Von Marcos Buser
Titelbild: Sickerwasser im Bergwerk und „Versuchsendlager“ Asse (Foto: Bundesamt für Strahlenschutz, aus: https://www.kontextwochenzeitung.de/wirtschaft/62/radioaktive-zeitbombe-aus-karlsruhe-840.html)
Teil 2.1: Die Duale Strategie
Hintergrund: Die duale Strategie nimmt sich vor, einen geordneten Prozess im Umgang mit radioaktiven Abfällen einzuleiten und strebt eine Neuordnung von Strategien, Strukturen und Verantwortlichkeiten an. Diese Strategie ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Reflexionsprozesses, welcher der Praxis- Erfahrung als Projektleiter von Sanierungsprojekten und als Planer sowie der interdisziplinären Bearbeitung von Entsorgungsprojekten wichtige Impulse verdankt (siehe hierzu die Referenzen in der Fussnote).[1].
Die duale Strategie beruht auf folgenden fünf Eckpfeilern:
Strategien: Was am augenfälligsten bei den heutigen Konzepten und Projekten fehlt, sind kohärente und funktionierende Langzeitstrategien im Umgang mit radioaktiven Abfällen. Weder die politisch Verantwortlichen noch die zuständigen Institutionen und Kontrollbehörden sind heute in der Lage, das heisse Eisen „Endlagerung“ in einer nützlichen Frist – also innerhalb des nächsten Jahrhunderts – einer Lösung zuzuführen. Als Konsequenz häuft sich weltweit ein gewaltiges, in hunderten und aberhunderten von Zwischenlagern verstreutes radiologisches Risiko an. So haben sich laut internationalen Atomenergieagentur IAEA bis heute rein rechnerisch rund 367’000 t [2] hoch radioaktiver Abfälle angesammelt – Tendenz steigend, da die Betriebsaufnahme eines Endlagers überall in den Sternen steht, selbst bei jenen Ländern, die über weiter fortgeschrittene Programme verfügen (Frankreich, Schweden und Finnland). Dass man diese Politik unbesehen fortführt muss als Verantwortungslosigkeit ersten Grades bezeichnet werden. Was dringend von kernenergienutzenden Staaten geleistet werden müsste, ist ein grundsätzliches Umdenken bei der Festlegung der strategischen Prioritäten im Bereich der Atomenergie. Am wichtigsten – weil für die Sicherheit weiter Regionen relevant – wäre das Sichern des bestehenden radioaktiven Inventars in zentralen, gut geschützten Langzeit-Zwischenlagern, was unter den heutigen und künftig absehbaren Bedingungen von grösster Bedeutung ist (siehe unten).
Die gesamte Strategie im Umgang mit dem radioaktiven Legat müsste von Grund auf analysiert werden: neben der Sicherung betrifft dies auch die verfolgte Strategie eines Bergwerktiefenlagers in rund 500 m Tiefe, die verantwortlichen Organisationsstrukturen und die Prozesssteuerung, die Forschungs- und Entwicklungsprogramme, die konzeptuellen Ansätze für die Lösung der bestehenden Probleme bis hin zum Umgang mit bzw. dem Einbezug der betroffenen Bevölkerung. Auch die Möglichkeit von gemeinsamen europäischen Strategien müsste vertieft aufgegriffen und weiter entwickelt werden. Die Politik ist träge und kommt ihren Verpflichtungen zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung der geschaffenen atomaren Lasten nur zögernd nach. Die verantwortlichen politischen Handlungsträger und Institutionen schieben die Verantwortlichkeiten immer wieder weiter in Zukunft ab, wie sich an den laufend verschobenen Planungen (und Zeitplänen) unschwer zeigen lässt. Ein kaum übersehbarer Kostenschub zeichnet sich bei der Entsorgung zu Lasten der Atomindustrie und insbesondere zu Lasten der öffentliche Hand ab, die ja immer wieder als Auffangnetz für die Sünden von „to big to fail“-Industrien herhalten muss.
Vom konkreten Vorgehen her, braucht es darum eine Denkpause, während der die bisherigen Handlungen und die vorliegenden Probleme offen und nüchtern betrachtet und aufgearbeitet werden müssten. Dies setzt voraus, dass die erforderlichen Sicherungsarbeiten für die Langzeitzwischenlagerung der Abfälle parallel dazu erfolgen (siehe unten). Die politisch verantwortlichen Institutionen sollten endlich Gremien und Personen beiziehen, die für eine unabhängigen Analyse und Bearbeitung dieser Probleme einstehen können und den langfristigen Prozess begleiten können. Dazu braucht es ein Mandat der jeweiligen Parlamente bzw. Regierungen. Dass dies möglich ist, zeigte das Beispiel der EKRA-Kommission in der Schweiz, die in einer politisch aufgeheizten Stimmung den notwendigen Rückhalt für eine neue Konzeption vorlegen konnte, die sehr breite Zustimmung und dadurch auch die Aufnahme im Gesetz fand. Eine strategische Überprüfung und Neuauslegung der Entsorgungsprogramme durch der Sache verpflichtete Fachpersonen tut Not.
Sichern: Alle bisherigen Zeitplanungen für die Umsetzung von gross angekündigten Entsorgungslösungen haben sich in der Vergangenheit als Illusion erwiesen. Diese sind komplexer, anspruchsvoller und teurer als erwartet und brauchen bedeutend mehr Zeit, um umgesetzt zu werden. Anstatt weiterhin von nicht umsetzbaren Projektprämissen auszugehen und die Entsorgungs- und Zwischenlagerungsprogramme laufend herauszuschieben und anzupassen, ist die Abfolge bei der Planung und Ausführung umzukehren: die Sicherung der Abfallzwischenlagerung, die von kapitaler Bedeutung für die gesellschaftliche Sicherheit ist, sollte als erstes langfristig gewährleistet werden, indem die hochaktiven Abfälle in speziell geschützte, oberflächennahe Kavernen im Trockenlagermodus zwischengelagert werden. Gesicherte Verhältnisse bei der längeren Zwischenlagerung sollten es erlauben, alle weiteren Arbeiten parallel dazu zu entwickeln und auszuführen, ohne das Risiko einzugehen, nicht belastbare Konzepte und Projekte voranzutreiben und die Zwischenlagerung in ungenügend gesicherten Anlagen über mehr als 100 Jahre zu verlängern. Ob bereits angedachte tiefere Zwischenlagerlösungen bis weit über 1 km Tiefe (z.B. ART-TEL 1.3) [3] in Frage kommen, bedarf vertiefter Risikoabklärungen. Jedenfalls ist die Notwendigkeit eines längerfristigen Schutzes der Abfälle in „gepanzerten“ Zwischen- und Tiefenlagern grundlegend erkannt.
Ziel ist also eine rasche Sicherung der bestehenden Abfälle, z.B. in speziell geschützten unterirdischen Bunkeranlagen mit hydrogeologisch günstigen Rahmenbedingungen. Diese Sicherungsmassnahme bedarf spezieller längerfristig ausgelegter Wartungs- und Unterhaltsprogramme. Sie sollte möglichst zentral erfolgen. Die Dauer dieser Massnahme wird mit 100 bis maximal 300 Jahre veranschlagt und liegt in der Grössenordnung der Zwischenlagerungszeitspannen, die auch bei den heutigen Programmen vorgesehen sind (mindestens 100 Jahre z.B. Schweiz, Deutschland). Diese Massnahme ist aus Überlegungen zur Sicherheit und zur Sicherung dringend.
Fortsetzung folgt!
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