Marcos Buser und Walter Wildi
Erdwärme (Geothermie) und Thermalwässer gehören zu den Reizthemen, die bei der Standortwahl im Rahmen des «Sachplans geologische Tiefenlager» und der Beurteilung des zentralen Kriteriums 2.4 (Nutzungskonflikte) regelmässig auftauchen [1]. Mit der Auswahl der Region Nördlich Lägern und dem Standort Haberstal (Stadel, ZH) durch die Nagra [2] stehen diese Fragestellungen erneut im Raum.
Thermalwasser
Die Erdwärme wird im Erdinneren durch den Zerfall von radioaktiven Isotopen wie Kalium, Uran und Thorium produziert und sodann an die Erdoberfläche transportiert. In der oberen Erdkruste erfolgt der Wärmetransport durch die Wärmeleitung der Gesteine und durch das in den Gesteinsklüften zirkulierende Wasser.
Kimmeier et al. (1985)[3] beschreiben den Wasserfluss zwischen den Alpen und dem Schwarzwald: Wasser infiltriert in den Alpen und auf den Höhen des Schwarzwaldes ins Gestein. Sodann fliesst es unter dem Mittelland, bzw. dem südlichen Schwarzwald in Richtung Rhein- und dem unteren Aaretal, wo es an die Erdoberfläche aufstösst. Die Kalk- und Dolomitgesteine des Oberen Muschelkalkes («Hauptmuschelkalk» der Trias) sind eines der hauptsächlichen Aquifere (Grundwasserleiter). Wasser aus dem Muschelkalk speist die Austritte von Thermalwasser in Baden (Wassertemperatur 47 °C) und Schinznach (Wassertemperatur 35 °C). Das Thermalwasser von Zurzach fliesst artesisch (unter Druck) bei 44°C aus einer Bohrung im kristalline Grundgebirge des Schwarzwaldes. In der Sondierbohrung Weiach 1 wurden Wassertemperaturen um 50°C gemessen.[4] Weitere Aufstösse und Bohrungen mit Thermalwasser beschreibt namentlich Hans Burger im Kanton Aargau[5].
Abbildung 1: Karte des Wärmeflusses in der Schweiz [6].
Die Karte des Wärmeflusses in der Schweiz (Abb. 1) zeigt vier Regionen mit deutlich erhöhtem Fluss (Farben rot und orange): Das Rheintal von Basel, das untere Aare- und das benachbarte Rheintal, die Region Bodensee – St. Gallen und der Zipfel von Pruntrut. Die grösste Wärmeanomalie (in rot, 120 – 170 mW/m2) liegt um unteren Aaretal und dem angrenzenden Rheintal. Daran anschliessend folgt eine Zone mit Wärmeflüssen von 100 – 120 mW/m2, welche sich entlang dem Rheintal bis zum Kanton Schafhausen erstreckt. Die Region Nördlich Lägern liegt in diesem Gebiet.
Folgende Grundwasserträger führen Nördlich Lägern lokal oder generell Thermalwasser (von oben nach unten): Sandsteine der Oberen Meeresmolasse, Malmkalke, eventuell lokal (?) die Riffkalke im Dogger (Riffkalke von Bülach), der Obere Muschelkalk (Hauptmuschelkalk), der Buntsandstein und vermutlich Verwerfungen im Permokarbon-Trog. Zudem ist die Wasserführung im kristallinen Grundgebirge zu erwähnen.[7] Eines der ergiebigsten (wenn nicht sogar das beste) Aquifer ist nach heutigem Kenntnisstand der Hauptmuschelkalk.
Erdwärme und Erdwärmesonden in der Region Nördlich Lägern
Thermalwässer werden in der Region Lägern Nord heute noch kaum als Wärmequelle genutzt. Hingegen wird die Erdwärme durch eine Unzahl von Erdwärmesonden zu Heiz- und Kühlzwecken ausgebeutet. Die ersten vier Bewilligungen für Erdwärmesonden wurden im Kanton Zürich im Jahr 1983 erteilt; im Jahr 2017 betrug die Anzahl der insgesamt erteilten Bewilligungen bereits 22’490 [8].
Erdwärmesonden bestehen aus einer Bohrung bis in eine Tiefe von etwa 100 bis 400 m. Sie nutzen den geothermischen Gradienten, d.h. die Tatsache, dass sich die Temperatur im Untergrund mit zunehmender Tiefe um etwa 3 °C pro 100 m erhöht. Das Bohrloch wird mit einem U-förmigen Doppelrohr versehen (sog. «Doppel-U-Sonde»), in welches eine Sole gepumpt wird. Auf ihrem Weg in die Tiefe heizt sich diese auf und wird nach ihrem Austritt an der Erdoberfläche über eine Wärmepumpe auf die gewünschte Nutzungstemperatur erhöht. Die Ausgangstemperatur der Sole entspricht der lokalen mittlere Jahrestemperatur (9.4 °C in Zürich Kloten). Bei einer Sondentiefe von 400 m beträgt somit die Wassertemperatur am Austritt um die 21°C. Heute können wirtschaftlich rentable Erdwärmesonden bis in eine Tiefe von etwa 400 m erstellt und betrieben werden.
Das AWEL des Kantons Zürich führt eine öffentlich zugängliche Karte der im Kanton installierten Erdwärmesonden (https://maps.zh.ch/?topic=AwelGSWaermewwwZH). Aus dieser ergibt sich, dass in der Region Nördlich Lägern heute mehrere hundert Sonden betrieben werden. Fokussieren wir uns auf die potentiellen Perimeter für geologische Tiefenlager, in welchen der als Wirtsgestein vorgesehene Opalinuston ruhig gelagert ist, (unser Blogbeitrag vom 4. Februar 2023, NL West und NL Ost), so finden wir auf der Karte mehr als 100 bestehende Erdwärmesonden (Abb. 2). Klickt man auf der interaktiven Karte des AWEL die verschiedenen Sondierungen an, so fällt auf, dass bereits verschiedene Sonden in Tiefen bis 400 m installiert wurden. Dies betrifft namentlich auch Sonden in der Gemeinde Stadel, dem durch die Nagra am 12. September bezeichneten Standort für Oberflächenanlagen und ein geologisches Tiefenlager für radioaktive Abfälle.
Abbildung 2: Karte der Erdwärmesonden im Kanton Zürich. Karte und Legende: (https://maps.zh.ch/?topic=AwelGSWaermewwwZH). Potentielle Standorte für geologische Tiefenlager; violett: Nagra 12.09.2022, orange: NL-West und NL-Ost: Perimeter mit ungestörtem Opalinuston (unser Blog vom 4. Februar 2023), blau: Perimeter ohne Erdwärmesonden.
Erdwärmesonden und geologische Tiefenlager für radioaktive Abfälle
Erdwärmesonden stellen, solange sie dicht halten, keine unmittelbare Bedrohung für das Trinkwasser dar, und dies umso weniger, als sie nur ausserhalb der Grundwasserströme der Oberflächengrundwasservorkommen installiert werden dürfen. Sie können allerdings kleinere Grundwasserträger im Untergrund miteinander in Verbindung setzen und damit die Druckverhältnisse im Untergrund verändern. Gemäss verschiedenen Einschätzungen haben Erdwärmesonden eine maximale Lebensdauer von etwa 100 Jahren[9]. Was nach der Stilllegung mit den Sonden und den Bohrlöchern geschehen wird, ist nicht absehbar. Wir müssen heute davon ausgehen, dass viele Bohrlöcher offenstehen bleiben werden, bzw. nicht langzeitsicher verschlossen werden können. Somit stellen sie eine direkte Verbindung zwischen der Endtiefe der Bohrung und der Erdoberfläche dar. Bezüglich der nuklearen Sicherheit bedeutet dies, dass ein in der Tiefe unter der Sonde gelegenes geologisches Tiefenlager der Biosphäre um die Meterzahl der Sonde näher kommt. Bei einer Sondentiefe von 400 m läge ein Lager in 800 m Tiefe bezüglich seiner schützenden Überdeckung somit nur noch in einer Distanz von 400 m von der Biosphäre.
Wie Abbildung 2 zeigt, ist der Perimeter NL-West mit tektonisch ungestörtem Opalinuston schon mit einem derart dichten Netz von Erdwärmesonden versehen, dass diese ein echtes Problem für ein geologisches Tiefenlager darstellen. Demgegenüber ist das Gebiet NL-Ost noch weitgehend frei von Sonden. Der Grund hierfür liegt im ausgedehnten Gewässer- und Grundwasserschutzgebiet von Glattfelden, in welchem die Installation von Erdsonden nicht erlaubt ist. Könnte nun ein geologisches Tiefenlager im Untergrund dieses Schutzgebietes gebaut werden?
Epilog
In unserem Blog haben wir oftmals darauf hingewiesen, dass die Nutzungspotentiale von Ressourcen im Umkreis von Standorten für geologische Tiefenlager umfassend untersucht gehören. Dies betrifft die Ressourcen im und um den Permokarbon-Trog, aber auch Nutzungspotentiale von Geothermie und Tiefenwässern, welche sowohl in Grundwasserträgern als auch in Schwächezonen im Untergrund, also in Störungszonen fliessen können.
Einmal mehr weisen wir darauf hin, dass die Ressourcenfrage und die Nutzung des Untergrundes eine besondere Herausforderung für das Projekt der Tiefenlagerung im Opalinuston der Nordschweiz darstellen und daher zwingend und umfassend abzuklären sind. Zur Abklärung gehören etwa tektonische Synthesen und hydrogeologische Studien über den Thermalismus in der Nordostschweiz sowie, darauf beruhend, konkrete Exploration im Tiefuntergrund. Bei einem mehrere Milliarden teuren Projekt darf mit Fug und Recht erwartet werden, dass sorgfältige Abklärungen im %-Bereich der Bausumme erfolgen, damit die offenen Fragestellungen geklärt werden können.
Zur Nutzung der Erdwärme mit Sonden sei nochmals an die rasche Entwicklung dieser Technologie und ihrer Anwendung erinnert. Waren in einer ersten Zeit, vor etwa 40 Jahren, Bohrtiefen um 100 bis 150 m die Norm, so sind heute Tiefen um 400 m durchaus üblich. Angesichts der Dichte der Siedlungsgebiete mit ihren zahlreichen Erdwärmesonden stellen diese Tiefen alle drei in Etappe 3 des Sachplans untersuchten Gebiete als geologische Tiefenlager in Frage. Denn, geht – wie zu erwarten ist – die Entwicklung der Bohr- und Erdwärmesonden Technologie in den nächsten Jahrzehnten so weiter, wird der Schutz eines Tiefenlagers zu einer kaum zu lösenden Herausforderung für die Gewährleistung der Langzeitsicherheit. Im Sicherheitssystem eines Tiefenlagers ist dieser Schwachstelle auch durch zeitlich limitierte Nutzungsverbote nicht beizukommen, wie das Beispiel des römischen Schutzsteins von Chagnon beim Aquädukt von Gier (F) und eine Vielzahl von weiteren Beispielen aus dem Altertum eindrücklich zeigen.[10] Ein weiterer limitierender Faktor für die Errichtung eines Tiefenlagers im Opalinuston der Nordostschweiz nimmt damit immer klarere Kontouren an.
[1] Bundesamt für Energie (BFE) 2008/2011 : Sachplan geologische Tiefenlager. Bern, 93 S.
[2] Nagra 2022: Der Standort für das Tiefenlager. Der Vorschlag der Nagra. Wettingen, 68 S.
[3] Kimmeier, F., Perrochet, O., Andrews, R. & Kiraly 1985 : Simulation par Modèle Mathématique des Ecoulements Souterra¡ns entre les Alpes et la Forêt Noire. NTB 84-50, Nagra, Wettingen.
[4] Nagra 1988 : Sondierbohrungen Böttstein, Weiach, Riniken, Schafisheim, Kaisten, Leuggern; Fluid-Logging. NTB 85-10.
[5] Burger, H. 2011 : Die Thermalwässer und Mineralwässer im Kanton Aargau und seiner näheren Umgebung. Natur im Aargau 2011. Mitteilungen der aargauischen Naturforschenden Gesellschaft 37, – Jubiläumsband 91-112.
[6] VGKA, Verein geothermische Kraftwerke Aargau : Geothermie in der Schweiz.
[7] Thury, M., Gautschi, A., Mazurek, M., Müller, W.H., et al., 1994, Geology and Hydrogeology of the Crystalline Basement of Northern Switzerland, Nagra Technischer Bericht NTB 93-01.
[8] https://digitalcollection.zhaw.ch/bitstream/11475/18747/3/EWS%20Statistik%20Schweiz_2019.pdf
[9] https://www.bosch-thermotechnology.com/de/de/wohngebaeude/wissen/heizungsratgeber/waermepumpe/erdwaermesonde/
[10] siehe dazu etwa Grinsell, Leslie V., 1975: Barrow, Pyramid and Tomb. Ancient customs in Egypt, the Mediterranean and the Britisch Isles, Thames & Hudson 1975.
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Neues zum Blog
André Lambert hat sich entschlossen, die Zusammenarbeit auf dem Blog zu beenden.
André Lambert weist in einer entsprechenden Mitteilung an uns darauf hin, dass er bis auf weiteres keinen Anlass mehr sehe, gewissermassen auf dem Trittbrett, weiterhin im Blog als Autor zu firmieren. Er stelle unsere Arbeit keineswegs in Frage – im Gegenteil. Aber ohne innere Überzeugung erkenne er wenig Sinn, weiter an diesem Projekt teilzuhaben.
Wir danken André für die gemeinsamen Jahre und wünschen ihm alles Gute.
Ramona Keller
Herzlichen Dank für den interessanten Beitrag.
Wir leben ja hier im Haberstal. Und die Frage weshalb wir aufgrund der Grundwasserschutzzone Au keine Erdwärmesonde-Bohrung machen dürfen, während die nagra am selben Ort mehr als doopelt so tief bohren will um den Atommüll des Landes zu verbuddeln und dies offensichtlich kein Problem darstellt, konnte mir bisher noch niemand beantworten. Aus ihrem Beitrag entnehme ich, dass man sich diese Gedanken wohl noch gar nicht detailliert gemacht hat? Wie kann das sein? Weshalb gelten Grundwasserschutzzonen für ein Tiefenlager nicht?