Bözberg und Weinland: zu dünne Decke für einen kalten Winter
Wie in den Blogs vom 27. März, 3. April, 1., 5., 8. und 22. Mai dargelegt, befindet sich das „Sachplan geologisches Tiefenlager“ genannte Programm zur Suche nach einem oder zwei Standorten für Tiefenlager von radioaktive Abfälle heute am Eingang zu einer Sackgasse: Zwei Standorte, „Jura Ost“ (Bözberg) und „Zürich Nordost“ (Zürcher Weinland) wurden durch die Entsorgungspflichtigen am Ende der zweiten Etappe des Sachplanverfahrens zur Endauswahl vorgeschlagen. Nur:
Abbildung 1: Stollenausbruch im Untertagelabor Mt Terri (2008)
- Der Standort Bözberg liegt über einem tiefen Permokarbon-Trog mit Kohleflözen und vermutlich auch Gasvorkommen. Eine spätere Ausbeutung dieser Rohstoffe kann nicht ausgeschlossen werden, wodurch die Integrität des Tiefenlagers gefährdet wäre. Dies ist ebenfalls ein wichtiger Schwachpunkt des nachträglich wieder in die Diskussion eingeführten Standorts Lägern Nord.
- In der näheren Umgebung des Standorts Zürcher Weinland wurden im Verlaufe der Eiszeiten, während den letzten etwa 800’000 Jahren, in Talschaften 500 bis 600 m Fels durch die Gletscher erodiert. Geht man davon aus, dass sich dies im gleichen Zeitraum in der Zukunft auch zutragen kann, so wären die in 600 bis 800 Metern Tiefe gelegenen Lager von der Freilegung und dem massiven Eindringen von Grundwasser unmittelbar bedroht.
Die laufenden Abklärungen dürften an diesem Sachverhalt nicht viel ändern (die erwähnten Fakten sind übrigens seit nunmehr gut 30 Jahren bekannt): Die Tiefenlager in ihrer heutigen Form können unter den gegebenen Umständen kaum mit der geforderten Sicherheit realisiert werden. Was kann nun die Antwort auf diese Situation sein?
Zunächst soll erwähnt werden, dass der Sachplan im Anhang IV eine ganze Reihe guter Kriterien zum Ausschluss ungeeigneter Standorte enthält. Nur müsste man sich an diese halten und sie anwenden. Anders gesagt müssten auch Regeln festgelegt werden, wie mit einem Standort umgegangen werden soll, bei dem dieses oder jenes negative Kriterium eintritt (siehe kommende Blogs). Wäre dies im vorliegenden Fall geschehen, so hätte man sicher die Standorte über dem Permokarbon-Trog entweder ausgeschlossen, oder ihre Weiterverfolgung von den Resultaten vertiefter Untersuchungen zu eventuellen Lagerstätten wertvoller geologischer Rohstoffe abhängig gemacht.
Im Zürcher Weinland hätte man das Kriterium der Gletschererosion bereits anwenden müssen. Doch besteht bei der Nagra offensichtlich noch die Zuversicht, der Bedrohung ausweichen zu können. Aber Gletscher sind in ihrem Verhalten weitgehend unberechenbar. Wie könnte man sich sonst so Erscheinungen, wie die Erosion des Neuenburger Seebeckens, weit vom alpinen Herkunftsgebiet des Rhonegletschers entfernt erklären?
Wäre tiefer besser?
Eine Option, die seit vielen Jahren immer zur Diskussion steht, bestände z.B. darin, mit Abfallagern in grössere Erdtiefen auszuweichen. Da der Opalinuston in der Nordostschweiz mit einem leichten Gefälle von Norden gegen Süden unter das Mittelland absinkt, wäre dies eine à priori plausible Richtung, in die sich weitere Abklärungen entwickeln könnten. Aber wäre sie auch mit genügender Sicherheit realisierbar?
Opalinuston ist bezüglich seiner Qualität als Wirtgestein zum Einschluss radioaktiver Abfälle grundsätzlich ein gutes Gestein. Bautechnisch ist es aber heikel:
- Bei steigendem Gesteinsdruck, also bei steigender Überlast durch überdeckende Gesteine, d.h. bei grösserer Tiefe unter der Erdoberfläche, sinkt die Standfestigkeit von Untertagebauten. Dies bedeutet zum einen, dass die Lebensdauer der Stollen sinkt. Zum anderen wächst die Auflockerungszone um die Stollen. Dies ist die Gesteinszone im Umfeld der Stollen, in der sich die Gesteine durch den Entlastungsdruck ablöst. Diese von offenen Entlastungsklüften durchzogene Zone (auch EDZ genannte) wird als möglicher Transportpfad von Wasser und Gasen aus dem Tiefenlager besonders gefürchtet (Abbildungen 2 und 3).
Abbildung 2 : Schematische Darstellung der Auflockerungszone (EDZ) um einen Tunnel.
Abbildung 3 : Auflockerungszone (EDZ) im Opalinuston des Mt Terri. Fenster mit geklüftetem Gestein im Stollenausbau (einer Schicht von Spritzbeton).
- Bei plötzlichem Wassereinbruch in offene Stollen, sei es bei einer Überschwemmung an der Oberfläche und der folgenden Invasion der Lagerstollen durch Oberflächenwasser, sei es durch den Einbruch von Tiefenwasser, weicht das Gestein auf und fliesst in den zusammenbrechenden Hohlraum ein.
Aufgrund dieser Eigenschaften, werden der sichere Betrieb des Lagers und der sichere Einschluss der Abfälle tendenziell mit zunehmender Lagertiefe schwieriger. In ihrem technischen Bericht NTB 2010-01 gibt die Nagra eine didaktische Übersicht über das durch sie gewählte Vorgehen zur Zuordnung von Planungsgrössen zur Dimensionierung der Lagerstollen in Funktion der Tiefe im Opalinuston. Die Abbildung 4 versucht dies in synthetischer, aber stark vereinfachender Weise darzustellen.
Abbildung 4: Planungsgrössen für Höhe und Breite der durch die Nagra im Opalinuston vorgesehenen Lagerstollen, dargestellt im Verhältnis zur Tiefe des Lagers unter der Erdoberfläche (Mittelwerte), gem. NAGRA NTB 2010-1.
Unter Annahme, dass diese Grössen etwa korrekt sind, kann man sich vorstellen, dass in grösserer
Tiefe unter der Erdoberfläche gewisse Anpassungen möglich sind, um die Nachteile, die aus der grösseren Tiefe, dem höheren Druck und der höheren Temperatur entstehen, zu kompensieren. Dies betrifft in erster Linie die Orientierung der Untertagebauten sowie deren Geometrie und Bemessungen. Grundsätzlich (aber nicht exklusiv) gilt: je kleiner die Stollendurchmesser, desto besser die Stabilität.
Die Fragen nach möglichen Lagerauslegungen sollten nun vordringlich abgeklärt werden und zwar unter Einbezug folgender Fragestellungen:
- Durchmesser und Geometrie der Lager- und der Servicestollen, sowie der Zugangsschächte und ev. Stollen
- Eigenschaften der Abfallgebinde wie Dimension, Material, Gewicht usw.
- Füllmaterial (Bentonit oder Alternativmaterial).
- Stollenausbau, w.m. (ausschreiben) ohne geochemische Störung des Lagers.
- Einlagerungs- und Rückholungstechniken
- Lagerauslegung, Ventilation, etc., Bewetterung (Ventilation) und Grubensumpf.
- Lagerverschluss und – Überwachung,
- Variantenstudien und Risikovergleiche
- und anderes mehr!
In ihrem Technischen Bericht NTB 10-01 gibt die Nagra einen schönen Überblick über den Zusammenhang zwischen den Abmessungen eines Stollens und seiner Stabilität. Nur eben: welches ist die Erfahrungsbasis, welches sind die bereits gebauten Stollen, die diese Thesen untermauern würden? Und: Wie soll man mit Standortvorschläge vorstellen, wenn diese absolut grundsätzlichen Fragen noch offen sind?
Im Rahmen des Sachplans wurde die Notwendigkeit, andere Lagerkonzepte anzudenken und zu entwickeln, schon öfters thematisiert. Bisher scheiterte diese Diskussion aber am Widerstand der Nagra und des Ensi. Letzteres hinterfragte das Erschliessungs- und Lager-Konzept der Nagra nie ernsthaft. Die Diskussion um andere Lagerkonzepte wurde im Sommer 2012 darum vom Ensi aufs Eis gelegt – trotz vordergründigen „Forschungsprogrammen“ zur Lagerauslegung.
Angesichts dieser vielen offenen grundlegenden Fragen ist es zweckmässig, das Programm Opalinuston einer vollständigen wissenschaftlichen Review zu unterziehen. Erst im Laufe der Bearbeitung dieser komplexen Fragen wird sich der Weg abzeichnen, der einzuschlagen ist, um zu sichereren Lagerstandorten zu kommen. Eines scheint heute wahrscheinlich, wenn nicht sicher: Die Optionen könnten sich in einer Review wieder ausweiten. Damit käme ein Ausbruch aus der verklemmten Lage zwischen Jura Ost (Bözberg) und Zürich Nordost (Weinland) unter Umständen wieder in Sichtweite.
Nach der Review das Testlager
Allerdings kann auch mit dieser Review des Konzepts Opalinuston die Sicherheit nicht abschliessend nachgewiesen werden. Hierzu werden vielmehr Untersuchungen mit Experimenten und Nachmessungen in Felslabors in situ notwendig sein. Denn die aus den Stollen des Labor Mt Terri gewonnenen Erkenntnisse können nur beschränkt auf Standorte im Mittelland übertragen werden. Grund dafür ist namentlich die grundsätzlich andere tektonische Lagerung zwischen den zwei Situationen, mit tektonisch geneigten und stärker verformten (zerbrochenen) Gesteinsschichten am Mt Terri, bzw. praktisch horizontalen Schichten im Mittelland.
Diese Review und die sich daraus ergebenden Untersuchungen werden weiter Zeit und Geld verschlingen und die Entsorgungskosten zusätzlich in die Höhe treiben. Ein unumgänglicher Weg in der heute ohnehin vertrackten Situation.
Die Schweiz steht heute in ihren Bemühungen um die nukleare Entsorgung nicht allein da. Dies hat Vorteile, aber auch Nachteilen. Soll es zu einer Review der Option Opalinus kommen, wird es von Vorteil sein, nach Verbündeten zu suchen. Sollte auch dies zu keinem Resultat führen (die komplexe Schweizer Geologie ist wenig hilfreich) müsste die Schweiz wohl sogar nach eventuellen Lagermöglichkeiten imAusland Ausschau halten müssen. Eine Frage, die sicher vertieft auszuleuchten ist.
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