Titelbild: Jörg Uttinger,Schwyz
Die Grundproblematik
Der Bergbau stand seit Anbeginn der Zeiten immer vor drei grossen Herausforderungen:[1] Erstens musste Frischluft in den Bau in der Tiefe eingebracht werden, um akzeptable Anforderungen an die Arbeitsbedingungen in der Grube zu genügen und Stäuben und den schon früh bekannten explosiven Gasgemischen zu begegnen. Zweitens kannten auch die antiken Mineure bereits die Gefährdungen ihrer Bergwerke durch Einsturz und Wasserzutritte, die mit den damaligen technischen Mitteln nur in beschränktem Ausmass zu beherrschen waren. Schliesslich musste der gewonnene Rohstoff, Erz (oder Kohle) aus der Grube gebracht werden, was eine möglichst kluge Anordnung von Transportwegen an die Oberfläche erforderlich machte. Bewetterung, also die Frischluftzufuhr, die Stabilisierung von Gruben, die Beherrschung von Wasserzutritten bzw. Flutungsrisiken sowie die Transportfähigkeit der Rohstoffe bestimmten von allem Anfang an die Möglichkeiten und Grenzen des Untertagebergbaus. Diese drei Elemente des Untertagebergbaus sind bis heute für jede bergbauliche Anlage im Untergrund bestimmend geblieben und finden sich auch in den Planungen bei geologischen Tiefenlagern und chemo-toxischen Untertagelagern akzentuiert wieder. Denn anders als bei der Rohstoffgewinnung kommt bei der Endlagerung hochtoxischer Stoffe ein weiteres sicherheitsbestimmendes Merkmal hinzu: im Gegensatz zu den Rohstoffen, die aus dem Untergrund hervorgeholt werden, führt der Weg der hochtoxischen Stoffe in die umgekehrte Richtung. Sie werden in die Tiefe verbracht, was grundlegend andere Anforderungen an die Sicherheit unter Tage voraussetzt. Zum einen müssen die Hohlräume im Untergrund mit möglichst schonungsvollen Techniken aufgefahren werden, um die unvermeidlichen Schäden am Gestein möglichst klein zu halten. Zum anderen sind die Zugänge zu diesen von Menschenhand geschaffenen Lagern dauerhaft wasserdicht zu verschliessen, was eine Herausforderung bisher unbekannter Dimension mit sich bringt. Auch bezüglich der Zeitdauer, während welcher die Hohlräume für die Lagerung und eine eventuelle Überwachung stabil bleiben müssen, stellen die Abfalllagerstollen bedeutend höhere Ansprüche.
Die meisten tief gelegenen Bergwerksanlagen wurden durch vertikale Schächte mit Aufzugsanlagen betrieben. V.a. in Regionen mit starker Topographie wurden Untertageanlagen aber auch mit «Rampen», d.h. mit horizontalen oder geneigten Zufahrtstollen bedient.
Die Einführung der Rampe
Bezeichnenderweise konzentrierte sich die Suche nach Endlagern für radioaktive Abfälle, neben Anlagen im kristallinen Grundgebirge (SKB – Projekt in Schweden) schon sehr früh auf Salzbergwerke. Bereits Mitte der 1950er Jahre galten altgediente Salzbergwerke als mögliche Standorte für die Deponierung radioaktiver Abfälle.[2] Nach ersten Misserfolgen[3] wurde das Bergwerkskonzept ab der Mitte der 1970er Jahren in einem zentralen Punkt umformuliert. Neu sollten speziell für die Endlagerung von Abfällen konzipierte Anlagen geplant und gebaut werden, wie etwa das Lawrence Berkley Laboratorium, Gorleben in Deutschland und die im Rahmen des schwedischen SKB – Lagers geplanten Anlagen.[4]
Figur 1: Anbindungsoption im schwedischen SKB-Konzept. Links gemäss dem ursprünglichen Konzept mit Schächten[6], rechts mit Rampe und Schächten ab Mitte der 1990er Jahre[7]
Figur 2: Untersuchte Anschlusssysteme für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle im geologischen Untergrund. Ausgewählt wurde schliesslich das KBS-3-System[8]
Finnland folgte dem schwedischen Beispiel und entwickelte eine ähnliche Auslegeordnung für den Bau des Untergrundlagers (Figur 3). Diese turmbauartige Rampe für das geologische Endlager «Onkalo» (Höhle) ist inzwischen gebaut.
Figur 3: Turmartige sich windende Erschliessungs-Rampe im finnischen Projekt[9]
Gerade Rampen mit fest definierten Neigungen – sogenannte Zugangstunnels oder „Descenderies“ – fanden Eingang in die Projekte der Andra in Bure (Figur 4) oder dem US-amerikanischen Projekt in Yucca-Mountain.
Figur 4: Die Erschliessung des geplanten Endlagers der Andra in Bure mit einer pfeilgeraden Doppel-Rampe (https://www.andra.fr/cigeo/les-installations-et-le-fonctionnement-du-centre/les-installations-et-leur-localisation [15.03.2021])
Die Nagra, welche ursprünglich das Kristallin-Konzept der SKB übernommen hatte, folgte im Laufe der 1990er Jahre auch bei der Erschliessungsvariante dem nordischen Vorbild. Die Anbindung des Endlagers im «Entsorgungsnachweis 2002» erfolgte mittels einer sich mehrfach windenden Rampe (sogenannte Wendeln). Diese Konzeption fand sich über zwei Jahrzehnte in allen technischen Darstellungen und allen Berichten der Nagra wieder (Figur 5), auch in jenen der letzten Jahre (Figur 6). Die Behörden – namentlich das Eidgenössische Nuklearinspektorat ENSI und das Bundesamt für Energie BFE – übernahmen in ihren Publikationen das Modell des geologischen Tiefenlagers der Nagra mit der mehrfach gewundenen Rampe (Figur 7)[10], obschon sie immer betonten, dass beide Varianten «Schacht» und «Rampe» Vor- und Nachteile hätten, insgesamt aber gleichwertig seien. Da damit Rampen in jedem Fall möglich seien, gäbe es auch keine Notwendigkeit, die Planung an der Oberfläche unnötig einzuengen. Mit Rampen sei es möglich, aus einem weiten Umkreis (5 um die potenziellen Lagerbereiche) das Lager im Untergrund zu erschliessen. Unter dieser Prämisse wurde die inzwischen fast zehnjährige Diskussion um die Platzierung der Oberflächenanlagen geführt, das Kernelement der öffentlichen Partizipation zur Standortwahl im Rahmen des Sachplans geologische Tiefenlager.
Figur 5: Entsorgungsnachweis 2002 mit Transportrampe, nach Nagra 2002 [11]
Figur 6: Das über rund zwei Jahrzehnte propagierte Erschliessungskonzept der Nagra mit Rampe (access tunnel), nach Nagra 2014 [12]
Figur 7: Die unhinterfragte Übernahme des Nagra-Konzeptes[13] bei den Behörden: links die Rezeption beim ENSI, rechts jene beim BFE[14]
Im Sommer 2020 erfolgte offensichtlich eine Neuorientierung: Die Fachgruppe Sicherheit der Regionalkonferenz Zürich Nord-Ost führte am 27. August 2020 ein Fachgespräch zum Thema «Rückholbarkeit» in Andelfingen durch. Als Referenten lud die Fachgruppe auf der einen Seite Maurus Alig, Gesamtprojektleiter Etappe 3 Sachplan geologische Tiefenlager der Nagra, und auf der anderen Seite mich ein. Im Rahmen dieser sehr interessanten Veranstaltung präsentierte Maurus Alig ein neues Konzept zur Erschliessung des Tiefenlagers mit Hilfe von Schächten, was im Anschluss an die Präsentationen an der Veranstaltung zu Fragen und Diskussionen führte. Das ausschliesslich auf Schächte beruhende Erschliessungskonzept sollte ab diesem Zeitpunkt in praktisch allen Darstellungen und Graphiken der Nagra und der Behörden Eingang finden (Figuren 8 und 9). Das Erschliessungskonzept war also grundlegend überarbeitet worden. Und zwar in eine Richtung, die in diesem Punkt ohne Wenn und Aber zu begrüssen ist.
Figur 8: Ausschliesslich durch Schächte erschlossenes Tiefenlagers (aus Nagra NAB19-19, S. 2).
Figur 9: Neues Erschliessungskonzept der Nagra ausschliesslich mit Schächten, nach TFS 2020 [15]
Mit der Neuorientierung wird jenen frühen Kritikern des Sachplans recht gegeben, die eine konsequente Planung «von unten nach oben» gefordert und die Sinnhaftigkeit einer frühen Lokalisierung der Oberflächenanlagen bezweifelt hatten.
Die Frage, ob die Nagra heute bei der Festlegung der Lagerfelder im Untergrund tatsächlich soweit fortgeschritten ist, dass eine definitive raumplanerische Fixierung der Schachtstandorte sinnvoll ist, ist gestellt. Die Aussage, dass die Platzierung der Oberflächenanlagen eine rein raumplanerische Frage ohne sicherheitstechnische Aspekte sei, muss erneut begründet werden.
Warum wird die Konzept-Änderung nicht dargelegt und diskutiert?
Allerdings gab es laut Aussagen von einer Vielzahl von Beteiligten im Sachplanverfahren keine Erklärung für diese konzeptuelle Änderung von Rampen zu Schächten. Nagra wie auch die verantwortlichen Behörden schweigen sich über das Warum dieser Änderung aus. Auch im ersten von der Nagra erarbeiteten Arbeitsbericht NAB19-19 zur «Platzierung der Haupterschliessungsbereiche (HEB) in den Standortgebieten» (Nagra 2019)[16] sucht man vergebens nach Erklärungen für diese substanzielle Änderung. Begründet wird das Vorhaben der Platzierung von Haupterschliessungsbereichen mit Auflagen des ENSI aus dem Jahr 2018: «Bezüglich der Lagerprojektierung in Etappe 3 hält das ENSI fest: ‚Der Detaillierungsgrad der Lagerprojektierung ist in Etappe 3 derart zu vertiefen, dass anhand der zu erstellenden Lagerprojekte die bautechnischen Kriterien 4.1 und 4.2 des Sachplans bewertet werden können. Die vorgesehenen Untertagebauwerke (u. a. Zugangsbauwerke, Haupterschliessungsbereiche, Multifunktionsstellen und andere relevante Übergänge zwischen Zugangsbauwerken und Lagerebene, Abzweige zu Lagerstollen/-kavernen, Versiegelungselemente, Lagerstollen, Lagerkavernen) sind im erforderlichen Detaillierungsgrad zu projektieren (vgl. ENSI 2018[17]).» Diese Argumentation legt nahe, dass das ENSI den Prozess führt und die Auflagen festlegt, denen die ausführende Organisation Nagra zu genügen und zu folgen hätte.
Doch es gibt auch eine andere Leseart für dieses Schweigens und das Verbergen der Ursachen und Gründe für diese wesentliche Änderung in der Auslegung der Zugangsanlagen zum unterirdischen Tiefenlager. Dieses Schweigen hat ursächlich mit der äusserst verbreiteten Unfähigkeit zum Eingeständnis von Fehlern zu tun. Wir sind in den letzten beiden Beiträgen auf unserem Blog einmal mehr auf das im Bereich der Kernenergie eingefahrene Abwehrverhalten bei der Diagnose, dem Eingeständnis und der Berichtigung von Fehlern gestossen. [18] Auch in der Diskussion um die Verbindung zwischen dem geologischen Tiefenlager und der Oberfläche steht dieses Motiv im Vordergrund.
Der Nagra wie auch den Behörden wurden im Rahmen des sogenannten «Forschungsprojektes Lagerauslegung», das in Etappe 2 ab dem Herbst 2011 begonnen wurde, die Vorteile von Schächten und die Nachteile von Rampen klipp und klar vor Augen geführt. Die vom ENSI vertretene Gleichwertigkeit von «Rampe» bzw. «Schacht» stellte ich damals schon grundlegend in Frage. In meiner ersten schriftlichen Stellungnahme vom 10. Januar 2012 hielt ich in diesem, Behörden und Experten der Fachgruppe unterbreiteten Teilbericht fest: «Bei den 17 betrachteten Elementen und Kriterien» für den Vergleich von Schacht / Rampe «ergaben sich bei 8 davon keine eindeutigen Vorteile für die eine oder die andere Erschliessungsvariante. Diese 8 Elemente oder Kriterien sind durch technische oder planerische Massnahmen lösbar. Bei den restlichen 9 Elementen und Kriterien sind die Vorteile bei der Erschliessung klar bei der Variante Schacht. Rampen haben eindeutige und nachvollziehbare Nachteile. Die Wahl einer Rampe für die Erschliessung der schweizerischen Endlager hat also andere Gründe.»[19] Insbesondere die von Nagra und dem ENSI geltend gemachten Vorteile von Rampen bezüglich möglicher betrieblicher Risiken (z.B. fallende Gegenstände in einem Schacht mit Todesfolgen) bis hin zu Transportvorteilen – wurden auch in anderen Fachberichten widerlegt. Etwa in einem Bericht der deutschen Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS aus dem Sommer 2011, welcher ebenso wenig Vorteile eines Transports von hochaktiven Abfällen via Rampe erkennen konnte (siehe Kästchen 1).
Kästchen 1 Einschätzung der Transportrisiken von Transportbehältern mit hochaktiven Abfällen via Rampe oder Schacht gemäss einem Bericht der deutschen GRS, publiziert Juli 2011* «Das Transportfahrzeug auf einer Rampe trägt Brandlasten in Form von Hydrauliköl, Schmierstoffen und Kunststoffteilen. Je nach Antriebsart kommen Reifen und Dieselkraftstoff hinzu. Zündquellen können unabhängig von der Antriebsart nicht ausgeschlossen werden. Exemplarisch zu nennen sind Kurzschüsse oder überhitzte Bauteile. Das Transportfahrzeug wird mit Brandmeldern und Brandbekämpfungsmitteln aus- gestattet sein. Diesen Brandschutzmaßnahmen ist generell eine gewisse Versagenswahrscheinlichkeit im Anforderungsfall zu zuschreiben. Den Möglichkeiten einer manuellen Brandbekämpfung werden durch die Streckengeometrie, der Bewetterung und der Zeit bis externe Kräfte vor Ort sein können, Grenzen gesetzt.» (S. A3-45) «Die Betrachtung möglicher mechanischer Einwirkungen auf das Abfallgebinde beim Transport über eine Rampe in das Endlagerbergwerk führt zu einer vergleichbaren Bewertung wie die Betrachtung möglicher thermischer Einwirkungen. Bei dem Befahren einer kilometerlangen Strecke, mit etwa 10 % Gefälle und ggf. einer Vielzahl von Wendeln, kann ein menschliches oder technisches Versagen, in dessen Folge es zu erheblichen mechanischen Einwirkungen auf das Abfallgebinde kommt, nicht ausgeschlossen werden. Ob es infolge eines zu unterstellenden Impacts zur Freisetzung eines Quellterms kommen kann, hängt wiederum von den technischen Randbedingungen des Transports und den Eigenschaften des Abfallgebindes ab.» (S. A3-46) Und zu den Risiken und den Störfallen hält der Bericht fest: «Selbst wenn die Freisetzung eines Quellterms bei einer möglichen thermischen oder mechanischen Beaufschlagung des Abfallgebindes beim Transport auf der Rampe ausgeschlossen werden kann, würde die Bergung des Transportfahrzeugs aus der Rampe und die Wiederherstellung der Rampe für den Endlagerbetrieb gegebenenfalls erhebliche Konsequenzen für den weiteren Endlagerbetrieb haben.» Sowie: «Hinsichtlich eines möglichen Störfallgeschehens zeichnet sich ab, dass bei einem Transport von Abfallgebinden über eine Rampe in das Endlager die zu erwartende Eintrittshäufigkeit für Störfälle mit thermischen und/oder mechanischen Auswirkungen auf das zu transportierende Abfallgebinde höher sein werden, als dies vergleichbar für einen Transport mit einer Schachtförderanlage zu erwarten ist. Die in Zusammenhang mit einer Schachtförderung zu berücksichtigenden Störfälle werden durch die Auslegung der Schachtförderanlage hinsichtlich ihrer zu erwartenden Eintrittshäufigkeit über die Betriebszeit des Endlagers sicher vermieden. Eine Auslegung der Schachtförderanlage zur Begrenzung der Auswirkungen der für die Betriebszeit des Endlagers nicht zu erwartenden Störfälle ist darüber hinaus möglich.» «Ein eindeutiges Argument, das für die Errichtung einer Rampe für den Transport der radioaktiven Abfälle nach unter Tage spricht, ergibt sich aus der Betrachtung möglicher Störfälle letztendlich nicht.» (S. A3-47) * GRS, 2011, Analyse betrieblicher Erfahrungen und ihrer Bedeutung für das Anlagenkonzept und den Betrieb eines Endlagers für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle, Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS, Abschlussbericht zum Vorhaben 3608R02612, Juli 2011, https://www.grs.de/sites/default/files/pdf/GRS-A-3613.pdf (08.03.2021) |
Die Diskussion in der Fachgruppe «Lagerauslegung» drehte sich im Winter 2012 genau um diese Fragestellung der Risiken und der Langzeitsicherheit von Schacht/Rampe. Die von mir mehrfach eingeforderte Review meines Teilberichtes zu diesem Thema zuhanden ENSI wurde abgeblockt. Weder ENSI noch Nagra wünschten eine offene Diskussion, die zu einer Infragestellung ihres Rampenkonzeptes hätte führen können. Was in jedem wissenschaftlichen Prozess üblich ist, wurde in diesem Falle bewusst hintertrieben und ausser Kraft gesetzt, nämlich der Prozess der aussenstehenden Überprüfung durch die beteiligten Fachleute und Wissenschaftler: die sogenannte Review. In meinem Buch «Wohin mit dem Atommüll?» vom April 2019[20] finden sich Auszüge aus dieser Diskussion und dieser Weigerung von Behörden und Nagra, eine echte wissenschaftliche Diskussion zu führen (Kästchen 2). Lapidar hält das ENSI im Eintrag vom 5. April 2012 deshalb zur Frage «Rampe oder Schacht als Zugang»[21] schlussfolgernd fest: «Es bestehen grosse nationale und internationale Erfahrungen beim Bau von untertägigen Bauwerken, beispielsweise aus dem Bau und Betrieb von Minen und Tunnel. Die Erschliessung des geologischen Tiefenlagers mittels Rampe oder Schacht ist aus der heutigen Sicht der Fachbehörden des Bundes grundsätzlich möglich. Beide Varianten weisen Vor- und Nachteile auf.» Aber die Frage ist nicht – wie eingangs in diesem Blogbeitrag dargelegt – ob man Tunnels und Bergwerke bauen kann. Denn bautechnisch ist diese Erfahrung seit mindestens 150 Jahren da. Die alles entscheidende Frage beim geologischen Tiefenlager ist eine andere: nämlich die, ob man den Zugang zum geologischen Untergrund den Anforderungen entsprechend schonend auffahren kann und ob ein sicherer Langzeitverschluss unter den gegebenen Bedingungen und mit Hilfe der Verschlussmaterialien machbar ist. Diese Frage ist heute mangels konkreter Erfahrungswerte in keiner Art und Weise erprobt, und die bisherige Praxis mit offenen Bergwerken hat die hydraulische Gefährdung des Untergrundes ein ums andere Mal bestätigt – auch im Falle von Bergwerken, die in neuerer Zeit angelegt wurden.[22]
Kästchen 2: Auszüge aus der Schacht/Rampen-Diskussion im Buch «Wohin mit dem Atommüll?, Rotpunkt Verlag, S. 154-155 «Im Projekt ‘Lagerauslegung’ steht zu Beginn eine Analyse über die beiden Zugangsvarianten zu den geologischen Tiefenlagern zur Diskussion – Schächte mit direkter vertikaler Verbindung in den Untergrund einerseits und langsam sich neigende Tunnels, sogenannte Rampen, andererseits. Die Nagra favorisiert aus Überlegungen der Logistik und der freieren Anbindung des Lagers an die Oberfläche die Variante der Rampen. Aus Risikoüberlegungen und Abwägungen zur Langzeitsicherheit empfehle ich dagegen Schächte – sie queren wasserführende Horizonte direkter und sind einfacher einzudämmen, also zu verschließen. Einen vom ENSI bestellten Berichtsentwurf stelle ich Anfang 2012 den am Projekt teilnehmenden Wissenschaftlern und Behördenmitgliedern vor, darunter Vertretern der Nagra, der Sicherheitsbehörde, des BFE, sowie Experten der Kantone, der ETH und von anderen technischen Beratungsbüros. Aber die an diese Präsentation anschließenden Diskussionen laufen aus dem Ruder. Hinzu kommt, dass die bei wissenschaftlichen Arbeiten standardisierte Prozedur der Review, die Dissenspunkte klären sollte, hintertrieben wird – und zwar nicht nur von der Nagra, sondern auch vom ENSI. Zu den von mir eingeforderten Rückmeldungen zu meinem Bericht kommt kein einziger Kommentar zurück, obschon ich mehrmals nachsetze. Der damalige technische Leiter der Nagra etwa schreibt mir am 8. Februar 2012 auf meine erneute Aufforderung um Stellungnahme, das ENSI sei der Meinung, dass es nicht opportun sei, wenn die Nagra meinen Berichtsentwurf kommentiere, weshalb sie darauf verzichten würde. Der Sektionschef des ENSI seinerseits lässt mich auf Nachfrage am 19. März ebenfalls schriftlich wissen, die Nagra habe ihm mitgeteilt, sie wolle meinen Bericht nicht kommentieren. Was natürlich Fragen aufwirft, was nun gilt und wer hier den Prozess bestimmt. Eines der zentralsten Prinzipien für Wissenschaftlichkeit, nämlich die transparente Faktenprüfung, wird hier untergraben, und dies in einem Bereich, bei dem Sicherheitsfragen im Zentrum stehen. Der Diskussion über diese zentralen Fragen wird auf diese Weise ausgewichen. Und dieses Vorgehen hat System: Ein ums andere Mal lenkt und steuert die Nagra Verfahren und Themen auf diese Weise aus dem Hintergrund, sodass kein oder kaum Platz mehr bleibt für grundlegende Prüfungen. Denn sie scheut eine offene wissenschaftliche Diskussion, die andere Lösungswege in den Vordergrund rücken würde. Es geht ihr eigentlich nur darum, das eigene Lagerkonzept möglichst unbeschadet durch das Sachplanverfahren durchzubringen und dieses als Ergebnis von Diskussionen und Debatten mit Wissenschaftlern und betroffenen Behörden und Vertretern der Standortregionen darzustellen. Die dazu organisierten Veranstaltungen und Diskussionsrunden dienen genau dem Zweck, die vorbestimmten Konzepte zu validieren.» |
Was fehlt? Wo klemmt es?
Was sind also die wirklichen Gründe für das Fehlen einer offener Diskussionskultur im Schweizerischen Entsorgungsprojekt, die einmal mehr auch an der Frage der Anbindung von Rampe/Schacht an den Tiefuntergrund sichtbar werden? Für die immer wieder belegbaren Widerstände von Nagra und Behörden, sich wissenschaftlichen Fakten zu stellen? Für das nicht nachvollziehbare Beharrungsvermögen auf überholten Vorstellungen von Wirtgesteinen bis hin zu Auslegungsoptionen? Wer den Gang der nuklearen Entsorgung in der Schweiz von Beginn weg betrachtet, wird dieses jeglicher Vernunft zuwiderlaufende Verhalten der verantwortlichen nuklearen Institutionen und Organisationen ein ums andere Mal wiederfinden. Als Erklärung für diesen paradoxen Kulturstil bieten sich Begriffe wie mangelndes Wissen, Inkompetenz, strategische Überforderung, fehlende Weitsicht oder mangelnde Fehlerkultur an. Aber alle diese Erklärungen greifen zu kurz. Denn sowohl bei Nagra wie beim Ensi sowie den verschiedenen Fachkommissionen und Expertengremien gäbe es grundsätzlich die erforderlichen Kompetenzen und das notwendige Wissen, solche Fragestellungen wie die Erschliessung des Untergrundes via Schacht/Rampe korrekt anzugehen und zu beantworten. Wo liegen also die wirklichen Gründe für diese kaum nachvollziehbare Verhaltens-«Un»kultur?
Die Antwort ist im Grunde genommen einfach: Worum es hier nämlich geht, sind nichts anderes als um Macht- und Durchsetzungsansprüche unter dem pekuniären Druck von nuklearen Interessen in der Schweiz. Der Sachplan geologische Tiefenlager hat nämlich in erster Linie zum Ziel, die diesbezüglich seit Jahrzehnten von der Nuklearindustrie ersehnte Rahmenbewilligung für ein End- oder Tiefenlager endlich erbringen zu können. Auf Biegen und Brechen. Die hinter diesem Projekt stehenden Kreise wollen Deutungshoheit über das Geschehen. Für Fachdiskussionen ist kein Platz. Warnungen werden in den Wind geschlagen. Eine Lernkultur wird bestenfalls in Auftritten vor den Medien geltend gemacht.[23] Fehler und Fehltritte werden verschwiegen, schöngeredet oder die Erklärungen – wie etwa bei den unrealistischen Planungen und Zeitplänen – verdreht. Die Einführung einer griffigen Fehlerkultur wird bewusst verhindert. Die formale Dokumentation von Projektänderungen (Änderungs-Management) interessiert offensichtlich nicht. Der Machtkreis um die Kernenergie will in der Schweiz keine Kultur, welche Manipulationen an einem Programm wie jenem des Sachplans geologische Tiefenlager verhindern könnte. Man belässt die Führung und die Kontrolle des Entsorgungsprogramms Institutionen, die das Programm der nuklearen Entsorgung ein ums andere Mal in den Misserfolg geführt haben. Der Widerstand, mit dem differenziertem Denken begegnet wird, zeigt eigentlich nur, wie der Ausschluss nicht genehmen Wissens und störender Meinungen betrieben wird. Denn wird das Unangenehme ausgesondert, muss man sich ja auch nicht damit beschäftigen.
Genau diesem Prinzip folgt auch der Wechsel der Anbindung von Rampe zu Schacht. Zu erklären gibt es seitens der Planer und der Behörden nichts, obschon die Fragen zum Himmel schreien. Warum wurde diese doch grundlegende Änderung vorgenommen? Wer hat sie initiiert? Aus welchen Gründen? Waren nur sicherheitstechnische Bedenken hinsichtlich der Lagerauslegung ausschlaggebend? Oder waren es schliesslich die Kosten, die zum Umdenken führten? Welche externen Experten und Unternehmungen haben an diesem Entscheid mitgewirkt? Wie reagierten die Behörden auf den Kurswechsel? Warum wurde nicht informiert? Und vielleicht als wichtigste Fragen in diesem Set: wie wird dieser Prozess protokolliert? Gibt es ein Änderungs-Management? Wenn nein, warum denn nicht? Wenn ja: warum wurde dies nicht kommuniziert? Will man nicht endlich einmal dem Beispiel von Ralph Schulz vom ENSI folgen, der zumindest eingestanden hat, sich einmal geirrt zu haben[24]? Glaubt das Führungspersonal in Bern (BFE), Brugg (ENSI) und Wettingen (Nagra) tatsächlich, dass man mit diesem Vorgehen Glaubwürdigkeit herstellen kann? Und vor allem: Was bedeutet diese Änderung für dem Prozess der Standortwahl und der in diesem Prozess angewandten Auswahlkriterien?
Es bleibt jedenfalls der ungute Nachgeschmack, dass das „Rampenkonzept“ vor allem dazu dienen sollte, der Öffentlichkeit die Illusion zu vermitteln, sie habe gewisse räumliche Freiheitsgrade in der Mitbestimmung.
Was bleibt von den Prinzipien des ENSI?
So bleibt denn zum Abschluss dieses Beitrags vor allem das Vorhaben bestehen, die Mechanismen dieser Vorgehensweisen sichtbar zu machen. Dazu werden einige der Prinzipien der Selbsteinschätzung des ENSI in Erinnerung gerufen, die im Leitbild (oder der Charta) der Aufsichtsbehörde von 2014 niedergelegt sind[25]:
- «Wir sind das Kompetenzzentrum für die Beurteilung der nuklearen Sicherheit in der Schweiz. Wir gründen unsere Entscheide auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik.» (Leitsatz 1, Punkt 2)
- «Wir stärken durch unsere Aufsicht die Sicherheitskultur der Beaufsichtigten und deren eigenverantwortliches Handeln.» (Leitsatz 2, Punkt 3)
- «Wir hinterfragen uns und unser Handeln. Differenzen werden offen angesprochen und gemeinsam gelöst.» (Leitsatz 3, Punkt 3).
- «Wir sind uns unserer Vorbildfunktion bewusst und nehmen sie wahr.» (Leitsatz 4, Punkt 1)
Oder in der Broschüre des ENSI über die Aufsicht über geologische Tiefenlager vom Juli 2017[26], in der weitere Arbeitsgrundsätze festgeschrieben sind. Z.B.
- Grundsatz 3: «Die Entsorgungspflichtigen entwickeln Lösungsvorschläge für die Realisierung geologischer Tiefenlager. Die zentrale Aufgabe des ENSI besteht darin, die vorgeschlagenen Lösungen fachtechnisch zu begutachten und dabei zu beurteilen, ob die Schutzziele, Leitsätze und Sicherheitskriterien eingehalten werden.»
- Oder Grundsatz 4: «Das ENSI nimmt sicherheitstechnische Fragestellungen aller Anspruchsgruppen frühzeitig auf und berücksichtigt sicherheitsrelevante Aspekte in seiner Aufsichtstätigkeit.»
Der Umgang der Aufsicht mit der Entwicklung der Lagerauslegung und der Anbindung an das geologische Tiefenlager durch Schacht/Rampe zeigt jedenfalls in aller Deutlichkeit auf: der Auftrag gemäss den oben dargelegten Prinzipien und Grundsätzen wurde schlichtweg nicht erfüllt.
[1] Rebrik, Boris, 1987, Geologie und Bergbau in der Antike, Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie; Rosenthal, P., Morin, De., Photiades, A., Delpech, S. et al, 2013, Mining technologies at deep level in Antiquity: The Laurion mines (Attica, Greece), HAL Archives ouvertes, https://hal.archives-ouvertes.fr/hal-00919534 (08.03.21)
[2] NAS, National Academy of Sciences, 1957a, The Disposal of Radioactive Wastes on Land. Report of the Committee on Waste Disposal of the Division of the Earth Sciences, National Research Council
[3] insbesondere das Scheitern des Projektes «Salt Vault» in der Carey-Mine in Lyons, Kansas, siehe Walker, Samuel Jr., 2006/2007, An «Atomic Garbage Dump» for Kansas, The Controversy over the Lyons Radioactive Waste Repository, 1970-1972, Kansas History: A Journal of the Central Plains 27 (Winter 2006–2007): 266–285, https://www.kshs.org/publicat/history/2006winter_walker.pdf (14.03.2021)
[4] LBL, 1978, Geotechnical assessment and instrumentation needs for nuclear waste isolation in crystalline and argillaceous rocks, Symposium Proceedings, July 16-20, 1978, Lawrence Berkeley Lab., University of California, LBL-7096, p. 218.
[5] KBS, 1978a, Handling of spent fuel and final storage of vitrified high-level reprocessing waste, Kärnbränslesäkerhet; KBS, 1978b, Handling and final storage of unreprocessed spent nuclear fuel, Kärnbränslesäkerhet.
[6] Ministry of Industry, o.J., Review of the KBS II Plan for Handling and Final Storage od Unreprocessed Spent Nuclear Fuel, https://inis.iaea.org/collection/NCLCollectionStore/_Public/12/635/12635802.pdf
[7] SKB, 1993, SKB Annual Report 1992, Stockhom May 1993, S. 63/67, http://www.skb.com/publication/9260/TR92-46webb_Part_I-II.pdf
[8] SKB, 2000, Integrated account of method, site selection and programme prior to the site investigation phase, Svensk Kärnbränslehantering AB, Swedish Nuclear Fuel and Waste Management Co, December 2000, https://www.skb.se/publikation/18341/TR-01-03.pdf
[9] NEA, o.J., The Onkalo spent nuclear fuel repository, Posiva, www.oecd-nea.org › 16900_Media
[10] In den letzten rund 10 Jahren begann die Nagra aufgrund der Kritik einer fehlenden systematischen Analyse von Lagerkonfigurationen generische Skizzen zu möglichen Anbindungsvarianten an den Untergrund vorzulegen, z.B. Nagra, 2016, Generische Beschreibung von Schachtkopfanlagen (Nebenzugangsanlagen) geologischer Tiefenlager, Oktober 2016, https://www.nagra.ch/display.cfm/id/102490/disp_type/display/filename/d_ntb16-08.pdf
[11] Nagra, 2002, Opalinus Clay Project, Demonstration of feasibility of disposal (Entsorgungsnachweis) for spent fuel, vitrified high-level waste and long-lived intermediate-level waste, Summary Overview, December 2002, https://www.nagra.ch/data/documents/database/dokumente/$default/Default%20Folder/Publikationen/Broschueren%20Themenhefte/e_bro_proj_opa.pdf (08.03.2021)
[12] Nagra, 2014, Technical Report 14-10, Modelling of Radionuclide Transport Along the Underground Acess Structures of Deep Geological Repositories,NTB 14-10, August 2014, Nagra, 2014, Technical Report 14-10, Modelling of Radionuclide Transport Along the Underground Acess Structures of Deep Geological Repositories,NTB 14-10, August 2014
[13] ENSI, 2013, Geologisches Tiefenlager, Radioaktive Abfälle sicher entsorgen, https://www.ensi.ch/de/aufsicht/entsorgung/geologische-tiefenlager/ (14.03.2021)
[14] BFE, 2020, Geologische Tiefenlager, 5. November 2020, https://www.bfe.admin.ch/bfe/de/home/versorgung/kernenergie/radioaktive-abfaelle/grundlagen-entsorgung/geologische-tiefenlager.html (14.03.2021)
[15] TFS, 2020, Räumliche und hydraulische Trennung des Pilotlagers vom Hauptlager, Antwort des ENSI/Nagra vom 2. Oktober 2020 auf die Frage 151, Technisches Forum Sicherheit, https://www.ensi.ch/de/technisches-forum/raeumliche-und-hydraulische-trennung-des-pilotlagers-vom-hauptlager/ (13.03.2021)
[16] Nagra, 2019, Sachplan geologische Tiefenlager Etappe 3, Platzierung der Haupterschliessungsbereiche (HEB) in den Standortgebieten Jura-Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost, Arbeitsbericht NAB 19-19. Mai 2019. https://www.nagra.ch/display.cfm/id/102909/disp_type/display/filename/d_nab19-019.pdf (12. 03.2021)
[17] ENSI, 2018, Präzisierungen der sicherheitstechnischen Vorgaben für Etappe 3 des Sachplans geologische Tiefenlager. ENSI 33/649 (November 2018). Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI, Brugg
[18] Marcos Buser & Jean-Pierre Jaccard, Fehlerkultur im ENSI: Ein Buch mit sieben Siegen? https://www.nuclearwaste.info/fehlerkultur-im-ensi-ein-buch-mit-sieben-siegeln/; Jean-Pierre Jaccard, Das ENSI ist nicht unfehlbar, es hat sich geirrt, https://www.nuclearwaste.info/das-ensi-ist-nicht-unfehlbar-es-hat-sich-geirrt/
[19] Buser, M., 2012, Auslegung eines Tiefenlagers: eine Analyse, 10. Januar 2012, interner Bericht
[20] Buser Marcos, 2019, Wohin mit dem Atommüll?, Rotpunkt Verlag, S. 154-155
[21] ENSI, 2012, Geologische Tiefenlager: Rampe oder Schacht als Zugang», 5. April 2012, https://www.ensi.ch/de/2012/04/05/geologische-tiefenlager-rampe-oder-schacht-als-zugang/ (15.03.21)
[22] Industrial Minerals Summary Data,
https://www1.gnb.ca/0078/GeoscienceDatabase/IndustrialMinerals/qryIndMinSummary-e.asp?Num=1116, (21.08.20), auch K+S (z.B. UTDs Herfa-Neurode und Zielitz) und EMC (Stocamine) hatten Beteiligungen an diesem Bergwerk; Stoeckl, L., Banks, V., Shekhunova, S., Yakovlev, Y., 2020, The hydrogeological situation after salt-mine collapses at Solotvyno, Ukraine, Journal of hydrology, Regional Studies, Volume 30, August 2020; Warren, J. K., 2017, Salt usually seals, but sometimes leaks: Implications for mine and cavern stabilities in the short and long-term, Earth Science Review 165, p. 302-341.
[23] siehe etwa Aussagen von Markus Fritschi, Nagra, in der Sendung Einstein vom 11. März 2021
[24] Siehe Jean-Pierre Jaccard, 2021, Das ENSI ist nicht unfehlbar, es hat sich geirrt, nuclearwaste.info, 9. März 2021, https://www.nuclearwaste.info/das-ensi-ist-nicht-unfehlbar-es-hat-sich-geirrt/
[25] ENSI, 2014, Leitbild des Eidgenössischen Nuklearinspektorats, Februar 2014, https://www.ensi.ch/de/wp-content/uploads/sites/2/2014/07/ensi_leitbild_charte_de_lifsn.pdf
[26] ENSI, 2017, Aufsicht über geologische Tiefenlager, Juli 2017. https://www.ensi.ch/de/wp-content/uploads/sites/2/2017/08/positionspapier-web-final.pdf (06.03.2021)
Patrick Studer
Sehr geehrter Herr Buser
Ein interessanter Beitrag zur Tiefenlager-Erschliessung. Auf unseren Visualisierungen wurden tatsächlich oft Rampen gezeigt. Offenbar erweckte das bei manchen den Eindruck, wir hätten uns bereits definitiv auf eine Rampe festgelegt.
Wir haben seit dem Entsorgungsnachweis betont, dass beide Varianten Vor- und Nachteile haben, aber beide machbar sind. Dieser Meinung sind wir nach wie vor. Heute wissen wir mehr über den Untergrund in allen drei Regionen, und wir haben konkretere Vorstellungen von der Infrastruktur an der Oberfläche. Heute gehen wir – basierend auf diesem neuen Wissensstand – davon aus, dass in Nördlich Lägern und in Zürich Nordost ein Schacht vorteilhafter ist. Die Situation in Jura Ost lässt nur eine Rampe zu.
Beste Grüsse, Patrick Studer, Leiter Medienstelle Nagra
Walter Wildi
Sehr geehrter Herr Studer
Danke für Ihren Kommentar. Wir sind völlig einverstanden, dass seit zwei Jahrhunderten Schächte im Bergbau wie auch Rampen – also Tunnels – für Eisenbahnen und Strassen sicher gebaut werden können. Das trifft natürlich auch für die Anschlussanlagen an ein geologisches Tiefenlager zu. Z.B. habe ich in den Diskussionen um das Jahr 2012 schriftlich festgehalten, dass der Anschluss eines geologischen Tiefenlagers im Raum Bözberg von einem Portal im Bereich Villigen durchaus via Rampe durch den Opalinuston erfolgen kann. Dies beantwortet aber die grundlegende Frage zur Langzeit-Wirksamkeit von Abdämmungsmassnahmen bei Rampen nicht, insbesondere wenn diese durch regionale Tiefen-Grundwasserleiter führen. Wer sich mit dem Zufluss von Tunnelwässern und der Wirksamkeit von Abdichtungen von Schachtbauten gegen Wasserzufluss beschäftigt hat, weiss, wie schwierig Abdämmungsarbeiten in solchen Fällen sind. Zudem: Findet das Wasser einmal einen Weg in ein Untertagebauwerk, wird es äusserst heikel, diese Bauwerke vor weiterem Wasserzufluss zu schützen. Dies gilt sowohl bei Schächten, vor allem aber bei Rampen und ganz besonders bei diffusen Wassereintritten durch das aufgelockerte Gestein, wie die Beispiele in der Asse II, in Morsleben, im Bergwerk Heilbronn und selbst in einem relativ modernen Bergwerk wie jenem von Clover Hill, Cassidy Lake, New Brunswick (Ca) zeigen. Letzteres wurde übrigens 1997 nach mehreren erfolglosen Versuchen, die neu auftretenden, für den Betrieb des Salzbergwerks bedrohlichen Wasserzuflüsse durch Injektionen abzudämmen oder diese zumindest auf kontrollierbare Zuflussraten zu senken, aufgegeben. Schächte sind kein Allerweltsmittel gegen Wasserzuflüsse, aber sie verkürzen die Wege durch Grundwasserleiter und ermöglichen wirksamere Schutzmassnahmen als bei Rampen.
Von Bedeutung sind aber nicht nur die technischen Aspekte der Anbindung von Tiefenlagern an die Oberfläche. Es ist in dieser Frage bei Nagra wie auch den Behörden offensichtlich eine Verschiebung bei der Bewertung bei den Anschlussbauwerken im Gang. Hinsichtlich der vertrauensbildenden Nachvollziehbarkeit solcher Entscheide sollten sich Nagra – aber auch Behörden! – zu diesem Änderungsprozess äussern und die Gründe für die heutige Priorisierung von Schächten aufzeigen.
Es ist in diesem Zusammenhang schliesslich daran zu erinnern, dass der Öffentlichkeit die räumlichen Freiheitsgrade von Rampen im Prozess der Abgrenzung von Planungsperimetern „schmackhaft“ gemacht worden sind. Hätte man von Anbeginn mit Schächten operiert, wären diese Perimeter sehr viel kleiner ausgefallen. Es ist im ureigenen Interesse der Nagra, dass ihr von eben dieser Öffentlichkeit nicht vorgeworfen wird, sie hätte diesbezüglich mit gezinkten Karten gespielt.
Klarstellungen zu den oben aufgeworfenen Punkten wären einer Diskussion in diesem besonders sensiblen Themenbereich in jedem Falle förderlich.
Mit freundlichen Grüssen
Marcos Buser
Patrick Studer
Sehr geehrter Herr Buser
Wir kennen die von Ihnen genannten Beispiele und die dortigen Probleme. Wir sind uns wohl alle einig, dass wir in der Schweiz keinen «Fall Asse» wollen. Zentral ist für uns aber folgender Punkt: Die Abdichtung der offenen Zugangsbauwerke ist hauptsächlich während der Einlagerungs- und der Beobachtungsphase ein Thema. Während diesen Phasen – einige Jahrzehnte – ist der Wasserzutritt aus Sicht unserer Geologinnen und Ingenieure beherrschbar. Für die Langzeitsicherheit hingegen – nach dem Verschluss des Lagers also – ist die Versiegelung im Wirtsgestein respektive im «einschlusswirksamen Gebirgsbereich» entscheidend. Die Zugangsbauwerke sind nicht Teil der verschiedenen Rückhaltebarrieren für den Einschluss der Abfälle.
In Etappe 1 des Sachplans wurden Planungsperimeter für die Oberflächenanlage ausgeschieden im Wissen, dass die Erschliessung von der Oberfläche bis zum Lager im Untergrund grundsätzlich mit Schacht und Rampe möglich ist. Diese Einschätzung wurde und wird von Nagra, ENSI und KNS geteilt. Für die Diskussion zur Platzierung der Oberflächenanlage wollte der Bund damit den Regionen möglichst grosse Flexibilität gewähren.
Gerne nehmen wir Ihre Anregung auf, für die Öffentlichkeit in passender Form (etwa in einem Blogbeitrag) darzulegen, warum wir in den Standortregionen Nördlich Lägern und Zürich Nordost einen Schacht als Referenzvariante eingesetzt haben und weshalb in der Standortregion Jura Ost ein geneigter Tunnel (Rampe) vorgesehen ist.
Freundliche Grüsse, Patrick Studer