Bild: Walchetor in Zürich, ein Symbol der kantonalen Souveränität
Heraushebungen in zitierten Textpassagen, sowie Darstellung durch die Blogautoren. Abkürzungsverzeichnis am Ende dieses Beitrags.
Zum Fachbericht AG Sika/KES
Die wissenschaftlich-technischen Aspekte werden im Rahmen des Sachplans durch die « Arbeitsgruppe Sicherheit Kantone/Kantonale Expertengruppe Sicherheit (AG SiKa/KES) » begleidet. Sie erarbeitete zu den durch Nagra, ENSI und KNS vorgelegten Berichte einen Fachbericht mit 5 Beilagen, welcher im Bericht der AdK als Beilage publiziert ist
Wir nehmen hier nochmals die Aussagen der AG SiKa/KES auf und heben aus unserer Sicht besonders wichtige Aspekte hervor. Heraushebungen bedeuten aber nicht unbedingt, dass die Blog-Autoren mit der betroffenen Aussage einverstanden sid. In einem folgenden Blog folgt eine kritische Analyse des Berichts der AG SiKa/KES aus der Sicht der Blog-Autoren.
Zu ihrem Auftrag und dessen Umsetzung schreibt die AG SiKa/KES :
« Im Auftrag des AdK befasst sich die AG SiKa/KES mit sicherheitstechnischen Fragen und erarbeitet Grundlagen für dessen Stellungnahme zu Etappe 2. Sie nimmt eine Beurteilung des Vorschlags der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) zur Einengung der Standortgebiete für weitere Untersuchungen in Etappe 3 vor. Weiter beurteilt werden die Nachforderung des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI) vom September/November 2015, die dazu gelieferte Zusatzdokumentation der Nagra, das Gutachten des ENSI, die Stellungnahme der Expertengruppe Geologische Tiefenlagerung (EGT) und zahlreiche im Auftrag des ENSI erstellte Expertenberichte, die Stellungnahmen der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) sowie der deutschen Expertengruppe-Schweizer-Tiefenlager (ESchT). »
Die wichtigsten Befunde gemäss AG SiKa/KES (S. 2-4) sind folgende:
« Nach den Vorgaben des Bundes (BFE 2008, ENSI 2013) stützt die Nagra ihre Bewertung der Standortgebiete in Etappe 2 auf zwei Säulen ab: die provisorischen Sicherheitsanalysen (Dosisberechnungen) und die qualitative Bewertung von im Sachplan festgelegten Kriterien.
Auch für die AG SiKa/KES ist die qualitative Bewertung einer umfassenden Beurteilung der Standorte ausschlaggebend. Mittels Dosisberechnungen kommt die Nagra zum Schluss, dass alle Standortgebiete sicherheitstechnisch geeignet und gleichwertig seien – dem kann nicht gefolgt werden. Zur Feststellung der Sicherheit eines Standortgebiets bedarf es eines vollständigen Sicherheitsnachweises. Die provisorischen Sicherheitsanalysen erlauben lediglich die Aussage, dass für alle Wirtgesteine und Standortgebiete keine Erkenntnisse gewonnen wurden, die gegen eine generelle sicherheitstechnische Eignung sprechen, das heisst, dass diese auf Basis der Dosisberechnungen im Auswahlprozess verbleiben können. Nicht in seinem Gutachten selber, aber nach einem Fachgespräch relativierte das ENSI gegenüber der AG SiKa/KES nachträglich den Stellenwert der mit Dosisberechnungen festzustellenden «sicherheitstechnischen Eignung» und der «sicherheitstechnischen Gleichwertigkeit» eines Standorts in Etappe 2. Es hat in Aussicht gestellt, die Kritik in seinen Vorgaben zu Etappe 3 zu berücksichtigen (ENSI 2017b).
Aufgrund umfangreicher eigener Betrachtungen in den Bereichen Seismik/Tektonik, Geomechanik und Erosion ergibt sich für die AG SiKa/KES das folgende Gesamtbild:
– Die Zurückstellung der möglichen Wirtgesteine «Brauner Dogger», Effinger Schichten und Helvetische Mergel ist gerechtfertigt. Geologische Überlegungen führen dazu, dass diese Gesteine aus sicherheitstechnischen Gründen nicht als Wirtgesteine weiterverfolgt werden sollten. Somit verbleibt einzig der Opalinuston als mögliches geeignetes Wirtgestein für geologische Tiefenlager.
– Die Zurückstellung der drei Standortgebiete für schwach- und mittelradioaktive Abfälle (SMA) ist gerechtfertigt: Wellenberg (WLB) wegen der schlechten Explorierbarkeit, Südranden (SR) wegen Erosionsgefährdung und Jura-Südfuss (JS), weil begründete Vorbehalte zur Mächtigkeit des Wirtgesteins bestehen und die wichtigen Rahmengesteine zum Teil fehlen. Diese drei Standortgebiete weisen derart markante sicherheitstechnische Schwächen auf, dass sie für ein geologisches Tiefenlager nicht weiterverfolgt werden sollten.
– Der Weiterzug der beiden Standortgebiete Zürich Nordost (ZNO) und Jura Ost (JO) in die Etappe 3 ist nachvollziehbar.
– Die Zurückstellung von Nördlich Lägern (NL) ist nicht gerechtfertigt. Das Argument der Nagra eines zu geringen Platzangebots wegen Einschränkungen durch Tiefenlage und Tektonik hält einer näheren Überprüfung nicht stand bzw. ist aufgrund der heutigen Kenntnislage zu wenig stichhaltig. Die Beschränkung der maximalen Tiefenlage auf 700 m für Lagerstollen für hochradioaktive Abfälle und abgebrannte Brennelemente (HAA) erfolgte aufgrund unhaltbarer Prämissen und inkohärenter Argumentation. Das Fehlen eines ausgereiften bauingenieurmässig bearbeiteten Referenzprojekts selbst für eine Lagertiefe von 700 m hat zum Scheitern einer korrekten Bewertung von Lagerstandorten mit Tiefen von 900 m beigetragen.
– Was die Interpretation der Seismikdaten sowie Platzbedarf und Platzangebot für HAA in NL angeht, kamen alle späteren Stellungnahmen zum Nagra-Vorschlag (ENSI-Gutachten, ENSI-Experten, EGT, KNS, ESchT) zum selben Schluss wie der Fachbericht der AG SiKa/KES vom Januar 2016 zum «2×2-Vorschlag» der Nagra.
– Bei der Analyse der Zusatzdokumentation der Nagra und der verschiedenen Gutachten und Stellungnahmen fällt auf, dass die Ausbildung und Auswirkung der Auflockerungszone als ursprüngliche Argumentation gegen grössere Tiefenlagen (v. a. in NL) faktisch fallengelassen wurden. Das ENSI und seine Experten begründen die Empfehlung auf Verbleib von NL mit der Wahl anderer Gebirgsmodelle als die Nagra und dem Datenmangel.
– Aus übergeordneter Sicht wurde festgestellt, dass die im Januar 2016 angebrachte Kritik der AG SiKa/KES von den anderen Akteuren vor allem im Bereich Bautechnik/ Geomechanik zumindest in den vorliegenden Dokumenten nicht aufgenommen worden ist.
Verschiedene Überlegungen führen dazu, NL in Etappe 3 weiterzuverfolgen. Einerseits sind die Gründe für die Zurückstellung nicht stichhaltig: Sie fussen auf unzutreffenden Modellvorstellungen (Geomechanik) und unsicherer Datenlage (2D-Seismik). Gleichzeitig haben anderseits ZNO und JO grössere Schwächen als von der Nagra angenommen – der Erosion sind sie weit stärker ausgesetzt als NL. Da alle drei Standorte aus heutiger Sicht sicherheitstechnisch die Minimalanforderungen erfüllen, gleichzeitig aber unterschiedliche Schwächen und Stärken aufweisen, sind in Etappe 3 zwingend alle drei weiter zu untersuchen.
Denn nur so kann gewährleistet werden, schliesslich den vergleichsweise sichersten Standort zur Auswahl zu haben. Dabei sollten gezielt die heute erkannten Ungewissheiten und möglichen sicherheitstechnischen Schwächen der einzelnen Standortgebiete angegangen werden. Ein solches Vorgehen ist fokussiert und effizient. Zu diesen Schlussfolgerungen ist die AG SiKa/KES in ihrem (ersten) Fachbericht vom Januar 2016 zum «2×2-Vorschlag» der Nagra gekommen (AG SiKa/KES 2016). Daran haben weder die Nachforderung des ENSI (ENSI 2015a) noch die Zusatzdokumentation der Nagra (Nagra 2016b), das ENSIGutachten (ENSI 2017a), die Stellungnahmen der EGT (EGT 2017), der Kommission für Nukleare Sicherheit (KNS 2017) oder der deutschen Expertengruppe-Schweizer-Tiefenlager (ESchT 2017) grundlegend etwas geändert.
Zu einem Referenzprojekt liegen lediglich vage Überlegungen zu Themen wie Lagerarchitektur, Statik und konstruktive Ausbildung der diversen Anlageelemente, einschliesslich Verschlussbauwerke, vor. Bezüglich HAA wird empfohlen, Lagerauslegungen und bautechnische Referenzprojekte mit einer angemessenen Bearbeitungstiefe und nach dem Stand von Wissenschaft und Technik sowohl für Lagertiefen von 700 m als auch für solche von 900 m auszuarbeiten. Ebenso ist ein Referenzprojekt für SMA vorzulegen.
Aus der Erfahrung in den Etappen 1 und 2 des Sachplans geologische Tiefenlager stellt die AG SiKa/KES fest:
- Der Sachplan geologische Tiefenlager ist ein taugliches Mittel für die Auswahl eines geeigneten Standorts in der Schweiz.
- Die geologischen Grundlagenarbeiten führten zum einhelligen Schluss in der Fachwelt, dass Opalinuston ein geeignetes Wirtgestein für ein hiesiges geologisches Tiefenlager ist.
- Die Vorgaben der ENSI-Richtlinie G03 (ENSI 2009) in Bezug auf den Betrachtungszeitraum von einer Million Jahre (bei HAA) sind einzuhalten. Ebenso muss eine Lagerfreilegung gemäss den Vorgaben ausgeschlossen sein.
- 4. Die Nachforderung des ENSI und die dadurch erfolgte Programmverzögerung von einem Jahr waren insofern nicht notwendig, als die ungenügende felsmechanische Datenlage bereits bekannt war. Die spärliche geomechanische Datenlage ist seit dem HAA-Entsorgungsnachweis (Nagra 2002) praktisch unverändert geblieben, seither wurden lediglich neue, als jeweils repräsentativ eingestufte Baugrundmodelle und Materialparametersätze vorgestellt, die sich jedoch in mancher Hinsicht widersprechen.
- ENSI, EGT, KNS und ESchT kommen bezüglich Einengungsergebnis zum gleichen Schluss, wie dies die AG SiKa/KES bereits im Januar 2016 dargelegt hat.»
Referenzen
AdK (2010): Sachplan geologisches Tiefenlager, Stellungnahme zu Etappe 1. Ausschuss der Kantone, Zürich. www.radioaktiveabfaelle.zh.ch > Ausschuss der Kantone.
AG SiKa/KES (2016): Sachplan Geologische Tiefenlager (SGT) Etappe 2, Fachbericht vom 11. Januar 2016 zum 2×2-Vorschlag der Nagra. AdK, Zürich. www.radioaktiveabfaelle.zh.ch > Ausschuss der Kantone.
BFE (2008/2011): Sachplan geologische Tiefenlager. Konzeptteil. Bundesamt für Energie BFE, Bern.
EGT (2017): Sachplan Geologische Tiefenlager, Etappe 2 – Stellungnahme der EGT zum Vor-schlag weiter zu untersuchender geologischer Standortgebiete, Expertengruppe Geologische Tiefenlagerung EGT, Brugg 2017.
ENSI (2009): ENSI-G03 (April 2009). Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI, Brugg.
ENSI (2013): Präzisierungen zur sicherheitstechnischen Methodik für die Auswahl von mindestens zwei Standortgebieten je für HAA und SMA in Etappe 2 SGT. Sachplan geologische Tiefenlager Etappe 2. ENSI 33/154 (Januar 2013). ENSI, Brugg.
ENSI (2015). Nachforderung zum Indikator «Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit» in Etappe 2 SGT. ENSI 33/476.
ENSI (2017a): Kurzprotokoll zum Fachaustausch AG SiKa/KES und ENSI (Etappe 2 SGT) [vom 7. März 2016]. 9. Januar 2017.
ENSI (2017b): Sicherheitstechnisches Gutachten zum Vorschlag der in Etappe 3 SGT weiter zu untersuchenden geologischen Standortgebiete. Sachplan geologische Tiefenlager Etappe 2, Brugg 2017. ENSI 33/540.
ESchT (2017): Stellungnahme der ESchT zum 2×2-Vorschlag der Nagra. Expertengruppe-Schweizer-Tiefenlager (ESchT). GRS, Köln.
KNS, Kommission für nukleare Sicherheit (2017): Stellungnahme zum sicherheitstechnischen Gutachten des ENSI zum Vorschlag der in Etappe 3 weiter zu untersuchenden geologischen Standortgebiete. KNS-02820. KNS, Brugg.
Nagra (2002): Project Opalinus Clay: Safety Report: Demonstration of disposal feasibility for spent fuel, vitrified high-level waste and long-lived intermediate-level waste (Entsorgungs-nachweis). Nagra Technischer Bericht NTB 02-05. Nagra, Wettingen.
Nagra (2016b). ENSI-Nachforderung zum Indikator «Tiefenlage im Hinblick auf bautechnische Machbarkeit» in SGT Etappe 2 – Projektkonzepte für die Lagerkammern und Versiegelungsstrecken und deren Bewertung. Juli 2016. NAB 16-45.
Fachbericht zu Etappe 2 (mit 5 Beilagen), Arbeitsgruppe Sicherheit Kantone/Kantonale Expertengruppe Sicherheit (AG SiKa/KES) mit Beilagen 1, 2, 2a, 3, 4. Expertenbeiträge (Beilagen des Fachberichts):
- Green, A. G. (2017): Seismikprofile, Neotektonik und Erdbebengefährdung: Beurteilung der Empfehlungen der Nagra in Bezug auf Standortgebiete für hochradioaktive Abfälle in Etappe 2. Aktualisierung 2017. 53 S., 98 Abbildungen. (Englisch mit deutscher Zusammenfassung)
- Kovári, K. (2016): Die bautechnische Machbarkeit der Lagerstollen. Einfluss der Tiefenlage auf die Langzeitsicherheit. Beurteilung der Untersuchungen der Nagra. 52 S.
2a. Kovári, K. (2017): Geomechanische Grundlagen, Projektierung und Bautechnik. 49 S.
- Müller, E., Schmid, S. (2017): Zu erwartende Erosionsprozesse in den drei möglichen Standortgebieten für hochradioaktive Abfälle (Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost). Aktualisierung 2017. 37 S.
- Baltes, B. (2017): Dosisberechnungen. Aktualisierung 2017. 58 S.
Abkürzungen
AdK Ausschuss der Kantone
AG SiKa Arbeitsgruppe Sicherheit Kantone
BFE Bundesamt für Energie
EGT Expertengruppe Geologische Tiefenlagerung
ENSI Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat
ESchT Expertengruppe-Schweizer-Tiefenlager
HAA hochradioaktive Abfälle (und abgebrannte Brennelemente sowie
langlebige mittelradioaktive Abfälle)
JO Jura Ost
JS Jura-Südfuss
KEG Kernenergiegesetz
KES Kantonale Expertengruppe Sicherheit
KNS Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit
Nagra Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle
NL nördlich Lägern
RBG Rahmenbewilligungsgesuch
SGT Sachplan geologische Tiefenlager
SMA schwach- und (kurzlebige) mittelradioaktive Abfälle
SR Südranden
WLB Wellenberg
ZNO Zürich Nordost
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