Von Marcos Buser
Anfangs Februar 2024 veröffentlichte die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) auf ihrer Homepage die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstitut GfS Bern zur Einstellung der Schweizer Bevölkerung und der betroffenen Region zum Thema Tiefenlager für radioaktive Abfälle.
Laut dieser im Herbst 2023 ausgeführten Umfrage bei insgesamt 1800 Personen traue sich die Schweiz «die Lösung des Atommüllproblems zu, sowohl technisch (71 Prozent) als auch politisch (61 Prozent)». Die Befragung biete zudem auch «ein umfassendes Bild sowohl für die gesamte Schweiz als auch spezifisch für die Region Nördlich Lägern.» Das Resultat dieses Tests könne sich – aus der Sicht der Nagra – sehen lassen, wie die Genossenschaft dies auf ihrer Webseite festhält: Die Bevölkerung nehme demnach «in puncto Tiefenlager eine überwiegend pragmatische Haltung ein, die Akzeptanz sei schweizweit und in der betroffenen Region hoch».
Was wird mit diesen Umfrageergebnissen eigentlich bezweckt? Im Herbst 2024 steht die Einreichung des Rahmenbewilligungs-Gesuchs für das Kombi-Tiefenlager in «Nördich Lägern» an, welches auch den Weg für die Laufzeitverlängerungen des bestehenden AKW-Parks ebnen soll. Will die Nagra mit dieser Umfrage also ein Zeichen dafür setzen, dass die Akzeptanz des Tiefenlagerprojektes im Grossen und Ganzen bereits gegeben ist? Dass der aktive Widerstand – klein bis marginal – damit de facto nicht mehr als wesentliche Grösse zu verstehen ist? Oder gibt es auch andere Gründe für diese Umfrage?
Über den wichtigsten Fakt ist man sich nämlich einig: Dass nutzniessende Industriegesellschaften ihre hochgradig toxischen Abfälle nachhaltig zu «entsorgen» haben, versteht sich heutzutage von selbst, wie dies erwartungsgemäss auch die Umfrage bestätigt. Dass dies vorzugsweise in einem Tiefenlager erfolgen soll, und nicht in oberirdischen Zwischenlagern, ist ebenfalls allseitig anerkannt. Der grosse Teil der Umfrageergebnisse bringt also kaum etwas Neues.
Interessant ist allerdings die mediale Rezeption der vielbeachteten Befragung am 6. Februar 2024. Die meisten Bewohner hätten «keine Angst vor Atommüll im Stadel», titelte etwa der «Zürcher Unterländer«. Andere Medien wie «SRF», «Blick» oder «Watson» pflichteten diesem Befund bei. Auf seinem Web-Portal schrieb der Kanton Zürich dazu, dass sich die Schweiz das Jahrhundertprojekt Tiefenlager zutraue, und schaltete zudem die GfS-Studie auf.
Eine Analyse der Befunde erfolgte leider durch kein einziges Medium, obschon Umfragen bekannterweise über die Fragestellung massgebend beeinflusst werden. Interessant wäre etwa gewesen, wie die Teilnehmer der Umfrage das eigenartige Standortwahlverfahren und dessen Glaubwürdigkeit eingeschätzt hätten, nachdem ja der Standort Nördlich Lägern am Ende der Etappe 2 des Sachplans von der Nagra fallengelassen worden war. Man hätte sich beispielsweise auch Gedanken machen können, weshalb eine technisch-wissenschaftliche Institution wie die Nagra an der Frage interessiert ist, ob bei «gelöster Endlagerung neue Kraftwerke akzeptabel» seien. Wäre das nicht – wenn schon – die Aufgabe der Kernkraftwerkbetreiber, dies zu ermitteln? Wäre es nicht viel klüger und glaubwürdiger, die öffentliche Hand endlich damit zu beauftragen, genau diese Prozesse der Akzeptanz zu führen und zu analysieren und die Nagra auf das Feld zu verweisen, für das diese zuständig ist: nämlich die Bearbeitung wissenschaftlicher und technischer Sachfragen?
Die Suche nach Lösungen für radioaktive Abfälle in der Schweiz zeichnet sich Jahrzehnten dadurch aus, dass die Verursacher der Abfälle zentrale Aufgaben der Langzeitsicherheit übernehmen, die nicht dem Produzenten, sondern der betroffenen Gemeinschaft vorbehalten wären. Zeit also, die Frage dieser Langzeitverantwortung beim Verursacherprinzip grundsätzlich zu überdenken.
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Der Geologe und Entsorgungsspezialist Marcos Buser, Senior scientist, war ehemals Mitglied diverser Regierungskommissionen, so der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit.
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