Wir haben in den Blog-Beiträgen vom 11. und 18. Januar 2016 die Zusammensetzung der radioaktiven Abfälle aufgezeigt und die mit den Abfallgemischen zusammenhängenden Probleme erläutert. In den folgenden beiden Beiträgen möchten wir uns nun der konkreten Eigenschaften der Abfälle annehmen und der Bedeutung, welche diese für ein geologisches Tiefenlager haben. Einleitend sei vermerkt, dass sich hier ein gewaltiges Feld öffnet, was das Wissen, aber auch die Kenntnislücken angeht, wie sich diese Abfallgemische über die langen Lagerzeiten hinweg tatsächlich verhalten werden.
Im ersten dieser beiden Beiträge werden wir physikalische Eigenschaften der Abfallgemische im Tiefenlager besprechen. Im zweiten Beitrag stehen dann eine Betrachtung anderer Eigenschaften und Transformationsprozesse im Vordergrund. Der dritte Beitrag bewertet die Abfallqualität während der verschiedenen Lagerphasen und leuchtet die Probleme für die Lagerung der Abfälle im Tiefuntergrund aus.
Bei den physikalischen Eigenschaften möchten wir in erster Linie zwei sicherheitsbestimmende Merkmale erläutern. Sie hängen direkt mit der physikalischen „Antwort“ auf den Zusammenprall eines Atomkerns mit weiteren Bausteinen von Materie zusammen und ermöglichen die Spaltung von Atomkernen oder deren Umwandlung in teilweise spaltbare Folgeprodukte (siehe Kästchen). Beim Spaltprozess werden riesige Mengen an Energie freigesetzt, und zwar in Form von Wärme. Zugleich werden weitere Teilchen herausgeschleudert, die als „Strahlung“ bezeichnet werden. Je nach Teilchen wird von sogenannter Alpha-, Beta-, Gamma- oder Neutronenstrahlung gesprochen.
Das in den Brennelementen in Uranoxidpastillen enthaltene Gemisch von Uranium 235 und Uranium 238 reagiert bei Beschuss in der oben beschriebenen Art. Uranium 235 kann sich spalten. Uranium 238 kann sich nicht spalten, kann sich aber umwandeln in spaltbare Elemente. Auf diese Weise entstehen in den bestrahlten Brennelementen im Reaktor weitere Gemische aus unterschiedlichen strahlenden Elementen. Die kleineren und häufig stark radioaktiven Elemente werden Spaltprodukte genannt. Die via Uranium 238 umgewandelten radioaktiven Elemente werden als Transurane bezeichnet. Damit haben wir die Basis für die Betrachtung des radioaktiven Inventars in den Abfällen gelegt.
Spaltprodukte sind in der Regel sehr viel kurzlebiger als Transurane. Die Bruchstücke, die z.B. beim Spaltprozess des Uraniums 235 entstehen, sind mehrheitlich kurz- oder sehr kurzlebig und wandeln sich vielfach über weitere radioaktive kurzlebige Spaltprodukte in stabile nicht radioaktive Elemente um. Dabei entsteht sehr viel Zerfallswärme, die ihrerseits im Reaktor zur Erhitzung von Wasser und über Turbinen zur Stromerzeugung genutzt wird, danach aber dazu führt, dass die abgebrannten Brennelemente während Jahren und Jahrzehnten in nassen Lagerbecken (Nasslager) abgekühlt werden müssen und in speziellen luftgekühlten Behältern (Castoren) an der Luft zwischenlagern, bis an eine Einlagerung in ein Gestein gedacht werden kann.
Bei der Atomspaltung entstehen auch Spaltprodukte mit „mittleren“ und solche mit „langen“ Halbwertszeiten. In der „mittleren“ Gruppe sind zwei Elemente bestimmend: Caesium 137 und Strontium 90 (und das Tochterprodukt Yttrium 90), die vor allem biologisch in Muskelgewebe oder Knochen eingebaut werden können. Beide Elemente haben Halbwertszeiten von rund 30 Jahren: nach 300 Jahren sind also noch ein Promille, nach 600 Jahren ein Millionstel und nach rund 100 Jahren weniger als ein Milliardstel des originalen Ausgangsnuklids vorhanden. Daneben gibt es aber 7 langlebige Spaltprodukte, etwa Technetium oder Masurium 99 (Halbwertszeit 211’000 Jahre) und Iod 129 (Halbwertszeit 15.7 Millionen Jahre). Technetium 99, das einer Zerfallskette um Yttrium 99 entstammt, kann sich in Meeresschalentieren anreichern, gilt aber chemisch als nicht besonders toxisch. Dagegen ist das Iod 129 durch seine Schilddrüsen-Affinität – trotz schwacher Radioaktivität – ein kritisches Nuklid, das vor allem via Wiederaufarbeitungsanlagen an die Umwelt gelangt. Es spielt aber auch bei Reaktorunfällen eine wichtige Rolle.[1]
Figur 1 veranschaulicht den Zerfallsverlauf der Spaltprodukte anhand des sogenannten Toxizitätsindexes von hochaktivem verfestigtem Abfall aus der Wiederaufarbeitung von Brennelementen von Druckwasserreaktoren mit einem Abbrand von 33’000 MWd/t (Megawatt-Tag/Tonne). Der Toxizitätsindex wird als Verhältnis zwischen Wassermenge und Abfallvolumen definiert, das erforderlich ist, um radioaktive Stoffe so zu verdünnen, dass die Strahlenschutzstandards erfüllt werden können. Es ist also eine empirische Grösse, die entsprechend den Erkenntnissen der Radiotoxikologie angepasst wird oder werden muss.
Was Figur 1 sehr schön zeigt ist, dass die Spaltprodukte in den ersten rund 1’000 Jahren um einen Faktor von gegen 1 Million abnehmen. Danach dominieren die langlebigen Spaltprodukte über die weiteren Jahrmillionen und mehr.
Auch bei den Transuranen sind ähnliche Zerfallskurven zu beobachten, die Aufschluss über die in der Zeit relevante Abnahme der Giftigkeit geben (Figur 2). Angesichts der langen Halbwertszeiten vieler Transurane verlangsamt sich die Abnahme der Giftigkeit und liegt nach Ablauf von 1 Million Jahre um einen Faktor 1’000 tiefer. Allerdings ist hier die Abtrennung der Plutonium- und Uraniumisotopen aus der Wiederaufarbeitung bereits berücksichtigt. Die Abnahmen sind unter Beachtung dieser Isotope –insbesondere bei Mischoxidabfällen – deutlich langsamer.
Diese Figur erklärt dennoch recht gut, weshalb in vielen internationalen Konzepten eine Lager- oder Isolationszeit von 1 Million Jahren veranschlagt wurde, denn nach dieser Zeitmarke geht die Radioaktivität kaum mehr zurück. Nach einer Million Jahre ist der Abfall weiterhin radioaktiv, nur wird die Abnahme dann extrem langsam und wird von einzelnen Isotopen (Uranium, Iod usw.) dominiert. Sie sinkt dann kaum mehr ab.
Wir halten also fest: in den ersten maximal 1’000 Jahren sind die Spaltprodukte die dominierenden Radionuklide. Danach werden sie von den Transuranen abgelöst, insbesondere bei den nicht-wiederaufbereiteten hochradioaktiven Abfällen (abgebrannte Brennelemente). Nach einer Million Jahre nimmt die Radioaktivität kaum mehr, bzw. nur noch sehr langsam ab. Figur 3 fasst diese Erkenntnisse zusammen (immer noch anhand wiederaufbereiteter Abfälle). Für die Endlagerung hat diese Erkenntnis indes grosse Bedeutung, insbesondere auch wegen der Wärmeleistung, die in erster Linie mit dem Zerfall der Spaltprodukte zusammenhängt.
Der Wärmezerfall ist eine zweite, absolut entscheidende Charakteristik der Abfälle. Sie wird in erster Linie durch die kurzlebigen Spaltprodukte dominiert. Die Wärmeleistung folgt also prinzipiell dem Zerfall der Spaltprodukte. Figur 4 zeigt den Temperaturverlauf eines Behälters mit hochradioaktiven Abfällen. Sie zeigt, dass der Wärmeaustrag in den ersten 100 Jahren extrem hoch ist und verdeutlich darum, weshalb die Abfälle zwischengelagert werden müssen. Bei wiederaufbereiteten Abfällen ist diese Wärmeabnahme indes sehr viel rascher als bei abgebrannten Brennelementen. Dennoch: auch hier zeigt sich, dass die ersten paar hundert Jahre des Lagerprozesses von Abfallwärme aus Behältern und Gebinden mit konzentrierten hochradioaktiven Abfällen dominiert werden. Anders gesagt ist diese Wärmequelle von einschneidender Bedeutung für die Einlagerung solcher Behälter in den Tiefuntergrund.
Zum Abschluss dieses Beitrags weisen wir auf eine dritte wesentliche Eigenschaft der Abfälle hin: die Strahlung, die mit dem Zerfall radioaktiver Stoffe einhergeht. Figur 5 zeigt die Entwicklung der Strahlung gemessen in Curie pro Watt thermische Leistung (Ci/Wth). Bei den Aktivitäten zeigt sich wiederum ein ähnliches Bild: die ersten paar hundert Jahre sind die „strahlungsintesivsten“ Zeiträume, danach gehen die Aktivitäten deutlich zurück. Was zeigt dies: in erster Linie ist diese Feststellung bedeutsam für den Umgang mit hochradioaktiven Behältern, dem sogenannten „handling“. In den ersten paar hundert Jahren ist die Direktstrahlung der Behälter so stark, dass nur unter speziell gesicherten Verhältnissen gearbeitet werden kann. Es braucht Abschirmungen und Robotik, was „heisse Zellen“ bei der Rekonditionierung und Verpackung erforderlich macht und das Eindringen solcher Abfälle in ein Endlager bzw. mögliche Operationen für Bergung und Rückbau von hochradioaktiven Abfällen massiv erschwert.
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Kästchen
Gemäss den theoretischen und in der Praxis verifizierten Modellen verhalten sich Atome beim Beschuss mit Neutronen auf zwei unterschiedliche Weisen: Gewisse Atome mit ungerader Massenzahl[2] sind spaltbar (siehe Figur 3). Es ist wie wenn ein von starken Bindungskräften zusammengehaltener Kugelknäuel mit grauen (Neutronen) und roten (Protonen) Kugeln durch eine weitere graue Kugel, die in diesen Knäuel hereinprescht, in zwei grosse Bruchstücke zerbricht und dabei enorm viel Energie und weitere graue Kugeln freisetzt, die wiederum eine Spaltung weiterer Atomkerne ermöglichen können.
Alle Atome mit gerader Massenzahl sind nicht spaltbar. Gewisse dieser Atome – sie gehören der Reihe der Transurane an – können bei einem Beschuss ein Neutron in den Atomkern aufnehmen und sich umwandeln. Der Kugelknäuel mit grauen und roten Kugeln fängt dann eine oder mehrere weitere graue Kugeln ein und gibt diese nicht mehr (oder nur noch teilweise) frei. Der Kugelhaufen schnappt sich also zusätzliche Kugeln und wandelt sich um. Er verändert also seine innere Anordnung und Bauweise. Auf diese Weise entstehen neue Elemente, die teilweise wieder spaltbar sind. Dies ist etwa der Fall von Uranium 238, welches bei Neutronenbeschuss ein Neutron aufnehmen kann und sich in Neptunium 239 umwandelt. Dieses transformiert sich bei einer Halbwertszeit von 2.355 Tagen und unter Abgabe von radioaktiver Strahlung in das allseits bekannte Plutonium 239, das wiederum zerfällt. Seite Halbwertszeit, also die Zeit, bei der die Hälfte der Atome dieser Sorte zerfallen, beträgt rund 24’000 Jahre.
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