Bild: Walchetor in Zürich, ein Symbol der kantonalen Souveränität
Vorspann
Wie in unserem Blog-Beitrag vom 17. September erwähnt, wurde nun die Stellungnahme der Standortkantone zum Vorschlag der Nagra (2015) für die weitere Untersuchung von zwei Standorten für die Errichtung von geologischen Tiefenlagern für radioaktive Abfälle in der Schweiz publiziert. Im vorliegenden Blogbeitrag werden die wichtigsten Punkte des Berichtes hervorgehoben. Hierzu verwenden wir die sehr informative Zusammenfassung des Berichts und die Empfehlungen. Heraushebungen in Fettschrift durch die Blogautoren. Heraushebungen bedeuten allerdings nicht, dass wir mit der Aussage in jedem Falle einverstanden sind, sondern sie unterstreichen einzig die Bedeutung der Aussage im Rahmen des Berichts der Kantone.
In den nachfolgenden Blog-Beiträgen werden wir wichtige Aspekte des Berichts analysieren und auf deren Konsequenzen für das Entsorgungsprojekt eingehen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass es sich um einen Bericht von direkt betroffenen Parteien handelt.
Im Folgenden sind Auszüge aus dem Bericht kursiv geschrieben.
„Zusammenfassung
Der Sachplan geologische Tiefenlager (SGT) sieht vor, dass sich der Ausschuss der Kantone (AdK) zu den Ergebnissen jeder der drei Etappen des Sachplans äussert und zuhanden des Bundes Empfehlungen abgibt. Die vorliegende Stellungnahme ist keine Vorwegnahme der Stellungnahmen der einzelnen Kantone zu Etappe 2 in der Vernehmlassung. Sie wird aber eine der Grundlagen dafür sein und öffentlich aufgelegt werden.
Der SGT ist ein Projekt mit Pioniercharakter: in seinen zeitlichen Dimensionen, in der Verantwortung der heutigen Generationen für künftige und auch in der breit angelegten Mitsprachemöglichkeit von Akteursgruppen und Bevölkerung, d. h. in seiner gesamten technisch-gesellschaftlichen Komplexität – dies immer unter der Vorgabe, dass die Sicherheit der nuklearen Entsorgung oberste Priorität hat.
Die geologische Tiefenlagerung von radioaktiven Abfällen kann in einem politischen und gesellschaftlichen Umfeld nur erfolgreich durchgeführt werden, wenn das Verfahren transparent, nachvollziehbar, fair und glaubwürdig abläuft und wenn Planung und Ausführung einem hohen wissenschaftlich-technischen Standard entsprechen. Ein geologisches Tiefenlager wird letztlich immer auf einem Kantonsgebiet realisiert werden. Die Kantone haben somit ein ureigenes Interesse daran, dass diese hohen Ansprüche vollumfänglich erfüllt werden.
Die Komplexität des Verfahrens verlangt trotz aller Zielgerichtetheit Flexibilität von allen Beteiligten. Die entsprechenden Arbeitsschritte sind im Sinn einer rollenden Planung stets im Licht neuer Erfahrungen und Erkenntnisse zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen.
Der AdK kommt zum Schluss, dass mit dem Instrument SGT die Herausforderungen eines Auswahlverfahrens mit den Prinzipien Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Fairness und Glaubwürdigkeit grundsätzlich gemeistert werden können. Das Sachplanverfahren hat sich bewährt. Das etappenweise Vorgehen ermöglicht eine schrittweise Entwicklung des Prozesses. Gleichzeitig bietet das Konzept des Sachplans die notwendige Flexibilität, wenn in verschiedenen Bereichen zusätzliche Abklärungen notwendig werden bzw. mehr Zeit für die Klärung einzelner Fragen gewährt werden muss (beispielsweise ausgedehnte Seismik oder die Platzierung der Oberflächenanlagen). Die Gremien des Sachplans schaffen dabei den notwendigen Raum für Diskussionen, sodass im Austausch der Akteure Anpassungen vorgenommen werden können. In Bezug auf den Einengungsprozess sind sich alle überprüfenden Instanzen einig, dem Bundesrat die Standortgebiete Jura Ost (AG), Nördlich Lägern (AG/ZH) und Zürich Nordost (ZH) zur Weiterbearbeitung in Etappe 3 zu empfehlen. Der AdK sichert dem Bund seine weitere Unterstützung im Prozess zu.
Allerdings stellt der AdK auch Mängel fest: Die Prozessführung des Bundesamts für Energie (BFE), die Planung und Durchführung der Arbeiten für das geologische Tiefenlager durch die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) sowie die sicherheits-technischeÜberprüfung der Vorschläge der Nagra durch das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) überzeugen noch nicht in allen Punkten. Nach Auffassung der Kantone beschränkt sich die Führung des BFE zu oft auf die formale Abhandlung vorgesehener Schritte, fehlen in der Planung der Nagra unter anderem Referenzprojekte als wesentliche Grundlage für den Bau der Lager und muss die wissenschaftlich-technische Begutachtung derer Arbeiten in den Bereichen Geomechanik/Bautechnik durch das ENSI verbessert werden. Immer wichtiger wird die integrale und vorausschauende Führung und Steuerung des Prozesses geologische Tiefenlager. Dies bedeutet insbesondere, dass auf Anliegen der Kantone oder Regionen frühzeitig eingegangen wird. Führung umfasst den Willen, wo nötig zusätzliche Abklärungen durchzuführen, aber auch sich auf zentrale Arbeiten zu konzentrieren sowie Arbeiten, die nicht zeitkritisch sind oder den Regionen überlassen werden können, entsprechend zu behandeln. Die Gesamtheit der Befunde und Erkenntnisse am Ende der letzten Phase des Auswahlverfahrens (Etappe 3) muss eine ausreichende Entscheidungsgrundlage sein, um die definitive Standortwahl sicherheitsgerichtet, transparent und fair vornehmen und begründen zu können.
Es ist deshalb für den AdK von zentraler Bedeutung, dass der Bund die Führung des Prozesses verstärkt. Ebenso erwartet er, dass das BFE, das ENSI, aber auch die Kantone und Regionen die notwendigen Ressourcen erhalten, um ihre Aufgaben umfassend wahrnehmen zu können. Zudem empfiehlt der AdK dem Bund, den aktuell vorgesehenen Ablauf nach der Standortbekanntgabe durch die Nagra (gemäss heutiger Planung etwa 2022) zusammen mit den anderen Akteuren noch einmal zu überprüfen.
Empfehlungen des Ausschusses der Kantone (AdK)
A) Grundsätzliche Empfehlungen
Prozessführung und Planung
E1: Der AdK empfiehlt, dass der Bund verstärkt eine integrale, vorausschauende Führung des Prozesses innehat. Dies umfasst insbesondere eine vermehrte inhaltliche Auseinandersetzung mit Anliegen und vorhandenen Sensibilitäten aus den Regionen, Kantonen sowie aus Deutschland.
Nachvollziehbarkeit / Dokumentationsstruktur
E2: Der AdK empfiehlt, dass sowohl die Nagra wie auch das ENSI und das BFE die aktuelle Handhabe der Dokumentierung des Sachplanprozesses geologische Tiefenlager einer kritischen Prüfung unterziehen. Es sind Anpassungen vorzunehmen, die die Nachvollziehbarkeit der Argumentation und der einzelnen Prozessschritte verbessern.
Ressourcen
E3: Der AdK erwartet von den Entsorgungspflichtigen, dass sie die zentrale Rolle der Kantone im Verfahren anerkennen. Die finanzielle Unterstützung für die Kantone und ihre Experten ist deshalb gesamthaft mindestens im bisherigen Rahmen beizubehalten. Ebenso erwartet der AdK, dass das BFE, das ENSI und die Regionen die notwendigen Ressourcen erhalten, um ihre jeweiligen Aufgaben umfassend wahrnehmen zu können.
Meilenstein in Etappe 3
E4: Der AdK empfiehlt dem Bund, Ablauf und Prozessschritte bezüglich Standortauswahl für die Ausarbeitung von Rahmenbewilligungsgesuchen durch die Nagra zusammen mit allen Akteuren auf Optimierungspotenzial zu überprüfen.
B)Empfehlungen zu den einzelnen Themenbereichen der Etappe 2
Sicherheit
E5: Der AdK empfiehlt, der Einhaltung wissenschaftlich-technischer Standards insbesondere auf dem Gebiet der Geomechanik, der Methodik (Sicherheitsnachweis) sowie der entsprechenden behördlichen Überwachung verstärkt Beachtung zu schenken. Die Fachbereiche, Daten, Wissensbestände und Erkenntnisse sind plausibel zusammenzuführen.
E6: Der AdK empfiehlt, in Etappe 3 standortspezifische Lagerkonzepte (mit Alternativen, ein-schliesslich Rückholbarkeit der Abfälle) als Basis für die jeweiligen bautechnischen Referenzprojekte (mit konkreter Lagerauslegung) zu entwickeln. Dies gilt insbesondere für (HAA-) Lagertiefen von 700m und 900 m.
E7: Aus den Bewertungen der AG SiKa/KES ergeben sich die folgenden thematischen Empfehlungen für entsprechende Untersuchungen (Fachbericht Kapitel 9, S. 22):
Schichtaufbau und lokale Tektonik
- Tiefenlage: Identifikation der genauen Tiefenlage aller nachpaläozoischen Einheiten sowie deren Mächtigkeit und Qualität (insbesondere Quartär, Opalinuston sowie obere und untere Rahmengesteine)
- Opalinuston mit gesamtem einschlusswirksamem Gebirgsbereich: Erfassung der Zusammensetzung (einschliesslich Tongehalt) und der physikalischen, chemischen, hydrogeologischen und mechanischen Eigenschaften; Abschätzung der regionalen Variabilität der Struktur des Untergrunds in jedem der drei HAA-Standorte.
- Inhomogenitäten: Kartierung der Störungsmuster und -dichte sowie der tektonischen Schwäche- und Strukturzonen mit vertikalen Versätzen von mehr als 10 Metern sowie – womöglich – Altersangabe der Bewegungen (insbesondere den einschlusswirksamen Gebirgsbereich beeinflussende tektonische Strukturen).
- Lokalisation der Permokarbontröge: möglichst genaue Kartierung.
- Störungen an und in den Permokarbontrögen: Kartierung von Örtlichkeiten und Geometrie im Zusammenhang mit den drei HAA-Standorten.
- Sedimente in den Permokarbontrögen: Abschätzung ihres Ressourcenpotenzials für künftige Generationen zur Vermeidung von Nutzungskonflikten, Bestimmung ihrer Zusammensetzung und anderer Schlüsseleigenschaften (z. B. Kohle, Erdgas oder Geothermie).
Neotektonik
- Reaktivierung von Störungen: Abschätzung der Möglichkeit einer Reaktivierung bestehender Störungen und Schwäche- und Strukturzonen sowie von differenziellen kleinräumigen, im Massstab der HAA-Standorte befindlichen, vertikalen und horizontalen Bewegungen der oberen Erdkruste (einschliesslich nachpaläozoische Einheiten).
Erosion
- Darstellung der übertieften Felsrinnen–Datierung der massgebenden Terrassensysteme, vor allem in ZNO und JO–Auslotung der Möglichkeiten einer Tieferlegung der Lager in JO und ZNO.
Hydrogeologie
- Zielgerichtete Untersuchungen der hydrogeologischen Verhältnisse mit möglichst flächendeckender Kartierung der Druckverhältnisse, Aufdeckung allfälliger präferenzieller Fliesswege und der Verweilzeiten der Tiefenwässer sowie Bestätigung bekannter und Identifikation bisher unbekannter Exfiltrationszonen.
Referenzprojekte
- Ausarbeitung von Referenzprojekten nach den Regeln der Baukunde für vergleichende Betrachtungen der Standortgebiete, für qualitative Bewertungen und insbesondere als Grundlage für sicherheitstechnische Untersuchungen.
Oberflächenanlagen
E8: Der AdK empfiehlt, die Kantone in allen Planungen weiterhin frühzeitig einzubeziehen, damit die kantonalen Interessen rechtzeitig einfliessen.
E9: Der AdK empfiehlt, in allen weiteren Planungsschritten immer eine integrale Betrachtung sämtlicher Anlagen sowie der Strahlenschutz- und Umweltaspekte vorzunehmen. Systemgrenzen müssen bewusst und nachvollziehbar gezogen werden
Sozioökonomische Studien
E10: Der AdK empfiehlt dem BFE eine verstärkte Steuerung der Studienlandschaft. Neue Studien sollen nur bei ausgewiesenem Bedarf durchgeführt werden und nur, wenn ein neuer Erkenntnisgewinn und wissenschaftlich belastbare Ergebnisse erwartet werden können.
E11: Der AdK empfiehlt allen Akteuren, die Ergebnisse der Gesellschaftsstudie in den weiteren Planungsstudien mit zu berücksichtigen.
Regionale Participation
E12: Der AdK empfiehlt dem BFE, die Anregungen und Fragen aus den Regionen, Kantonen und aus Deutschland in Etappe 3 rechtzeitig aufzunehmen, um tragfähige und akzeptierte Lösungen zu finden.
E13: Der AdK empfiehlt, die noch offenen Fragen im Zusammenhang mit der vorgesehenen Vereinsgründung in der notwendigen Tiefe zu klären.
E14: Der AdK empfiehlt, den einzelnen Regionen in der Ausgestaltung ihrer künftigen Vereinsstatuten grösstmögliche Freiheit, unter Wahrung der Interessen von Minderheiten, zu belassen.
E15: Der AdK empfiehlt sicherzustellen, dass die Spielregeln für alle Aufgaben der Regionalkonferenz in Etappe 3, insbesondere der tatsächliche Grad der Partizipation, zu Beginn der Etappe allen Beteiligten bekannt sind.
E16: Der AdK hält fest, dass die Abgeltungen wesentlicher Bestandteil des Sachplanverfahrens sind, weil damit eine Region für die Übernahme der nationalen Aufgabe «Entsorgung der radioaktiven Abfälle» entschädigt wird. Ohne Abgeltungen droht nach Überzeugung des AdK das Verfahren zu scheitern.
Kommunikation und Information
E17: Der AdK empfiehlt, die Geschäftsstellen der Regionalkonferenzen sowie die Kantone rechtzeitig in der Terminplanung einzubeziehen. »
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Abkürzungen
AdK Ausschuss der Kantone
BFE Bundesamt für Energie
ENSI Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat
JO Jura Ost
Nagra Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle
NL Nördlich Lägern
ZNO Zürich Nordost
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