Das Kernenergiegesetz vom 31. März 2003 kennt den Begriff „Endlager“ nicht. Hingegen definiert es in Artikel 3:
„Geologisches Tiefenlager: Anlage im geologischen Untergrund, die verschlossen werden kann, sofern der dauernde Schutz von Mensch und Umwelt durch passive Barrieren sichergestellt wird.“
Zu dieser Definition gehört auch:
„Beobachtungsphase: längerer Zeitraum, während dessen ein geologisches Tiefenlager vor dem Verschluss überwacht wird und die radioaktiven Abfälle ohne grossen Aufwand zurückgeholt werden können.“
und:
„Verschluss: Verfüllen und Versiegeln aller untertägigen Teile und des Zugangsstollens des geologischen Tiefenlagers nach Abschluss der Beobachtungsphase.“
Der letzte wichtige Begriff zum Thema folgt erst in Artikel 37:
„ Art. 37 Betriebsbewilligung
1 Für geologische Tiefenlager wird die Betriebsbewilligung erteilt, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen nach Artikel 20 Absatz 1:
a. die während des Baus gewonnenen Erkenntnisse die Eignung des Standortes
bestätigen;
b. die Rückholung der radioaktiven Abfälle bis zu einem allfälligen Verschluss ohne
grossen Aufwand möglich ist.“
Seit Beginn der kommerziellen Nutzung der Kernkraft war „Endlagerung“ die in der Schweiz angestrebte Lösung zur sogenannten „Entsorgung“ der radioaktiven Abfälle. Der Begriff der „Geologischen Tiefenlagerung“ entstand aus dem „Konzept des kontrollierten geologischen Langzeitlagers“ der Expertengruppe EKRA (2000). Worum ging es damals, und worum geht es heute?
Wir erinnerten letztmals in unserem Blog vom 25. Januar 2016 an den Bericht der EKRA. Damals ging es um die Frage des „kantonalen Vetos“. Hier möchten wir an die Diskussion am Ende des 20. Jahrhunderts erinnern, als es um die Grundidee der nuklearen Entsorgung durch die Vergrabung in geologischen Lagern ging. Denn das Resultat dieser Diskussion hat wesentlichen Auswirkungen auf die heute im Gesetz geforderten Entsorgungsanlagen und deren Betrieb.
Seit den 1950-er Jahren wurde über Lösungen zur Beseitigung der radioaktiven Abfälle diskutiert. Die Vorschläge reichten von der Entsendung der Abfälle ins Weltall, ihrer Versenkung in der Eiskalotte der Antarktis oder in den weichen Sedimenten der Tiefsee, der „Verschluckung“ in Subduktionszonen, bis zur Transmutation, d.h. der Umwandlung in weniger problematische Stoffe. Die offiziellen Institutionen sprachen in der Folge nur noch von „geologischer Endlagerung“. Bei dieser Lösung werden die Abfälle in Lagerstollen in einem geeigneten Wirtsgestein eingebracht und diese möglichst rasch verschlossen, ohne weitere Nahfeldüberwachung.
In der zivilen Gesellschaft bestanden aber gegenüber diesem Lösungsansatz von Anfang an auch Zweifel. Sie ergeben sich vor allem aus (EKRA 2000):
- „der Diskrepanz zwischen dem langen Zeitraum, über den die Abfälle eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen, und der begrenzten Aussagekraft von Langzeitprognosen bezüglich Funktionstüchtigkeit von Barrieren, die für die dauerhafte Sicherheit von Endlagern erforderlich sind
- der fehlenden Möglichkeit von Eingriffen in das Endlagersystem bei Versagen
- der Irreversibilität der Endlagerung.“
Die EKRA schreibt hierzu (S.30): “Bereits Anfang der siebziger Jahre hatten daher Vorschläge zu alternativen Lagerkonzepten Eingang in die Diskussion gefunden (IAEA 1971, Buser & Wildi 1981). Überlegungen zur Notwendigkeit der Überwachung und der möglichen Rückholung von Abfällen aus einem Lager führten zu Lagerkonzepten, die Elemente der gesellschaftlichen Kontrolle stark betonten (Hammond 1979, Roseboom 1983). Gegen Ende der achtziger Jahre wurden solche Entwürfe von Bewegungen mit mystischem Gedankengut wieder aufgenommen. Sie mündeten in ein Konzept zum dauernden Hüten radioaktiver Abfälle („Nuclear Guardianship“ oder „Hütekonzept“, Kreuzer 1992, Buser 1997, 1998). Umweltorganisationen vertraten in der Folge neue Lagerkonzepte unter besonderer Berücksichtigung ethisch motivierter Grundsätze (Bär 1997, SES/Greenpeace 1998).“
Die EKRA war überzeugt, dass die in der Endlagerung vorgesehene „blinde“ Vergrabung der Abfälle künftig keine Akzeptanz mehr finden würde. Sie erarbeitete deshalb in Diskussion mit NGO’s, mit den Sicherheitsbehörden und den Entsorgern eine Lösung, welche auch die Anliegen der Lagerüberwachung und der Möglichkeit der Rückholung der Abfälle aus einem Lager berücksichtigte. Die Arbeiten der EKRA mündeten namentlich in folgenden Schlussfolgerungen:
- „Die Sicherheitssysteme der Zwischenlager sind auf kurze Lagerzeitenausgelegt; sie erfüllen daher das übergeordnete Ziel der Langzeitsicherheit nicht.
- An der Erdoberfläche gelegene Abfalllager (Oberflächen-Dauerlager, Langzeitlager und Endlager) und offene Lager in der Tiefe (Tiefen-Dauerlager), welche zu überwachen sind, werden dem Ziel der Langzeitsicherheit ebenfalls nicht gerecht.
- Nach heutigem Wissensstand ist die geologische Endlagerung die einzige Methode zur Beseitigung der radioaktiven Abfälle, welche den Anforderungen an die Langzeitsicherheit (bis zu mehr als 100‘000 Jahren) entspricht. Dieses Konzept basiert auf der kombinierten Wirkung von technischen und natürlichen Barrieren zum Einschluss der Radionuklide. Die Reversibilität der Lagerung, d. h. die Möglichkeit der Rückholung der Abfälle aus einem verschlossenen Endlager, ist grundsätzlich gegeben, aber nicht Teil des Konzepts.
- Die gesellschaftlichen Forderungen an die Abfalllagerung orientieren sich am Prinzip der Reversibilität. Die EKRA hat daher das Konzept der kontrollierten geologischen Langzeitlagerung entwickelt, welches die Endlagerung mit der Möglichkeit der Reversibilität verbindet.
Es sieht zusätzlich zum eigentlichen Abfalllager – oder Hauptlager – die Errichtung eines Testlagers und eines Pilotlagers vor, ferner eine der geologischen Endlagerung vorgeschaltete Phase der Beobachtung und erleichterten Rückholung der Abfälle. Das Konzept der kontrollierten geologischen Langzeitlagerung berücksichtigt somit gleichzeitig die Ansprüche auf Langzeitsicherheit und auf Reversibilität. Auf diese Weise soll die geologische Endlagerung schrittweise erreicht werden, falls die Abfälle nicht vorher zurückgeholt werden. . . . .“
Zur Umsetzung der „kontrollierten geologischen Langzeitlagerung“, welche später als „geologische Tiefenlagerung“ ins Gesetz einfloss sah die EKRA sowohl konstruktive, als auch organisatorische Massnahmen vor. Hier sollen die konstruktiven Massnahmen in Erinnerung gerufen werden:
Gemäss EKRA :“ Das Lagerkonzept der KGL umfasst die generellen Systemelemente Test-, Haupt- und Pilotlager (Figur ). Die konkrete Ausgestaltung muss standortspezifisch und stufengerecht im Laufe der weiteren Projektierung erfolgen. Die drei Systemelemente haben folgende Ziele zu erfüllen:
- Das Testlager wird während und/oder unmittelbar nach der Standorterkundung eingerichtet. Es dient als Felslabor dazu, standortspezifische Untersuchungen durchzuführen. Diese Untersuchungen sind notwendig, um den Sicherheitsnachweis, der für die Betriebsbewilligung gefordert ist, zu erhalten. Das Testlager kann – in Ergänzung zum Pilotlager – nach der Betriebsaufnahme des Hauptlagers weiter betrieben werden.
Im Testlager sollen gezielte Untersuchungen zu den im Hauptlager ablaufenden sicherheitsrelevanten Prozessen durchgeführt werden. Dazu können Anlageteile des Hauptlagers nachgebildet und getestet werden. Offene Fragen lassen sich mit spezifischen Versuchen im Felslabor untersuchen. Mit Wärmeelementen ist es möglich, die Wärmeentwicklung der Abfälle zu simulieren, geeignete Radionuklidtracer dienen der Untersuchung von Transportvorgängen (Migrationsversuch) und leere Abfallbehälter dem Studium von chemischen Prozessen unter Endlagerbedingungen.
- Das Hauptlager wird im Wirtsgestein errichtet und nimmt den grössten Teil der Abfälle auf. Um die Langzeitsicherheit zu gewährleisten, müssen Standortwahl und Wirtsgestein des Hauptlagers den Anforderungen an ein Endlager genügen. Die Lagerarchitektur (Kavernensystem und -geometrie), der Einbau und die Verfüllung sind so zu konzipieren und auszuführen, dass die Rückholung technisch einfach bleibt.
- Zur Gewährleistung der Sicherheit während der länger andauernden Beobachtung sind Einrichtungen für einen raschen Lagerverschluss in Krisenzeiten zu schaffen. Für die Überwachung des Nahfeldes in der Betriebs- und Beobachtungsphase können spezielle Einrichtungen im Zugangsbereich (z. B. Sonden) vorgesehen werden. Diese dürfen jedoch nicht zu einer Beeinträchtigung der Langzeitsicherheit des Hauptlagers führen, z. B. durch Schaffung von direkten hydraulischen Verbindungen (Kurzschlüssen) zur Biosphäre.
Das Pilotlager erfüllt mehrere Aufgaben:
- Überwachung des Langzeitverhaltens der technischen Barrieren und des Nahfelds
- Bestätigung von Prognosemodellen, mit denen die Langzeitsicherheit nachgewiesen wurde
- Funktion als Nachweislager, welches über den Verschluss des Hauptlagers hinaus eine Langzeitkontrolle ermöglicht.
Im Gegensatz zum Hauptlager könnten im Pilotlager nach Ablauf gewisser Fristen auch zerstörende Untersuchungen vorgenommen werden, um genauere Erkenntnisse über Einrichtungen des Endlagersystems zu gewinnen. Da dann die Integrität des Pilotlagers oder von Teilen davon nicht mehr gewährleistet ist, wären betroffene Abfallbehälter zur anderweitigen Entsorgung zurückzuholen.
Die Resultate aus dem Pilotlager liefern gemeinsam mit jenen aus dem Testlager und der Bau- und Betriebsphase des Hauptlagers die wichtigsten Grundlagen zur Bestätigung der Langzeitsicherheit. Eine detaillierte Auswertung der Ergebnisse ist Voraussetzung für die Genehmigung des Hauptlager-Verschlusses.
Die Untersuchungen im Pilotlager liefern zudem Entscheidungsgrundlagen, ob Abfälle aus Sicherheitsgründen aus dem Hauptlager rückgeholt werden müssen. Aufgrund der Beobachtungen im Pilotlager können folgende Eingriffe im Hauptlager durchgeführt werden:
- Kontrolle der technischen und zum Teil der natürlichen Barrieren
- Reparatur und Verbesserungsmassnahmen an den technischen Barrieren
- Sanierungsmassnahmen bei unerwartetem Austritt von Radionukliden in das Nahfeld oder in die Geosphäre
- Rückholung von Abfällen
Das Pilotlager wird vor dem Hauptlager gebaut und betrieben, es muss von diesem hydraulisch vollständig isoliert sein.“
Gegenüber dem ursprünglichen Endlagerkonzept ergeben sich damit in der geologischen Tiefenlagerung zahlreiche wichtige Unterschiede, auf welche wir in kommenden Beiträgen im Detail eingehen werden. Hier einige Eckpfeiler:
- Betriebsdauer: Die Dauer des Lagerbetriebs, vom Bau, der Testphase, der Einlagerung und dem Verschluss des Hauptlagers, sodann der Lagerüberwachung und einer eventuellen Überführung in ein Endlager, bzw. der Rückholung der Abfälle bei einem schweren Mangel oder Störfall vergeht in einem geologischen Tiefenlager viel mehr Zeit, als bei einer „blinden“ Endlagerung. Hinzu kommt eine komplexe Abwicklung der diversen Phasen, die oft ineinander verzahnt sind (z.B. die diversen Bau- und Betriebsphasen wechseln sich ab).
- Anlagenstabilität und –Unterhalt: Diese verlängerte Betriebszeit stellt höhere Anforderungen an die Stabilität der Lagerzugänge, sowie an deren Wartung (Unterhalt) und Reparierbarkeit.
- Betrieb des Pilotlagers: Dies ist eine Anlage welche auf Langzeitbeobachtung angelegt ist. Ihre praktische Ausgestaltung ist noch nicht festgeschrieben. Gewisse in der Anlage zu messende Parameter, wie Druck, Wasserdruck, Gasdruck, Temperatur, Radioaktivität lassen sich bereits heute festlegen. Andere werden sich im Verlauf der konkreten Bearbeitung und Umsetzung eines Pilotlagers herausschälen.
- Langzeitfinanzierung und Festlegung der langfristig verantwortlichen Betreiber des Pilotlagers
- Konkretisierung der Rückholung der Abfälle im Falle eines Störfalls, Unfalls oder Weiterverwendung der Ressourcen.
Und selbstverständlich gibt es heute namentlich in Entsorgerkreisen auch wieder Widerstand gegen die Umsetzung dieses Konzeptes. Kostet zu viel und verlangt Denkarbeit . . .
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