Schritt um Schritt
In den letzten Beiträgen haben wir zentrale Gründe des wiederholten Scheiterns der bisherigen Programme der Nagra betrachtet und dabei auch den Stellenwert von Sicherheitsanalysen als Prognose-Instrumente für die Entwicklung von Endlagern und als Entscheidungsgrundlage für das ENSI analysiert. Nun werden wir darlegen, was zu machen wäre, damit sich die Misserfolge nicht wiederholen. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass es vor allem darum geht, gezielt vorzugehen und die Standorte einzeln in Funktion der vorliegenden Geologie zu beurteilen. Doch beginnen wir am Anfang:
Als Erstes und Wichtigstes gilt es die Entsorgerorganisation aus der Abhängigkeit der serbelnden Atomwirtschaft herauszulösen. Erst dann, wenn die Weisungsbefugnisse in Sachen Entsorgung in geordnete Bahnen gelenkt sind, können die weiteren strukturellen Missständen korrigiert werden. Wir werden diese Themen in späteren Beiträgen wieder aufnehmen. Zunächst sollen aber die prioritären naturwissenschaftlichen Anforderungen an das weitere wissenschaftliche Vorgehen bei der weiteren Erkundung der Standortregionen dargelegt werden.
Im Sachplanprozess war die Festlegung eines Vorgehens für die weitere Einengung der Standorte schon frühzeitig Gegenstand von Diskussionen. Vor allem die zuständigen Kantone haben sich in den letzten Jahren dafür stark gemacht, die übereilten Einengungsvorschläge der Nagra (beginnend mit der ominösen Aktennotiz AN11-711) auf die Standorte „Zürcher Weinland“ und „Bözberg“, zurückzuweisen und alle potentiellen Lagerstandorte einer geordneten Prüfung aufgrund eines definierten Einengungs-Vorgehens zu unterziehen. Im zusammenfassenden Bericht kommen die Arbeitsgruppe Sicherheit der Kantone (AG SiKa) und die ihr angegliederte Kantonale Expertengruppe Sicherheit (KES) zu einem ähnlichen Schluss.[1] Auch sie möchten ein gezielt auf Schwachstellen gerichtetes Feld- und Untersuchungsprogramm.
Aus unserer Sicht muss dieses Vorgehen folgende Schritte umfassen:
- Grundlegende Überlegung über den Stellenwert der Feldarbeiten UND jenen der Sicherheitsanalyse: Der Stellenwert der Untersuchungs- und Modellierungsmethoden und ihre Aussagekraft für die verschiedenen betrachteten Fragestellungen (z.B. Einengungsmethode, Prognoseinstrument) muss geklärt werden. Im bisher laufenden Verfahren dienten die Feldarbeiten in erster Linie als „Futter“ für die Modellierungen. Dies greift eindeutig zu kurz, wie wir im letzten Beitrag darlegen konnten.
- Methodik-Entwicklung Einengungsprozess: Die Grundlagen für eine Analyse des geologischen Systems müssen erarbeitet werden. Dazu gehören eine klare Definition von sogenannten Killer-Kriterien, bei deren Eintreffen ein Standort ausscheidet, sowie die Hierarchie von Einengungskriterien.
Dazu gehören auch eine, die wesentlichen Elemente und Fragestellungen umfassende Standortbestimmung des geologischen Wissens in dem verbleibenden Untersuchungsperimeter Nordost-Schweiz und den drei Standorten, wie dies teilweise auch aus dem Nagra-Arbeitsbericht 14-83 bereits hervorgeht. Des Weiteren sind mit Hilfe einer Schwachstellenanalyse die wichtigsten geologischen Schwachstellen und Probleme im Untersuchungsperimeter und in den Standortregionen zu benennen. Und zwar schön geordnet von unten nach oben, beziehungsweise entsprechend den zu betrachtenden tektonischen und geologischen Elementen und den verschiedenen Erosionsszenarien.
- Klärung der Lagerkonfigurationen in Bezug auf tektonische Elemente: Als nächstes braucht es eine grundlegende Analyse, ob das Konzept der Nagra mit gebietsbegrenzenden und anordnungsbestimmenden Störungszonen überhaupt umgesetzt werden kann. Wie die Abbildungen 1 und 2 in verschiedenen Nagra-Berichten (z.B. Nagra 2008) zeigen, ist die Diskussion um diese Fragen essentiell. Die Figuren zeigen die Befürchtung der Nagra, dass in der Schweiz keine genügend grossen Wirtgesteins-Schollen vorhanden sind, sodass das Lager dann zwischen Störungszonen, darunter auch wasserführenden Störungszonen platziert werden muss. Wir weisen einmal mehr auf die seit mehr als 6 Jahren im Bericht der KNS (2010) begründete Analyse hin, warum ein Lagerauslegungskonzept gezielt und ohne zeitlichen Verzug auszuarbeiten ist.[2]


Wie die Abbildungen 1 und 2 zeigen, dürfte eine Einpassung eines Lagers in eine tektonisch gestörte geologische Situation im Untergrund kaum endende Diskussionen auslösen. Aber soweit ist man ja noch nicht. Vorerst wäre schon viel gewonnen, wenn man wüsste, ob sich ein Wirtgestein an einem bestimmten Standort überhaupt eignet, und ob ein Standort geologisch überhaupt die „Einengungsguillotine“ übersteht.
Beim Punkt 2 des obigen Vorgehens gilt es in erster Linie, wesentliche Schwachstellen in den drei verbleibenden Standortregionen klar zu benennen. Beginnen wir von der Basis her, also vom im Erdaltertum gebildeten Grundgebirge, in welches der Permokarbon-Trog eingesenkt ist und welches die Sedimentbedeckung des Erdmittelalters und die darüber liegenden Ablagerungen der Tertiärs und der Eiszeit trägt. Die Aufzählung soll im Sinne von Beispielen erfolgen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit:
A Permokarbontrog
Alle drei heute betrachteten Standortgebiete (Lägern Nord gesellte sich nachträglich zu Jura Ost und dem Zürcher Weinland) liegen am Rande oder teilweise oder ganz über dem Permokarbon-Trog. Dieser Trog wurde erstaunlicher Weise seit seiner ersten Erwähnung im Jahr 1973 durch den Geologen Kurt Lemcke nie umfassend untersucht. Die Nagra hat zwar seismische Untersuchungen aus der Zeit der Erdölprospektion ausgewertet und weitere eigene Untersuchungen ausgeführt, insbesondere die Tiefbohrungen Weiach und Riniken. Hans-Peter Laubscher hat seinerseits für die damalige Hauptabteilung für die Sicherheit von Kernanlagen, das heutige ENSI, eine Struktursynthese verfasst[3], um die Grundgebirgsentwicklung in Zusammenhang mit dem Einbruch des Permokarbo-Trogs besser zu verstehen. Schon damals war ein besseres Verständnis der Wegsamkeiten und der Zirkulationsverhältnisse in diesem komplexen tiefen geologischen Umfeld von herausragender Bedeutung, wie auch die Frage nach dem besseren Verständnis der tektonischen Bruchvorgänge, z.B. in Zusammenhang mit dem Rheintalgraben und den Geologischen Störungen vom Randen zum Bodensee. Dreissig Jahre nach der Publikation dieses Gutachtens sind wir nicht sehr sehr viel weiter im Verständnis dieser Grundfragen. Natürlich hat man einiges über die messbaren Spannungsverhältnisse im Untergrund in der Zwischenzeit zusammengetragen. Aber essentielle zusätzliche Erkenntnisse über den Trog, seine Tiefe, seine Begrenzungen, seine Entstehungsgeschichte und –abwicklung sowie über die in ihm ablaufenden Prozesse fehlen immer noch grösstenteils. Dies ist, wir weisen schon seit Jahrenzehnten darauf hin[4], eine zentrale Wissenslücke, die dringend und endlich geschlossen werden muss. Konkret heisst dies für die drei Standorte:
A.1. Bohrungen: mehrere Tiefbohrungen in den Trog, insbesondere am Südrand (Baden – Irchel –Herdern –Lineament) beziehungsweise in den nordöstlichen Schwellenzonen (Weinland)
Killerkriterien für HAA-Lager: Vorkommen grösserer Reserven von nutzbaren Rohstoffen (Tightgas, Kohle, Geothermie usw.)
Hauptsächliche Ziele der Untersuchung:
– punktuell Tiefe des Troges und Sedimentabfolgen ermitteln, auch zur besseren Kalibrierung der seismischen Daten;
– verbessertes Verständnis der Bruchtektonik entwickeln, insbesondere an den Trograndstörungen;
– via abgelenkte Bohrungen: Hydraulik der Trograndstörungen besser abklären;
– Rohstofffragen und Nutzungskonflikte besser abklären.
Die Situation im Zürcher Weinland wird in einem separaten Beitrag behandelt.
A2. Geologische Synthesen und Modelle: Erweiterte Synthese der Bruchtektonik und ihrem Bezug zu den herzynisch angelegten Bruchmustern im kristallinen Grundgebirge, Abklärungen zur Neotektonik
Killerkriterien für HAA-Lager:
- starke hydraulische Durchlässigkeiten und gespannte Aquifere entlang von grösseren Bruchsystemen;
- Komplexes und kleinräumiges Muster von grossen Bruchzonen, die ein Einpassen eines Lagers nach Vorstellungen der Nagra erfordern würden;
- Bedeutende neotektonische Aktivität
Hauptsächliche Ziele der Untersuchung:
- bessere Vorstellungen über Geologie (Sedimentabfolgen) und randliche Begrenzungen entwickeln;
- Spannungsverhältnisse in der Tiefe abklären;
- Eintiefungsgeschichte rekonstruieren;
- Strukturmodell weiter entwickeln, insbesondere auch Trograndsituation und Störungsmuster (inkl. Bezug zu herzynsichen und rheinischen Mustern).
- Wasserzirkulationsmodelle präzisieren, insbesondere auf Frage von gespannten Aquiferen,
- Erstellung von 3D Modellen, welche entlang der geologischen Zeitskala angewendet werden können.
B Wirtgestein Opalinuston
Das Wirtgestein soll einerseits dicht und andererseits über die Lagerzeit von 1 Million Jahre von weiterer Kompression verschont bleiben, die ein Gleiten von einzelnen Schichtpaketen im Wirtgestein selber auslösen könnte. In vielen, auch alten Berichten der Nagra[5], finden sich Erkenntnisse über Verdickungen im Opalinuston, die als lokale Schichttransporte und Abscherungs-, bzw. Überschiebungshorizonte gedeutet werden. Solche Horizonte werden sowohl in den Standortregionen „Nördlich Lägern“ wie auch „Bözberg“ vermutet.[6] Ein HAA-Lager kann nicht in einem gestörten Wirtgestein eingerichtet werden.
Killerkriterien für HAA-Lager:
- Überschiebungen, beziehungsweise Abscherungen und innere Schichttransporte in einem weiteren Umfeld des geplanten Endlagerstandorts.
Hauptsächliche Ziele der Untersuchung:
- Verständnis der Kompressionsgeschichte in der Vorfaltenzone verbessern.
- Wirkungsperimeter der Kompression auf Verdickung, unter anderem auch in der Vorfaltenzone des Faltenjuras;
- Erkundung der Verdickungen im Opalinuston und Untersuchung (Bestätigung oder Entkräftung) mit Hilfe von Bohrungen;
C Bruchtektonik und Faltung
Das gesamte Untersuchungsgebiet wird durch den Permokarbon-Trog massgebend beeinflusst. Eine zentrale Frage ist, neben den Trograndstörungen, auch die Frage nach einem Zusammenhang von älteren Störungen im kristallinen Grundgebirge und jüngeren Störungen in den darüberliegenden Schichten. Pausen sich früher angelegte Störungen im Kristallin durch, beziehungsweise wurden solche reaktiviert? Was ist die Bedeutung der Wildenberger Flexur im Zürcher Weinland? Setzt sich diese fort, Richtung Jestetten?
Killerkriterien für HAA-Lager:
- Aktive Bruchtektonik.
Hauptsächliche Ziele der Untersuchung:
- Mikro- und nanoseismische Messungen und Auswertungen, Geodäsie;
- Klärung der Bezüge von herzynischer und rheinischer Tektonik und Bruchtektonik in Deckschichten;
- Überprüfung von relevanten Bruchsystemen mittels abgelenkten Bohrungen, sowohl bezüglich Spannungsfeld wie auch bezüglich hydraulischer Konduktivität und Gastransport;
- Messung von Spannungsverhältnissen in Bohrungen;
D Erosion
Die quartären Erosionsszenarien sind vor allem im Standort „Weinland“ ernstzunehmende Sicherheitsfaktoren für Endlager.[7] Die Rinnenproblematik wurde in unserem Blog mehrfach diskutiert (z.B. Blogbeiträge vom 8. Mai 2015, 22. Mai 2015) und als sicherheitsrelevant eingestuft. Wir verweisen auf die entsprechenden Beiträge sowie auf das bereits zitierte Gutachten der Experten der Kantone.
Killerkriterien für HAA-Lager:
- Mögliche lineare Gletschereintiefung bis ca. 300 m über dem Endlagerstandort.
Hauptsächliche Ziele der Untersuchung:
- Verlauf von Erosionsrinnen, Geometrie und Tiefe präzisieren via Bohrungen; Untersuchung der Erosionsgeschichte namentlich in den Randregionen der alten Gletschertäler.
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Wir haben hier einzelne Beispiele aufgeführt, was alles in der Etappe 3 untersucht werden müsste, und zwar gezielt, um zu prüfen, ob Standorte die „Einengungsguillotine“ überstehen. Denn nur unter dieser Voraussetzung kann eine Planung mit Aussicht auf Erfolg weitergeführt werden. Der Druck auf die Nagra, ein solches Untersuchungsprogramm vorzulegen, dürfte in erster Linie wieder von Kantonen und Regionen kommen. Das ENSI hat sich bisher in solchen Fragen immer im Hintergrund gehalten, und es gibt auch nicht das kleinste Anzeichen, dass sich an dieser Haltung etwas ändern könnte. Auch die KNS ist in den letzten Jahren zunehmend in der Lethargie versunken. So werden einmal mehr nicht die Sicherheitsbehörde und die „second opinion“ dafür sorgen, dass der Prozess gezielt und korrekt verlaufen, sondern mit grosser Wahrscheinlichkeit die betroffenen Kantone und Regionen. Eine ernüchternde Erkenntnis.
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