Bild: Walchetor in Zürich, ein Symbol der kantonalen Souveränität
Abkürzungsverzeichnis am Ende dieses Beitrags.
Kantone als Parteien im Sachplanverfahren
Herausgeber des Berichtes ist der AdK, der « Ausschuss der Kantone ». Dieser umfasst Vertreter aller in Etappe 1 des Sachplans geologische Tiefenlager (SGT) direkt oder indirekt betroffenen Kantone: Zürich, Aargau Basel-Landschaft, Nidwalden, Obwalden, Schaffhausen, Solothurn und Thurgau. In Etappe 2 bleiben nach dem Projekt der NAGRA von den ursprünglichen sechs, nur noch zwei mögliche Standorte für geologische Tiefenlager übrig : Jura Ost (Bözberg) und Zürich Nordost (Zürcher Weinland). Diese sollen nach dem Willen der Standortkantone ergänzt werden durch den Wiedereinbezug des Standortes Lägern Nord. Die Sicherheitsbehörden folgten dieser, hinter verschlossenen Türen entworfenen Auffangstrategie der Kantone. Im Ergebnis heisst dies : Künftig sind die Kantone Nidwalden, Obwalden und Solothurn definitiv nicht mehr betroffen, Basel – Landschaft nur indirekt. Es bleiben : Zürich, Aargau, Schafhausen und Thurgau*, sowie das benachbarte Deutschland als Standortkantone oder unmittelbare Nachbarn. Deutschland ist nicht Mitglied des AdK.
Der Bericht der Kantone präzisiert einführend : «Der Sachplan geologische Tiefenlager (SGT) sieht vor, dass sich der Ausschuss der Kantone (AdK) zu den Ergebnissen jeder der drei Etappen des Sachplans äussert und zuhanden des Bundes Empfehlungen abgibt. Die vorliegende Stellungnahme ist keine Vorwegnahme der Stellungnahmen der einzelnen Kantone zu Etappe 2 in der Vernehmlassung. Sie wird aber eine der Grundlagen dafür sein und öffentlich aufgelegt werden. »
Mit diesem Bericht erfüllen die Kantone also eine Verpflichtung, welche aus dem Sachplan abgeleitet werden kann. Es handelt sich um die solidarische gemeinsame Stellungnahme gegenüber einem Vorhaben welches unter Bundesregie durchgeführt wird.
Nur eben : « . . . ist keine Vorwegnahme der Stellungnahme der einzelnen Kantone zu Etappe 2 in der Vernehmlassung ». Die später folgenden Stellungnahmen der einzelnen Kantone entsprechen deren Verteidigung der eigenen Interessen. Diese individuellen Stellungnahmen können aus dem Raumplanungsgesetz und der Raumplanungsverordnung (oder anderen Partikulärinteressen) abgeleitet werden.
Im vorliegenden Sachplan geht es um ein gesellschaftlich sensibles Anliegen, welches in der Regel dem « not in my backyard » – Syndrom (« nicht in meinem Hinterhof ») unterliegt. Die Kantone schreiben deshalb zu Recht :
« Die geologische Tiefenlagerung von radioaktiven Abfällen kann in einem politischen und gesellschaftlichen Umfeld nur erfolgreich durchgeführt werden, wenn das Verfahren transparent, nachvollziehbar, fair und glaubwürdig abläuft und wenn Planung und Ausführung einem hohen wissenschaftlich-technischen Standard entsprechen. Ein geologisches Tiefenlager wird letztlich immer auf einem Kantonsgebiet realisiert werden. Die Kantone haben somit ein ureigenes Interesse daran, dass diese hohen Ansprüche vollumfänglich erfüllt werden. »
Die Kantone erinnern mit dieser Aussage an Grundsätze, welche durch den Bund, seine zuständigen Fachstellen und selbst durch die Nagra oft leicht vergessen werden.
Die Rolle des Bundes und seiner Institutionen aus Sicht der Kantone
Zur Erinnerung : Gemäss Kernenergiegesetz sind die Produzenten radioaktiver Abfälle für deren sichere Eliminierung verantwortlich. Die Produzenten sind in erster Linie die Gesellschaften, welche die Kernkraftwerke betreiben : Berner Kraftwerke (BKW), AXPO, Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG, Kernkraftwerk Leibstadt AG. Hinter der BKW steht der Kanton Bern, die Aktionäre im Hintergrund der andern Kernkraftwerke sind vorallem Kantone und teils Städte. In dieser Verhältnis-Kette stellt sich also die Frage der eigentlichen (auch moralischen und finanziellen) Verantwortung der Kantone und Städte als Hauptaktionäre in der Entsorgung der radioaktiven Abfälle.
Die Nationale Genossenschaft für radioaktive Abfälle (Nagra) ist ein Ableger der Abfallproduzenten. Sie ist also Teil des durch die Kantone beherrschten Konstrukts.
Der Bund ist verantwortlich für Sicherheitsfragen und damit für Aufsicht in den verschiedenen Sparten der Nutzung der Kernenergie. Hierzu gehört auch die Entsorgung der radioaktiven Abfälle. Direkt materiell zuständig ist er einzig für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle aus Forschung, Medizin und konventioneller Industrie, wo aber keine hoch radioaktiven Substanzen anfallen.
Politisch ist die Entsorgung der radioaktiven Abfälle ein undankbares Geschäft : Welche(r) Politiker(in) will den schon die Verantwortung für die Auswahl eines Standortes verantwortlich zeichnen ? Und so kommt es, dass die Kantone sehr hohe Erwartungen an den Bund anmelden. Bis anhin hat der Bund aber diese Erwartungen offenbar nach einhelliger Ansicht (auch der Regionen !) nicht erfüllt. So ist folgender Passus des AdK-Berichts zu lesen :
« Die Prozessführung des Bundesamts für Energie (BFE), die Planung und Durchführung der Arbeiten für das geologische Tiefenlager durch die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) sowie die sicherheitstechnische Überprüfung der Vorschläge der Nagra durch das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) überzeugen noch nicht in allen Punkten. Nach Auffassung der Kantone beschränkt sich die Führung des BFE zu oft auf die formale Abhandlung vorgesehener Schritte, fehlen in der Planung der Nagra unter anderem Referenzprojekte als wesentliche Grundlage für den Bau der Lager und muss die wissenschaftlich-technische Begutachtung derer Arbeiten in den Bereichen Geomechanik/Bautechnik durch das ENSI verbessert werden. Immer wichtiger wird die integrale und vorausschauende Führung und Steuerung des Prozesses geologische Tiefenlager. Dies bedeutet insbesondere, dass auf Anliegen der Kantone oder Regionen früh-zeitig eingegangen wird. Führung umfasst den Willen, wo nötig zusätzliche Abklärungen durchzuführen, aber auch sich auf zentrale Arbeiten zu konzentrieren sowie Arbeiten, die nicht zeitkritisch sind oder den Regionen überlassen werden können, entsprechend zu behandeln.» (Zusammenfassung)
« Gerade mit Blick auf die Langfristigkeit und Komplexität des Projekts ist das Vertrauen in die Prozessführung wichtig. Diesen Aspekten muss das BFE im weiteren Verlauf des Verfahrens deshalb verstärkt Beachtung schenken. Nur wenn das Vertrauen in die Führung gewährleistet ist, vermag das Verfahren im politischen Prozess zu bestehen. » (S.12)
Dies sind nach unserem Verständnis harte Kritiken und schlechte Noten für BFE und ENSI. Sie sind allerdings nicht neu, bzw. sie sind so alt wie das Sachplan Verfahren selbst. Die Kritik hat bisher aber zu keiner erkennbaren Verbesserung der Prozesse geführt. Das BFE horcht, aber hört nicht ! Und die Nagra verweigert sich wissenschaftlichem Diskurs und Debatte, in dem sie die planerischen Arbeiten an sich reisst und erst unter massivem politischem Druck zu Korrekturen an der wissenschaftlichen Führung des Programms bereit ist.
Weitere Kritiken zum Ensi betreffen etwa die Reproduzierbarkeit der Entscheide (Frage der Begründung der Entscheide, bzw. einer gewissen Willkür ?), sowie der Dokumentierung des Prozesses.
Zum Sachplanverfahren und seiner Umsetzung
Der AdK spricht sich zum Sachplan geologische Tiefenlager (SGT) vorerst sehr positiv aus :
« Der SGT ist ein Projekt mit Pioniercharakter: in seinen zeitlichen Dimensionen, in der Verantwortung der heutigen Generationen für künftige und auch in der breit angelegten Mitsprachemöglichkeit von Akteursgruppen und Bevölkerung, d. h. in seiner gesamten technisch-gesellschaftlichen Komplexität – dies immer unter der Vorgabe, dass die Sicherheit der nuklearen Entsorgung oberste Priorität hat. » (Zusammenfassung)
« Der AdK kommt zum Schluss, dass mit dem Instrument SGT die Herausforderungen eines Auswahlverfahrens mit den Prinzipien Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Fairness und Glaubwürdigkeit grundsätzlich gemeistert werden können. Das Sachplanverfahren hat sich bewährt. Das etappenweise Vorgehen ermöglicht eine schrittweise Entwicklung des Prozesses. Gleichzeitig bietet das Konzept des Sachplans die notwendige Flexibilität, wenn in verschiedenen Bereichen zusätzliche Abklärungen notwendig werden bzw. mehr Zeit für die Klärung einzelner Fragen gewährt werden muss (beispielsweise ausgedehnte Seismik oder die Platzierung der Oberflächenanlagen). Die Gremien des Sachplans schaffen dabei den notwendigen Raum für Diskussionen, sodass im Austausch der Akteure Anpassungen vorgenommen werden können. In Bezug auf den Einengungsprozess sind sich alle überprüfenden Instanzen einig, dem Bundesrat die Standortgebiete Jura Ost (AG), Nördlich Lägern (AG/ZH) und Zürich Nordost (ZH) zur Weiterbearbeitung in Etappe 3 zu empfehlen. Der AdK sichert dem Bund seine weitere Unterstützung im Prozess zu. » (S. 12)
Sodann folgt in den verschiedenen Kapiteln eine längere Mängelliste. Sie betrifft allerdings weniger den Sachplan an und für sich, als die Art und Weise wie er umgesetzt wird :
- Mangelnde Prozessführung und integrale, vorausschauende Planung durch das BfE (S. 12)
- Mangelnde Priorisierung (S.12)
- Mangelhafte Aufnahme von Anliegen und Sensibilitäten, Durchführung notwendiger zusätzlicher Abklärungen (S. 12)
- Notwendigkeit zur systematischen Gliederung der Dokumentation (S.13)
- Notwendigkeit für Anstrengung zum langfristigen Wissenserhalt (S.13)
- Projektgliederung in klare Arbeitspakete (S.13)
- Klassierung der Arbeitsdokumente nach Versionen (S.13)
- Überprüfung der Handhabe der Dokumentation im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit (S. 13)
- Zeitplan und Ablauf des Verfahrens : « Es ist für die Kantone unbefriedigend, dass nach dem faktischen Standortentscheid der Nagra keine offizielle Vertiefung über diese Auswahl erfolgt. Der oder die betroffenen Kantone (und die entsprechenden Standortregionen) bleiben jahrelang in einem im Grunde unhaltbaren «Schwe-bezustand». Dies beurteilt der AdK als möglichen Konfliktpunkt. Ein weiterer möglicher Konfliktpunkt liegt in der Gleichzeitigkeit von üblicherweise seriell geführ-ten Verfahren, die eine schrittweise Annäherung an das Ergebnis gewährleisten: Der raumplanerische Entscheid nach RPG (Sachplan) und der Entscheid nach KEG (Rahmenbewilligung, RBG) sollen gleichzeitig gefällt werden. Dies ist mit Blick auf andere Sachplanverfahren unüblich: Die Festsetzung der räumlichen Rahmenbedingungen bildet in der Regel die Grundlage für den nachfolgenden Schritt der Projekteingaben (Plangenehmigungsverfahren). Aus der Verbindung des räumlichen Standortentscheids bei gleichzeitigem Vorliegen des RBG können unter Umständen Konflikte und gegebenenfalls eine zeitliche Verzögerung entstehen, in dem die strategische und die technische Entscheidebene gleichzeitig zur Diskussion gestellt werden.» (S. 15).
« Entscheidungsgrundlagen und Auswahlargumente müssen wissenschaftlich-technisch fundiert sein; dies bedingt zumindest in den Grundzügen frühzeitig deren externe Begutachtung, damit das Risiko eines Fehlentscheids – und damit des Misslingens des Sachplans – minimiert werden kann. Eine breite Beschäftigung mit der Standortwahl der Nagra erfolgt gemäss Sachplanverfahren aber erst im Rahmen der öffentlichen Vernehmlassung zu Etappe 3, d. h. etwa 2029 und damit bis zu 7 Jahre nach der Auswahl durch die Nagra. »
- Sicherheitsgerichtete Anwendung von Auswahlkriterien : « Sicherheit hat im Sachplanverfahren oberste Priorität. Der Begriff der «Sicherheit» meint aber nicht für alle dasselbe. Sicherheit aus Sicht des Ingenieurs bedeutet im vorliegenden Fall, dass die Vorgaben der Aufsichtsbehörde, z. B. unter Einhaltung von Grenzwerten, erfüllt sind. Sicherheit im Verständnis breiter Bevölkerungskreise hingegen heisst, dass «nichts passieren kann». Ein geologisches Tiefenlager darf nur erstellt werden, wenn der Schutz von Bevölkerung und Umwelt dauerhaft gewährleistet ist. Entsprechend haben die geologischen bzw. bau- und sicherheitstechnischen Aspekte der Langzeitsicherheit in jedem Fall Vorrang vor sogenannt weichen Aspekten wie raumplanerischen oder sozioökonomischen Kriterien. Mit Bezug auf die Vorgaben des Sachplans muss die Langzeitsicherheit konsequent Vorrang haben. » (S.16)
- Nicht Respektierung von Wünschen der AdK aus Etape 1 (siehe auch nächstes Kapitel) (S.18).
Im nächsten Blog-Beitrag werden wir auf die inhaltlichen, technisch-wissenschaftlichen Bemerkungen der Kantone eingehen.
Abkürzungen
AdK Ausschuss der Kantone
BFE Bundesamt für Energie
ENSI Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat
KEG Kernenergiegesetz
Nagra Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle
RBG Rahmenbewilligungsgesuch
SGT Sachplan geologische Tiefenlager
* Errata durch Blog-Autoren korrigiert am 9/10/2017
Danke für diesen erhellenden Beitrag!
Mir ist klar geworden, dass die Kantone als Aktionäre und Endlagerstandortbetroffene schon widersprüchliche Interessen vertreten dazu kommt jetzt, dass das BfE offenbar seine Führungsverantwortung nicht wahrnimmt und die Anliegen der Kantone zu wenig berücksichtigt. Ich schliesse daraus, dass von diesen Umständen die Energiekonzerne profitieren, indem die Nagra weniger kontrolliert wird und wirtschaftlicher arbeiten kann. Hab ich das richtig verstanden?