Walter Wildi und Marcos Buser
Titelbild: Der Rhein (Vorfluter des Tiefengrundwasses), Thermalquelle Baden (Photo A. Lambert): Zwei wichtige Elemente des Tiefengrundwasser- und Thermalwasserssystems nördlich Lägern.
Das Modell
In unserem Blogbeitrag vom 24. Februar 2023 beschrieben wir die Konfliktsituation zwischen der Nutzung der Erdwärme (Geothermie) und der geologischen Tiefenlagerung in der Region Nördlich Lägern. Zur Erinnerung:
- Das untere Aaretal und das benachbarten Rheintal sind die Region mit dem grössten Erdwärmefluss in der Schweiz (Abb. 1). Das Standortgebiet Nördlich Lägern ist Teil dieser Region.
- Wie wir seit einer Publikation, basierend auf einem Modell[1] aus dem Jahr 1985 zu wissen glauben, kann dieser Wärmefluss durch aufsteigendes Thermalwasser erklärt werden, welches sich durch die Infiltration in den Alpen (und im Schwarzwald) und dem darauf folgenden Fluss in den Grundwasserleitern unter dem Schweizerischen Mittelland und dem Jura bildet, um schlussendlich im Aare- und Rheintal an die Oberfläche zu stossen.[2]
- Unter der Bedeckung durch die Sedimentschichten des Mesozoïkums (Trias, Jura), des Paläogens und Neogens (früher: Tertiär), steht dieses Wasser unter Druck («gespanntes Wasser») und steigt als Thermalwasser in Richtung der Erdoberfläche auf, wenn der Grundwasserträger (d.h. die Gesteinsformation in welcher das Wasser zirkuliert) angebohrt, oder durch die natürliche Erosion freigelegt wird.
- Die Standortregion Nördlich Lägern liegt innerhalb des Dreiecks der genutzten Thermalquellen von Baden/Ennetbaden, Zurzach und Eglisau.
Abbildung 1: Karte des Erdwärmeflusses in der Schweiz (Quelle: VGKA, Verein Geothermische Kraftwerke Aargau).
- Unter der Standortregion Nördlich Lägern finden sich mehrere Grundwasserträger. Die Wichtigsten sind Sandsteine der Molasse, Malmkalke, Kalke im Dogger und Lias, Muschelkalk, der Buntsandstein und geologische Formationen im Permokarbon-Becken und im Grundgebirge. Die wohl wichtigsten Grundwasservorkommen sind jene im Hauptmuschelkalk und im Malm (Abb. 2).
Wir haben im Blogbeitrag vom 24. Februar 2023 in erster Linie auf das Problem der Ressourcenkonflikte hingewiesen, sei es durch die Nutzung des Tiefengrundwassers, sei es durch die Nutzung der Erdwärme durch Sonden, von denen im Kanton Zürich und Nördlich Lägern hunderte, teils bis in Tiefen von 400 m im Untergrund installiert wurden.
Vom theoretischen Modell zu den Messdaten
Im Rahmen der Etappe 3 des «Sachplans geologische Tiefenlager» realisierte die Nagra in den Standortregionen Zürich Nordost, Nördlich Lägern und Jura Ost in den vergangenen Jahren mehrere Sondierbohrungen. In diesen Bohrungen führte sie umfangreiche physikalische Messungen durch. So mass sie u.a. den Wasserdruck in den wichtigen Grundwasserträgern und bestimmte auf diese Weise die Höhe des Druckes und somit der Höhe, in welche das Grundwasser in einer gegen oben offenen Röhre (oder in einer tektonischen Kluft) aufsteigen könnte.
Die Berichte zu diesen Sondierbohrungen und ihren Messdaten wurden ab dem Jahr 2020 publiziert. Der letzte Bericht, betreffend die Sondierbohrung Stadel 2-1 (Nagra, NAB 22-02), wurde am 5.07.2023 auf Internet aufgeschaltet, der zweitletzte Bericht, zur Sondierbohrung Stadel Stadel 3-1 (Nagra NAB 22-01), erschien am 23.03.2023. Diese Berichte bestätigen unsern Blogbeitrag vom 24. Januar 2023 und bringen folgende Präzisierungen:
- Der Druck des gespannten Grundwasserspiegel des Muschelkalkes in der Sondierbohrung Stadel 2-1 erreicht 354 m ü.M., jener von Stadel 3-1 bei 353 m ü.M. Eine freie Wasserkolonne mit ihrer Basis im Muschelkalk (z.B. in einer Kluft, oder in einer Tiefbohrung)reicht damit weit in die Molasse hinauf, nahe der Erdoberfläche (Abb. 2, Tabelle 1).
- Interessanter Weise entspricht dies auch der Höhe der Thermalquellen von Baden und ist nur etwa 10 m höher als die natürliche Thermalquelle von Schinznach Bad.
- Auch der Rhein am Fuss des Rheinfalls, und die Limmat bei den Thermalquellen von Baden liegen auf derselben Höhe.
- Der Rhein bildet Nördlich Lägern den Vorfluter (den natürlichen Ausfluss) der Muschelkalk- und Malm-Grundwasser.
- Die Druckniveaus der Grundwasserspiegel der Malmkalke und des Muschelkalkes liegen nahe beisammen. Es stellt sich die Frage, ob dies einzig auf den gemeinsamen Vorfluter (den Rhein) zurückzuführen ist, oder ob allenfalls ein Kurzschluss (eine Verbindung) zwischen Muschelkalk- und Malm-Grundwasser bestehen könnte?
Wie im kommenden Abschnitt dargestellt, könnten diese Grundwasserverhältnisse einen grossen (wenn nicht gar entscheidenden) Einfluss auf das Projekt der Nagra für ein geologisches Tiefenlager haben.
Abbildung 2: Als Verwitterungslog umgezeichnetes Bohrprofil Stadel-2-1 (Nagra NAB-22-02); Grundwasserdruckspiegel im Hauptmuschelkalk und im Malm (weitere Druckspiegel (siehe NAB-22-02), Tiefe der Erdwärmesonden, des geologischen Tiefenlages und seines gespannten Grundwasserspiegels.
Tabelle 1: Grundwasserspiegel aus dem Muschelkalk und dem Malm in und um Nördlich Lägern.
Risiken für das geologische Tiefenlager
Anlässlich des Baus eines geologischen Tiefenlagers Nördlich Lägern würden Zugangsschächte und -Stollen unterhalb einem Niveau von 350 m über dem Meeresspiegel (Abb. 2, in der Unteren Süsswassermolasse) unter teils hohem Druck stehendes Grundwasser durchqueren. Dabei wäre der Zufluss im Malm praktisch sicher, sei es aus geklüfteten Kalken, sei es aus Karsthöhlen (siehe hierzu auch die Einschätzung der Nagra für die Malmkalke in Stadel[3],[4]). Der Druck des gespannten Grundwasser, kann aus Abb. 2 für den Standort Stadel ermessen werden.
Die Zuflussmengen aus den Malmkalken werden durch die Nagra als gering eingeschätzt (Narga 2023)[5]. Allerdings beschränken sich unsere Kenntnisse des Malm-Aquifers auf wenige Bohrungen. Die Zuflüsse könnten daher in den verkarsteten und geklüfteten Kalken auch gross oder sehr gross sein und erst dann verlässlich eingeschätzt werden, wenn die Gesteinsformation dereinst durch Schächte und/oder Stollen durchbohrt würde.
Ein weiterer möglicher Wasserfluss zum Tiefenlager und dessen Zufahrten kann über tektonische Klüfte führen. Diese könnten namentlich in der Weiach-Glattfelden-Eglisau Störungszone (unser Blogbeitrag vom 25. Januar 2023, Abb. 1), deren südlichen Abzweigungen und im Baden-Irchel-Herdern Lineament auftreten. Die effektive Wasserführung dieser tektonischen Störungen ist nicht bekannt. Die Existenz anderer, heute nicht identifizierter Störungen kann man nicht ausschliessen.
Ein besonderes Problem stellen die Zugangsschächte und -Stollen, inklusive ihre beim Bau entstandenen Auflockerungszonen dar. Bei kleinem Wasserzufluss könnte dieser während dem Bau und Betrieb allenfalls abgepumpt werden. Bei grösserem Zufluss müssten die Zugangsbauten, inklusive ihre Auflockerungszonen, ab einer Tiefe von 350 m ü.M. gegen das umgebende Gestein druckfest abgedichtet werden, um das Eindringen des gespannten Tiefengrundwassers zu verhindern. Stolleneinbauten und Injektionen haben eine Lebensdauer von wenigen Jahrzehnten, in Autobahntunnels von etwa 30 bis 50 Jahren (Beispiel: Belchen-Tunnel). Danach müssen sie renoviert oder ersetzt werden. Dies wäre bei einem Tiefenlager bis zum Zeitpunkt des Lagerverschlusses denkbar. Nach dem Verschluss der Lagerzugänge würden die Einbauten in Kürze verwittern und die Schächte und Stollen würden sich – mit welcher Methode sie auch immer verfüllt werden – mit Wasser aufsättigen. Das Tiefengrundwasser würde dann mit einem Druck von bis zu 70 Bar zum Tiefenlager vordringen. Gleichzeitig entstände dadurch ein Kurzschluss vom Tiefenlager durch die verschiedenen Gesteinsformationen hindurch, bis in die Molasse (über die Erdwärmesonden eventuell bis an die Erdoberfläche, siehe Abb. 2).
Ein weiteres Risiko könnte aus der Verformungen des Opalinustons aufgrund des Baus der zahlreichen, in kleiner Entfernung voneinander erstellten Lagerstollen entstehen. Sicher unterschätzt man heute die Konsequenzen der Veränderungen der Spannungen im Erdinnern als Folge nah beieinander liegender Stollenbauten[6].
In Schacht- oder Stollenbauten kann man Wassereinbrüche eventuell kurzfristig bewältigen (Nagra 2022 a). Für eine Abdichtung gegen Wasserzutritte unter hohem Druck während hunderten und tausenden von Jahren ist uns jedoch keine technische Lösung bekannt. Das eingedrungene Wasser fände sich also über kurz oder lang im geologischen Tiefenlager im Opalinuston. Während dem Bau und Betrieb eines geologischen Tiefenlagers Nördlich Lägern würde der Wasserhaushalt, unter der ständigen Bedrohung eines möglichen Wassereinbruchs, zu einer grossen Herausforderung.
Ein Tiefenlager Nördlich Lägern steht mit dieser Bedrohung nicht alleine da. So kam es beispielsweise in einem Bergwerk in New Brunswick (Kanada) nach zwölf Betriebsjahren zu einem Wassereinbruch, der nicht mehr kontrolliert werden konnte [7]. Besonders häufig wurden in der Vergangenheit Salzbergwerke in Deutschland überflutet[8]. Ähnliche Fälle sind aber auch aus den USA[9] und der Ukraine[10] bekannt.
Wohin mit dem Tiefenlager?
Unter den gegebenen Umständen (siehe auch Abb. 3) würden Bau und Betrieb eines geologischen Tiefenlagers in der Standortregion Nördlich Lägern unterhalb dem Niveau des Rheins, der hier als Vorfluter für die Tiefengrundwässer funktioniert, unter grossem Wasserdruck geschehen, mit dem immerwährenden Risiko eines Wassereinbruchs. Es stellt sich die Frage: Ist dies für eine Zeitspanne von Jahrtausenden, also für die erforderliche Dauer der Isolation eines geologischen Tiefenlagers von der Umwelt zu verantworten?
Offensichtlich ist man in der dritten Etappe des Sachplans aufgrund fehlerhafter Entscheide in diese Situation geschlittert. Es stellt sich somit die Frage: Hätte es andere Standorte gegeben, an welchen die oben erwähnten Risiken nicht, oder zumindest nicht in dieser Schärfe auftreten würden? Bedingung für einen besseren Standortwäre wäre etwa, dass der Opalinuston über dem Niveau der Vorfluter von Rhein und Aare liegt. Diese Standorte schieden allerdings in der dritten Etappe des Sachplans aus, namentlich weil die Grundwasserfrage bei der Endauswahl weitgehend vernachlässigt wurde.
Abbildung 3: Geologisches Profil Nördlich Lägern (NAGRA 14-02, Beilage A2-5, ergänzt); Niveau der Druckspiegel der Tiefengrundwässer aus dem Muschelkalk und den Malmkalken in den Sondierbohrungen Stadel 2-1 und 3-1; tiefste Erdwärmesonden Nördlich Lägern.
Verdankung: Wir danken unsern Revisoren für Korrektur- und Verbesserungsvorschläge. Die Autoren sind aber allein verantwortlich für den Inhalt.
[1] Kimmeier, F., Perrochet, O., Andrews, R. & Kiraly 1985 : Simulation par Modèle Mathématique des Ecoulements Souterra¡ns entre les Alpes et la Forêt Noire. NTB 84-50, Nagra, Wettingen.
[2] Siehe auch : Hydrogeologischer Atlas der Schweiz. https://hydrologischeratlas.ch/produkte/druckausgabe/boden-und-grundwasser/tafel-8-3
[3] Nagra 2022 a : Beherrschung möglicher karstbedingter Wasserzutritte während des Baus und Betriebs eines geologischen Tiefenlagers. NAB 22-41.
[4] Nagra 2022 b : Tiefengrundwässer in der Nordschweiz und im angrenzenden Süddeutschland: Beschaffenheit, Herkunft und unterirdische Verweilzeit. NTB 19-02.
[5] Nagra 2023 : Bautechnisches Dossier Standortvergleich. Band 3: Bautechnisch relevante Auszüge geologischer Grundlagen Nördlich Lägern. NAB 23-01, Band III.
[6] https://www.20min.ch/story/gotthard-tunnel-gesperrt-zwischendecke-entfernt-121-215069067222 : «Gotthard Strassentunnel: Eigentlich müsste die zweite Röhre weiter weg vom Tunnel sein»
[7] www1.gnb.ca
[8] Baumert, B., 1928, Über Laugen- und Wasserzuflüsse im deutschen Kalibergbau, Diss. TH Aachen, S. 51; Gimm, W., 1968, Kali- und Steinsalzbergbau, Bd.1, 600 S., Leipzig; Hoppe, W., 1960, Die Kali- und Steinsalz des Zechsteins in der Deutschen Demokratischen Republik, Teil 1, Das Werra Gebiet. Freiberger Forschungshefte, Akademie-Verlag Berlin, S. 131; Spackeler, G., 1950, Lehrbuch des Kali- und Steinsalzbergbaus. In: Kegel, Spackeler & Rammler (Hrsg.): Berg- und Aufbereitungstechnik, 2, 9b, 448 S., Halle (Saale); Schwandt, A., 1972, Beziehungen zwischen untertägigen Salzlösungszuflüssen und Tektonik im Kalibergbau der DDR, Berichte der deutschen Gesellschaft geol. Wiss. A., Berlin 17,2; Schwerter, R., Die Bekämpfung von Salzlösungszuflüssen, Kali und Steinsalz, Band 11 Heft 1/2; Spier, H.H.,, Ruck, H., 1997, Verwahrung von Salzbergwerken, Ergebnisse und Konzepte, Kali + Steinsalz 12, /5, Juli 1997, S. 178.
[9] Kappel, W., Yager, M., Miller, T., 1994, The Retsof Salt Mine Collapse, Widespread subsidence occured after a mine collapse in the Genesee Valley, New York, U.S. Geological Survey; Yager, Richard. M., 2013, Environmental consequences of the Retsof Salt Mine Roof Collapse, U.S. Department of Interior, U.S. Geological Service, USGS Open-File Report 2013-1174.
[10] Stoeckl, L., Banks, V., Shekhunova, S., Yakovlev, Y., 2020, The hydrogeological situation after salt-mine collapses at Solotvyno, Ukraine, Journal of hydrology, Regional Studies, Volume 30, August 2020
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