Die Eiterbeule platzte Mitte September 2016. Unter Druck eines Gesuchs um Akteneinsicht geraten[1], trat der ENSI-Rat die Flucht nach vorn an. Am 13. September schaltete er sechs Dokumente auf der Webseite des ENSI auf, aus denen das Auftragsverhältnis mit der PR-Agentur Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten AG bekannt wurde, während und im Nachgang an die „Filz-Affäre“ der Bundesbehörden in den Jahren 2012 – 2013. Man stelle sich vor: Hirzel.Neef.Schmid, Auftragnehmer der Atombranche und aller wichtiger Player zur selben Frage bei den Behörden; zu einem Zeitpunkt, als Untersuchungen des ENSI-Rats und des Generalsekretariats UVEK zur Unabhängigkeit der Strukturen liefen, sprich zu Filzverstrickungen im Entsorgungsbusiness. Vier Jahre später wird bekannt, dass die PR-Firma, die mit allen Akteuren verbandelt ist, nun auch für den Untersuchungsausschuss des ENSI-Rats arbeitete! Und das soll nicht Filz sein.
Als von der Untersuchung Betroffene meldeten sich daraufhin die beiden Geologen Marcos Buser und André Lambert beim ENSI-Rat und verlangten bei dessen Präsidentin Erklärung dafür, warum zentrale Aussagen der beiden Geologen vom Untersuchungsausschuss des ENSI-Rats und ihrem mandatierten Büro ‚interface’ nicht „berücksichtigt“ – also aussortiert und gefiltert – worden sind, welche die Filz-Kritik eindeutig belegten. Als Beispiele wurden ein Brief beziehungsweise ein Bericht im Entwurfsstadium genannt, die von leitenden Personen des ENSI unter der Hand der Nagra zugestellt worden waren, und die ganz klare Fälle von Amtsgeheimnisverletzungen darstellen. Über diese Dokumenten werden wir zu einem späteren Zeitpunkt berichten. Auch wollten die beiden Geologen von der ENSI-Rat-Präsidentin wissen, wie ihr Sinneswandel im Sommer 2012 zu erklären sei, hatte diese doch die anfängliche Offenheit und Unvoreingenommenheit für eine vertiefte Untersuchung zugunsten einer Persil-Schein-Abklärung aufgegeben.[2]
Parallel zu diesen Anliegen formulierten die beiden Autoren des Blogs zwei Briefe an den ENSI-Rat. Einen offenen Brief, der im Beitrag vom 26. September auf nuclerwaste.info aufgeschaltet und per separater elektronischer Post dem Fachsekretariat zur Übermittlung an den ENSI-Rat geschickt wurde. Dieser Brief äusserte grundsätzliche Zweifel am Willen und der Fähigkeit des ENSI-Rats, seine Aufsichtsfunktion in unabhängiger Art und Weise wahrzunehmen. Und einen zweiten Brief von Marcos Buser, der weitere Auskünfte zum Engagement von Hirzel.Neef.Schmid wünschte und auch Erklärungen zu diffamierenden Einschätzungen der Blog-Autoren in einem Bericht der Konsulenten.
Der ENSI-Rat liess uns mit Datum vom 7. November 2016 seine Antwort zukommen (siehe unten), aus der hervorgeht, dass der ENSI-Rat im betrachteten Zeitraum zwei Aufträge an Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten erteilt hatte und die sich daraus ergebenden Fragen via Antwort des Bundesrats auf die Interpellation von Martina Munz „Filz oder Ethik bei PR-Aufträgen der Atomaufsicht“ (siehe Link[3]) beantwortet würden. In unserer Antwort an den ENSI-Rat vom 9. November haben wir nochmals das Problem der Verbandelung der Konsulenten mit der Atomwirtschaft aufgegriffen und den ENSI-Rat als Aufsicht der Aufsicht dazu aufgefordert, sich den in unserem offenen Brief vom 26, September dargelegten Kritiken offen zu stellen (siehe ebenfalls unten).
Der zweite oben erwähnte Brief wurde von Marcos Buser am 20. September 2016 verfasst. Er verlangte beim ENSI-Rat Auskunft über die Konsulenten und ihre Mandate sowie über diffamierende Äusserungen der PR-Agentur bezüglich der Autoren des Blogs in einem Bericht vom 18. Januar 2013. Auch dieser Brief wurde am 7. November 2016 beantwortet, ohne dass die Aufsichtsbehörde auf die Fragen eingegangen wäre. Marcos Buser hat daher den ENSI-Rat mit Brief vom 9. November 2016 aufgefordert, eine Liste sämtlicher Dokumente zu erstellen mit allen Dokumenten, die in Zusammenhang mit den beiden Verträgen mit den Konsulenten stehen, inklusiv Verträge und Vorverträge, Evaluationen, Protokolle und Beschlüsse usw., wie auch bezüglich dem Schriftverkehr in dieser Sache mit UVEK, BFE und anderen Institutionen. Alle Briefe sind diesem Blog-Beitrag beigefügt.
Unabhängig von der weiteren Entwicklung des Falls möchten wir den ENSI-Rat zum Abschluss dieses Blog-Beitrags an seine Leitlinien und seine leitgebenden Prinzipien erinnern.
Leitbild ENSI[4]
„Das ENSI ist die unabhängige Aufsichtsbehörde im Nuklearbereich. Dabei bewegt es sich in einem Umfeld, das höchste Anforderungen an die behördliche Aufsicht stellt. Das ENSI ist sich bewusst, dass eine erfolgreiche Aufsichtstätigkeit zentral von den fachlichen Qualifikationen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abhängt, aber auch von ihren Werten und ihren Fähigkeiten zu einer konstruktiven Zusammenarbeit.“ (S. 3)
Leitsatz 1: Wir sind die unabhängige Aufsichtsbehörde der schweizerischen Kernanlagen.
- Wir sind ein zuverlässiger Ansprechpartner für Bevölkerung, Behörden und Beaufsichtigte. Wir informieren verständlich, fundiert und zeitgerecht.
Kommentar: Der Beizug der PR-Agentur wurde Jahre nach Abschluss des Auftragsverhältnisses bekannt, und zwar nicht freiwillig durch den ENSI-Rat sondern über ein Gesuch eines Journalisten des “Tages-Anzeiger” um Akteneinsicht nach BGÖ.
Leitsatz 2: Wir stärken mit unserer Aufsichtstätigkeit die nukleare Sicherheit.
- Wir üben unsere Aufsichtstätigkeit wachsam, selbstständig und unabhängig aus. Wir setzen unsere Entscheide konsequent durch.
Kommentar: Wo bleiben Selsbtändigkeit und Unabhängigkeit, wenn das ganze System verbandelt ist und die vom Gesetz zugewiesenen Rollen unterhöhlt? Wachsamkeit ist mit der rosaroten Brille nicht zu leisten. Wie hatte doch die Neue Luzerner Zeitung bei der Veröffentlichung der Untersuchungsberichte des ENSI-Rats geschrieben Anfangs Dezember 2012 geschrieben: “Die Nuklearaufsicht sieht rosarot“. Und weiter „Um das Gutachten so zu lesen, braucht man schon eine sehr rosafarbene Brille“. [5] Oder die Westschweizer Medien, die ihre Berichte mit dem Lead „La sécurité nucléaire blanchie“ titelten. [6] Im Sinne einer Reinwaschaktion.
Leitsatz 3: Wir arbeiten als Team.
- Unsere Arbeit ist geprägt durch Selbstverantwortung und gegenseitige Wertschätzung.
- Wir hinterfragen uns und unser Handeln. Differenzen werden offen angesprochen und gemeinsam gelöst.
- Wir sind integer, offen und zuverlässig
Kommentar: Zu Punkt 1: Wie passen solche Aussagen zur Praxis des ENSI-Rats, diffamierende Aussagen über Andersdenkende in Berichten von Auftragsempfängern zuzulassen? Ist das die Wertschätzung die Kollegen entgegenbracht wird, mit denen man über zwei Jahrzehnte in Kommissionen sass oder zusammenarbeitete, etwa der Kommission für die Sicherheit von Atomanlagen KSA, die Expertengruppe Konzepte radioaktive Abfälle EKRA und weitere mehr?
Zu Punkt 3: Wo ist die vielbeschworene Fehlerkultur, bei der sich die Institution hinterfragt, ihr Handeln in Sachen Auftragsvergabe an Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten bedenkt, Fehler eingesteht und diese konsequent korrigiert? Wo die Bereitschaft, sich Kritik von aussen anzuhören und diese aufzunehmen? Und schliesslich, wo der Wille, die Konsequenzen aus dem eigenem Fehlverhalten zu ziehen?
Zu Punkt 4: Wie passt das Vorhergesagte zur Aussage über Integrität und Offenheit?
Leitsatz 4: Wir sind Vorbild.
- Wir sind uns unserer Vorbildfunktion bewusst und nehmen sie wahr.
Kommentar: Wie passt solches Handeln zur Vorbildfunktion des ENSI-Rats? Verantwortlich ist dieser, wenn er – wie schon oben gesagt – die Konsequenzen aus seinen Fehlern bei der Ausübung seiner Tätigkeit zieht. Die Wahrnehmung der Vorbildfunktion wird vom ENSI-Rat nicht vorgelebt – zumindest nicht in diesem Dossier. Im Ernstfall klebt man dann lieber am gut bezahlten Sessel.
[1] Tages-Anzeiger, Edelberater für Atomaufsicht, 14. September 2016, https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/edelberater-fuer-atomaufsicht/story/25345283
[2] Infosperber, Hintergründe zum Persil-Gutachten der Atomaufsicht, 6.12.2012, siehe https://www.infosperber.ch/Umwelt/Ensi-Gutachten-zeigt-Der-Schweizer-Atomfilz-lebt
[3] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20163753
[4] Leitbild ENSI, https://www.ensi.ch/de/dokumente/leitbild-ensi/
[5] Neue Luzerner Zeitung, Die Nuklearaufsicht sieht rosarot, 4.12.2012
[6] 24heures, La sécurité nucléaire blanchie, 4.12.2012; Tribune de Genève, Les acteurs de la sécurité nucléaire sont blanchis, 4.12.2012, „Des doutes persistent.“
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