Schlagzeile
Am 29. Januar 2016 titelte die NZZ: „Energiekonzern in der Krise: Kanton Zürich erwägt AXPO-Ausstieg“. Am selben Tag schrieb der Tagesanzeiger: „Zurzeit überprüfen auch die Kantone St. Gallen und der Aargau ihre Eigentümerstrategie.“ Sowie: „Kantonsrat Robert Brunner (Grüne, Steinmaur) hält die laufende Auslegeordnung des Kantons für mehr als reine Gedankenspiele. «Ich gehe davon aus, dass die Kantone die Axpo fallen lassen werden. Alle versuchen jetzt ihre Haut zu retten», sagt er der Zeitung.
Nun ist es also soweit. Die Kantone prüfen den Ausstieg aus der Axpo. Oder besser gesagt: prüfen den Ausstieg aus dem Geschäftsfeld „Kernenergie“, welches das Unternehmen immer stärker in den Morast der Abschreibungen und Verschuldung und später möglicherweise in den Konkurs treiben dürfte. Nur sagen sie das nicht ganz so, steht es doch auch um die Wasserkraft nicht gut; allerdings haben hier die Kantone über den Wasserzins die Kontrolle über die Situation.
Was sich im Bereich Kernenergie anbahnt war allen klar die es sehen wollten und die seit Jahren, ja sogar Jahrzehnten davor warnten. Nuklearenergie und Atomkraftwerke waren nur in goldenen Zeiten rentabel, in Aufschwungssituationen, durch Unterlassung einer Vollkostenrechnung und unter Berücksichtigung massiver Hilfe durch den Bund, etwa durch die Übernahme der Kostengarantie bei einem Reaktorunfall (Kästchen 1). Jetzt, d.h. in den kommenden Jahren und Jahrzehnten steht der Ausstieg aus der Kernenergie an, mit grossen Stilllegungs- und Entsorgungskosten für Kernanlagen und radioaktive Abfälle. Diese Kosten können durch den heutigen tiefen Strompreis nicht mehr gedeckt werden. Nachschusspflicht für die Aktionäre droht (Kästchen 2)! Und diese Aktionäre sind im Falle der AXPO folgende (https://www.axpo.com/axpo/ch/de/group/investor-relations/shareholders.html):
Es handelt sich also ausschliesslich um Kantone und ihre Elektrizitätswerke. Kantone können aber nicht ohne weiteres Pleite gehen, denn sie können sich bei Bedarf über Steuern refinanzieren. Die Kantone sind heute noch durch den Gründervertrag an AXPO gebunden und könnten Aktien allenfalls einzig unter sich, also gegenseitig handeln.
Laut NZZ schreibt die Zürcher Regierung zur Frage der Finanzierung der AXPO, der Kanton könne nicht zu einer zusätzlichen Kapitaleinlage verpflichtet werden. „Daneben bestehen Haftungsrisiken, zum Beispiel wenn eine Staumauer bricht oder wenn das Geld für die Stilllegung und Entsorgung der Kernkraftwerke nicht ausreicht.“ Der Kanton halte diese Risiken allerdings für gering . . . , und: „ . . . . falls nicht genügend Geld für die Stilllegung und Entsorgung der Kernkraftwerke vorhanden wäre, würde der Bund einspringen.“ Doch, gemäss Zürcher Regierungsrat: „Gegebenenfalls ist damit zu rechnen, dass auch ein politischer Druck auf die Kantone mit indirekten Beteiligungen an Kernkraftwerken ausgeübt wird, einen Beitrag an die fehlenden Mittel zu leisten.“
Die Richtung ist also gegeben: Raus aus der AXPO, auch wenn es rechtlich schwierig wird. Das finanzielle Risiko von Stilllegung und Entsorgung soll so rasch wie möglich auf den Bund abgeschoben werden. Doch wer ist in einer solchen Situation verantwortlich für den sicheren Betrieb der Werke, etwa den beiden Werken in Beznau mit Schäden im Containment? Kann das Werk Beznau I überhaupt wiederangefahren werden unter derart unsicheren Umständen? Und die UREK will bei diesen Verhältnissen auf die Festsetzung von Fristen für den Betrieb der Atommeiler verzichten? Bei derart maroden finanziellen Verhältnissen? Bei dieser Sicherheitslage? Kann man in einer derart bewegten Zeit Entscheide mit solchen Risiken überhaupt noch an eine privatwirtschaftliche Firma delegieren? Es bahnt sich ein dramatisches Jahr für die nukleare Schweiz an.
Wir berichten weiter.
———————————–
Kästchen 1: Es dräut seit Jahrzehnten
Jetzt, wo die fetten Jahre der Atomenergie Schweiz definitiv vorbei sind, die Folgen vergangener Sünden und Tricksereien auf die Finanzen unübersehbar werden und die düsteren „7 mageren Jahre“ anstehen, muss umdisponiert werden. Muss. Nicht soll und schon gar nicht kann. Denn die Situation spitzt sich richtiggehend zu.
Noch vor einem guten Jahr, Ende 2014, verbreitete die Axpo-Führung wortreichen Optimismus. Da hiess es, „Sondereffekte schmälern das solide operative Ergebnis“.[1] Oder: „Die Axpo Trading Gruppe wird sich diesen Herausforderungen stellen und sieht in ihnen vor allem auf internationaler Ebene auch grosse Chancen und wirtschaftliche Opportunitäten.“ Gemeint waren etwa Herausforderungen wie etwa der Abwärtstrend der Strompreise, das volatilere Eigenhandelsgeschäft, die Werthaltigkeit des Kraftwerkparks und Wertberichtigungen usw., usf.
Ein Jahr später knickte sogar der gedämpfte Optimismus des Vorjahrs ein und es hiess – nach mehreren Jahrzehnten der sturen Bekämpfung erneuerbarer Energien: „Axpo ist erneuerbar – Strategie wird konsequent umgesetzt“ und „Axpo ist auf dem richtigen Weg!“. [2] Der abtretende Präsident Lombardini liess es sich aber nicht nehmen, nochmals kräftig gegen den längst fälligen den Kurswechsel auszuteilen: „Ich empfinde die ‹Energiewenden› in Deutschland und der Schweiz als nicht ehrlich.“[3] Aber trotz dieses „Empfindens“ geht die Axpo genau diesen Weg der „Unehrlichkeit“ und schwenkt auf die erneuerbaren Energien um. Die Einsicht kommt allerdings sehr spät, wie sie selbst zugibt: Denn sie muss nun „auch das Risiko des grossen Produktionsportfolios reduzieren.“ Was bei einem derartigen Übergewicht in Sachen Atommeiler im Klartext nichts anderes heisst als: weg von der Atomenergie.
Dieser Schwenker ist letztendlich nur Ausdruck eines sich seit Jahrzehnten abzeichnenden Debakels. Blicken wir kurz zurück. Schon Enrico Fermi, Nobelpreisträger 1938 und eines der Schwergewichte unter den Atomphysikern, hatte 1944 vor den Akzeptanzproblemen bei einer Technik mit solchen Risiken gewarnt: „It is not clear that the public will accept an energy souce that produces this much radioactivity and that can be subject to diversion of materials for bombs.“ [4] Eine Warnung die 1951 noch eindringlicher von James Conant, dem Vorsitzenden des National Defense Research Committee in den Kriegs- und Nachkriegsjahren und langjährigem Präsidenten der Eliteuniversität von Harvard, vorgebracht worden war. Conant sagte voraus, dass sich die Welt von der Atomenergie abwenden würde, weil sich das Problem der radioaktiven Abfälle als unlösbar herausstellen würde[5]. Solarenergie würde die Atomenergie ersetzen. Der Nächste in der Kette der Skeptiker war George Weil, ehemals Fermi’s Assistent bei der ersten erfolgreichen nuklearen Kettenreaktion 1942 in Chicago und erster Direktor für Reaktorentwicklung der US-amerikanischen Atomic Energy Commission (AEC), der ab 1952 zu einem dezidierten Gegner der Atomenergie geworden war und die Meinung vertrat, die Atomenergie hätte – auch des Problems der radioaktiven Abfälle wegen – nie entwickelt werden dürfen.[6] Schliesslich die Einschätzung von Karl Cohen, für die Isotopentrennung unter Nobelpreisträger Harold Urey zuständig und später leitender Wissenschaftler beim Departement für kommerzielle Nuklearentwicklung von General Electric, der grundsätzlich an der Wirtschaftlichkeit der Atomenergie zweifelte.[7] Und und und und …..
Nach Jahrzehnten der Warnzeichen und Warnrufe von Atomphysikern, Reaktorentwicklern, Chemikern, Entsorgungsfachleuten, Wirtschaftswissenschaftlern usw., die massgebend an diesen Programmen beteiligt waren, konkretisiert sich nun das Debakel nun allmählich. Die angehäuften Probleme sind gewaltig, die Entsorgung tritt nach wie vor vor Ort, die Kosten – wie auch ein Blick ins Ausland zeigt – steigen ins Unermessliche. Zeit also, endlich die Konsequenzen aus einer jahrzehntelangen Fehlentwicklung zu ziehen. Auch in der Schweiz.
———————————–
Kästchen 2
Das Kernenergiegesetz (KEG) von 2003 zur Frage der Finanzierung von Stilllegung und Entsorgung
Hier einige Aussagen des Kernenergiegesetzes zur Frage der Insolvenz eines Kraftwerbetreibers und der Finanzierung der Stilllegung der Kernkraftwerke und der Entsorgung der radioaktiven Abfälle:
„Art. 29 Abschluss der Stilllegung
1 . . . .
2 Die stilllegungspflichtige Gesellschaft darf sich nur mit Zustimmung des Departements auflösen.
Art. 31 Pflicht zur Entsorgung
1 Wer eine Kernanlage betreibt oder stilllegt, ist verpflichtet, die aus der Anlage stammenden radioaktiven Abfälle auf eigene Kosten sicher zu entsorgen. Zur Entsorgungspflicht gehören auch die notwendigen Vorbereitungsarbeiten wie Forschung und erdwissenschaftliche Untersuchungen sowie die rechtzeitige Bereitstellung eines geologischen Tiefenlagers.
2 Die Entsorgungspflicht ist erfüllt, wenn:
a.
die Abfälle in ein geologisches Tiefenlager verbracht worden sind und die finanziellen Mittel für die Beobachtungsphase und den allfälligen Verschluss sichergestellt sind;
b.
die Abfälle in eine ausländische Entsorgungsanlage verbracht worden sind.
3 Wird die Rahmenbewilligung für ein Kernkraftwerk auf einen neuen Inhaber übertragen (Art. 66 Abs. 2), sind der bisherige und der neue Inhaber für die bis zur Übertragung der Bewilligung angefallenen Betriebsabfälle und abgebrannten Brennelemente entsorgungspflichtig.
4 Die entsorgungspflichtige Gesellschaft darf sich nur mit Zustimmung des Departements auflösen.
Art. 33 Entsorgung durch den Bund
1 Der Bund entsorgt:
a.
die radioaktiven Abfälle, die nach Artikel 27 Absatz 1 des StSG1 abgeliefert worden sind;
b.
die übrigen radioaktiven Abfälle auf Kosten des Entsorgungsfonds, wenn der Entsorgungspflichtige seinen Pflichten nicht nachkommt.
Art. 78 Ansprüche
1 Jeder Beitragspflichtige hat gegenüber den Fonds einen Anspruch im Umfang seiner geleisteten Beiträge, einschliesslich des Kapitalertrags und abzüglich des Aufwands. Dieser Anspruch kann nicht veräussert, verpfändet, gepfändet oder zur Konkursmasse gezogen werden.
2 Übersteigt der Anspruch eines Beitragspflichtigen gegenüber einem Fonds die geleistete Zahlung, wird ihm der Überschuss innerhalb eines Jahres nach der Schlussabrechnung zurückerstattet.
3 Wird eine Kernanlage aus einer Konkursmasse übernommen, geht der Anspruch gegenüber den Fonds auf den neuen Eigentümer über; dieser hat diejenigen Beiträge zu leisten, welche die konkursite Gesellschaft den Fonds schuldet.
4 Wird die Gesellschaft nach Abschluss eines Konkursverfahrens mit Zustimmung des Departements im Handelsregister gelöscht und wird die Anlage nicht von einer anderen Gesellschaft übernommen, so fallen die eingezahlten Beiträge an die Fonds. Die Fonds verwenden diese Mittel zur Finanzierung der Stilllegungs- und Entsorgungsarbeiten für die betreffende Anlage. Der Bundesrat legt fest, wie ein allfälliger Überschuss verwendet wird.
Art. 80 Nachschusspflicht
1 Übersteigen die Zahlungen eines Fonds zu Gunsten eines Berechtigten dessen Anspruch, muss dieser dem Fonds den Differenzbetrag samt einem marktüblichen Zins zurückbezahlen.
2 Kann der Berechtigte die Rückerstattung innert einer vom Bundesrat festzulegenden Frist nicht leisten, so müssen die übrigen Beitragspflichtigen und Anspruchsberechtigten des entsprechenden Fonds den Differenzbetrag im Verhältnis ihrer Beiträge durch Nachschüsse decken.
3 Die Nachschusspflicht besteht auch:
a.
im Fall von Artikel 78 Absatz 4, wenn die an den Fonds verfallenen Gelder zur Deckung der Stilllegungs- oder Entsorgungskosten nicht ausreichen;
b.
im Fall von Artikel 79 Absatz 3, wenn der Entsorgungspflichtige den Differenzbetrag nicht dem Fonds zurückerstattet.
4 Ist die Deckung des Differenzbetrages für die Nachschusspflichtigen wirtschaftlich nicht tragbar, beschliesst die Bundesversammlung, ob und in welchem Ausmass sich der Bund an den nicht gedeckten Kosten beteiligt.“
Kommentar verfassen