Illustration: Jörg Uttinger, Schwyz
Teuftal: eine Abfalldeponie für die Ewigkeit:
Ein nostalgischer Rundblick
Abfall gibt es, seit es Menschen gibt. Abfall ist in der Archäologie sogar oft einer der wichtigsten Zeugen von menschlichem Leben und Kultur. Aber Abfall war während Jahrtausenden nicht mehr, als eine Begleiterscheinung des Menschen auf Erden.
Wir sind die erste eigentliche Abfallzivilisation und Abfallgeneration der Erd- und Weltgeschichte. Wir beuten die Ressourcen der Erde und der Umwelt hemmungslos aus, konsumieren und streuen sie, und schauen zu, wie sich die Abfälle in der Umwelt breitmachen. In den dicht besiedelten und technologisch weit entwickelten Ländern wissen wir uns unterdessen vor den misslichen Gerüchen und anderen Auswirkungen dieses Verhaltens etwas zu schützen: wir verbrennen den Hausmüll, heizen damit zumindest ein paar Stadtquartiere und jagen das dabei entstehende Kohlendioxid in die Atmosphäre hinaus. Aber wir atmen noch (wenngleich Mikropartikel) und schauen mit traurigem Blick den verschwindenden Insekten nach.
Wir sind seit dem Ende des zweiten Weltkrieges zu einer Plastikkultur geworden. Diese hat die Erdoberfläche von New York und Zürich bis zur Wüste Gobi und die Sahara überrollt. Allerdings nicht mit denselben Auswirkungen: In Zürich liegen einzig noch am Sonntagmorgen die Plastikgebinde zwischen zerschellten Bier-und Vodkaflaschen wild am Seeufer zerstreut (eine neue Touristenattraktion: die Bobo-Zürcher Jugend hat ihre Existenz markiert!), ansonsten sind die Plastikflaschen in die Verbrennungs- und Recyclingzyklen eingegangen. Nicht so in Afrika und Asien: Plastiksäcke dekorieren die Baumkronen in der Savanna, Plastikflaschen haben den Strandkies am Ufer des Ozeans ersetzt, Plastikflaschen aus Indien, Indonesien und Afrika bilden einen neuen schwimmenden Kontinent im Pazifik, und Plastiksäcke sind zur Stammnahrung der Quallen geworden (so lange es sie unter diesen Umständen noch gibt).
Im wissenschaftlich und technologisch hoch entwickelten Westen versteckt sich das Übel heute geschickt hinter Normen und Gesetzen: Schadstoffe dürfen nur noch (aber dürfen!) in genormter Menge aus den Abfalldeponien ins Grundwasser abfliessen, Pestizide nur stark verdünnt (aber dürfen!) auf Fruchtschalen und Gemüsen in unsere Küchen und Teller gelangen. Und: sie tun es. Chemie in der Umwelt ist zur Norm, Grenzwerte sind zu einem «Recht zur Umweltverschmutzung» geworden: «Ich darf die Umwelt bis zur Erreichung des Grenzwertes verschmutzen». Bei genügender Verdünnung gelangen auf diese Weise Jahr um Jahr wohl quantifizierbare, aber unsägliche Mengen von Giftstoffen in die Umwelt. Als Folge haben Äpfel keinen Fleck, und jede dritte Schweizerin stirbt an Krebs (natürlich auch an «Zigarettenkrebs» mit einer individuellen Mitverantwortung).
Bei Abfalldeponien ist die Philosophie der Abfallverdünnung gar zu einer eigentlichen, in gewissen Schweizer Kantonen durch die Administration und die politischen Parteien gedeckte und im industriellen Massstab betriebene Strategie geworden. [1]
Nichts Besseres haben wir im Bereich der radioaktiven Abfälle geschafft: Als die Kernkraftwerke in Betrieb genommen wurden, erkannte man das Abfallproblem und regelte es nach dem «Hoffnungsprinzip», welches heisst: «Kommt Zeit, kommt Rat». Unterdessen ging die Zeit ins Land, Rat ist nicht gekommen, und ein Artikel in der NZZ am Sonntag schlägt vor, nochmals einen Durchgang mit neuen KKW’s zu starten. [2]
So, jetzt haben wir uns lamentiert! Was nun?
Nun: Neu über die Bücher! Unser Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell geht in einer begrenzten Welt und Umwelt nicht auf! Auch «nachhaltige Entwicklung» bringt es nicht. Wir müssen lernen, nachhaltig zu leben, ohne nachhaltig zu entwickeln! Und zuerst die Abfallberge der Vergangenheit abbauen!
So sitzen wir denn auf dem Abfallberg und schauen etwas traurig über die Plastikflaschen auf dem Strandkies hinweg aufs Meer hinaus!
[1] Beispiel Deponie Gamsenried im Kanton Wallis: In dieser Chemiemülldeponie im Kanton Wallis wäscht das Sickerwasser die Schadstoffe aus dem Abfall aus und ins Grundwasser. Dieses wird teilweise abgepumpt und teilweise geklärt. Der Rest schwimmt weiter . . . und macht das Grundwasser als Trinkwasser ungeniessbar . . . mit dem Segen des Kantons und des Bundes. Dauer der Verschmutzung: Jahrzehnte bis Jahrhunderte?
Beispiel Deponie Feldreben im Kanton Basel-Landschaft: Diese Gemischtwarendeponie mit viel Chemiemüll wurde durch den Kanton Basel-Landschaft aufgekauft. Begründung: Beherrschung der Sanierung. Nun will der Kanton einen Teil der Deponie durch Grundwasser ausschwemmen lassen (wiederum mit teilweiser Reinigung des abgepumpten Grundwassers) und sodann einen Teil der Abfälle ausheben. Der Rest soll wiederum der Jahrzehnte bis Jahrhunderte (das nennt man wohl «Weitsicht») dauernden Auswaschung ins Grundwasser überlassen werden. Unterdessen verschwindet die chemische Industrie aus den Gefilden und Flüchtlinge sind auf der Deponie einquartiert.
Noch systematischer werden sogenannte «Sicherungsmassnahmen», die an sich nichts regeln, sondern nur vertagen, in Deutschland angewendet.
[2] Andreas Hirstein : Das Tabou der Atomenergie muss fallen, NZZ am Sonntag, 23.02.2019.
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