist hinlänglich zur Kenntlichkeit entblösst, ungeachtet aller wortakrobatischen Beteuerungen einer „ergebnisoffenen“ Standortwahl. Scheitern verboten. Daher wird auch das Szenario kaltgeschwiegen, was denn geschähe, wenn die Realisierung einer inländischen „Lösung“ aus sicherheitstechnischen Gründen letztlich in Frage gestellt oder gar verworfen werden müsste: Plan B? Inexistent!
Aus dem Blickwinkel einer nüchternen Bewertung des aktuellen Kenntnisstands erstrahlt keines der drei genannten Standortgebiete in besonders vorteilhaftem Licht. Jedes hat bezüglich Gewähr für Langzeitsicherheit seine Macken, je nach Kriterium punktuell auch sachdienliche Aspekte. Also Ausgeglichenheit im Mittelmass.
Hellhörig macht einzig die Halswende der Nagra in ihrer Neubeurteilung des Standortgebiets Nördlich Lägern. Diese Region hatte sie im Jahr 2015 auf windschiefer Faktenbasis „kostenoptimierend“ vorzeitig aus dem Verfahren zu kippen versucht. Peinlicherweise hatte die Bundesaufsichtsbehörde Ensi dazu vielsagend geschwiegen. Vorhersehbar endete im Jahr 2017 der Handstreich der Nagra im Fiasko. Denn die Kantone liessen sich solchen Hauruck nicht bieten und pfiffen die Nagra mit der faktisch solid verstrebten Expertise ihrer Sachverständigen zurück: Nördlich Lägern müsse im Rennen bleiben. Darauf musste sich auch das Ensi kleinlaut dem Befund der Kantone anschliessen und offenbarte damit einen behördlichen Wankelmut, der zumindest in dieser Frage begründete Zweifel an der Kompetenz der Bundesaufsicht keimen lässt. Dabei geht es um nichts weniger als Sicherheit über Jahrzehntausende. Derweil sät die Nagra weiterhin Argwohn statt Glaubwürdigkeit mit der Aussage, wonach jetzt schon feststehe, dass alles geeignet sei, sicher und gewiss. Doch weder Sicherheit, Eignung noch Gewissheit können a priori in die ferne Zukunft projiziert werden. Wissenschaft liefert keine festgefügten Bürgschaften. Die Sicherheit des End-Lagers bleibt provisorisch. Bis zum Lager-Ende.
Standortentscheid 2022
Einmal mehr hielt die Nagra auch an dieser Medienorientierung fest, bis 2022 den Standort für die Ausarbeitung des Rahmenbewilligungsverfahrens bekanntzugeben. Was der Standortwahl gleichkommt!
Wer nun aber erwartet, mit ihrem vorgezogenen Standortentscheid würde die Nagra eine sachlich konsolidierte Begründung vorlegen, irrt gewaltig. Vorgesehen ist ein „kurzer Bericht“ zur Standortwahl. Die Begründung werde in den Gesuchen zur Rahmenbewilligung dokumentiert. Das heisst im Klartext erst in vielen Jahren! Solche Anmassung irritiert. Die Sachplanstrategen versuchen einmal mehr auf noch völlig unkonsolidierter Sachgrundlage einen hochriskant-irreversiblen Standortentscheid zu erzwingen. Das ist nicht nur wissenschaftlich in höchstem Masse fragwürdig. Damit setzt die Nagra ihre Glaubwürdigkeit, ihr Vertrauen in der Öffentlichkeit, mithin auch die Akzeptanz für ihr Vorhaben auf’s Spiel.
Dessen ungeachtet will die Nagra unbeirrt in weniger als 20 Monaten vorzeitig den Pfahl zum Standortentscheid einrammen. Die Sicherheitsbehörde Ensi ist gefordert, die wissenschaftliche Redlichkeit und die Qualität in der Vorgehensweise der Nagra kritischer zu hinterfragen als bis anhin.
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