Voraussetzung ist: innehalten und bereit sein, das bisher umgesetzte Programm zu überdenken. Kurz gesagt: Bilanz zu ziehen, über Erfolge und Misserfolge der bisherigen Arbeiten. Da man ja selber dazu neigt, blind zu sein und sein eigenes Wirken schönzufärben, wäre es am klügsten, unbelastete, integre und kompetente Leute, also eine Art „Rat der Weisen“, mit solch einer Reflexion zu beauftragen.
Fragen für diese Reflexion gibt es genug. Um nur einige zu nennen:
- Was lief bisher richtig, was lief falsch, beziehungsweise warum und wie traten die Probleme in Erscheinung? Wurde eine systematische Prozedur für die Erfassung und Behandlung von Sachproblemen entwickelt? Nach welchen Methoden und mit welchen Ergebnissen? usw.
- Wie gingen die unterschiedlichen Player mit diesen Problemen um? Was wurde aufgenommen und behandelt, was nicht und warum? Wurde Buch geführt? Wenn nein: warum? Wenn ja: was waren die Erkenntnisse? Was wurde umgesetzt, was nicht, und warum? usw.
- Oder etwa Fachfragen: Warum liefen die Zeitpläne derart aus dem Ruder? Warum erfolgte von allem Anfang an keine Gesamtplanung, obschon eine solche x-fach gefordert wurde? Weshalb wurden viele wissenschaftliche oder technische Arbeiten, die von verschiedener Seite aufgeworfen wurden, bisher nicht in Auftrag gegeben oder ausgeführt? Andere Lagerauslegungskonzepte? Die Überprüfung der massiven Stützung des Opalinustons (Ausbau der Stollen mit Stahl und Beton in der FE-Galerie Mont-Terri) auf die Endlager-Konzeptionen in den ausgewählten Standortregionen der Nordostschweiz? Was sind die Konsequenzen der Erkenntnisse im Mont-Terri auf den Entsorgungsnachweis für hoch radioaktive Abfälle 2002 der Nagra? Muss dieser nachgebessert werden? Wie steht es mit dem Risikovergleich von Rampen und Schächten als Zugangswege zu den geologischen Tiefenlagern und zwar während dem Bau, dem Betrieb und bezüglich Verschluss und Langzeitsicherheit? Was bedeutet die Deckungsgleichheit der Standortauswahl nach Aktennotiz AN11-711, erarbeitet in den Jahren 2009 bis 2011 (publiziert in der Sonntagszeitung vom 7. Oktober 2012) und den Einengungsvorschlägen der Nagra im Frühjahr 2012 als Resultat der in Etappe 2 des Sachplans geologische Tiefenlager?
Gut strukturierte Projekte – denken wir an die Neat-Planungen, den Bau von Pumpwasserspeichern und andere Grossprojekte – erlauben es, solche Analysen innerhalb von kurzen Zeiträumen auszuführen. Es gibt also hinreichend Erfahrungen, wie man konkret vorgehen muss, wenn Antworten auf konkrete Fragen gesucht werden. Gerade der heute vor uns liegende dreivierteljährige Zeitraum, während der die Nagra-Berichtsflut der Etappe 2 von diversen Behörden überprüft wird, könnte darum sinnvollerweise genutzt werden, um eine solche Analyse in Auftrag zu geben, auszuführen und auszuwerten. Und zwar parallel zu den jetzigen Arbeiten und ohne den mindestens Zeitverlust. Und zu sehr vernünftigen Kosten, denn Denken war schon immer die billigste und effizienteste Methode und half seit jeher, Fehler und teure Folgeschäden zu vermeiden. Einer Art aussenstehende Qualitätssicherung.
Dass ein solches Vorgehen nicht aus dem leeren Raum gegriffen ist, zeigt ja gerade die Tatsache, dass im Laufe des Sachplanverfahrens schon mehrfach Zwischenetappen eingeschaltet wurden oder werden mussten, die man sybillinisch als „Zwischenergebnis“ bezeichnet. In diesen Zwischenergebnis-Sitzungen rangen verschiedenen Player – Nagra, Bundesamt für Energie, Kantone, Expertengremien – hinter den Kulissen nach Lösungen für anstehende Teilprobleme, etwa bezüglich Seismiklinien, Seismikauswertungen, Grundwasservorkommen unter Standorten für Oberflächenanlagen usw. Eine Gesamtschau für den unbefriedigend ablaufenden Prozess wurde nie initiiert und ist bislang auch nicht in Sicht. Höchste Zeit also, angesichts der sich zuspitzenden Probleme, den dramatischen Kostenentwicklungen und den Risiken, die mit der Entsorgung auf künftige Generationen zukommen, eine umfassende und selbstkritische Analyse über den Stand und Zustand des Sachplanverfahrens einzuleiten. Parlament und Bundesrat sind hier in erster Linie gefordert.
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