Worum es geht: ein kurzer Rückblick
Der Sachplan geologische Tiefenlagerung[1] bestimmt heute den Prozess zur Festlegung eines Standorts für die geologische Tiefenlagerung der zwei Hauptkategorien von radioaktiven Abfällen der Schweiz, d.h. einerseits schwach und mittel radioaktive Abfälle (SMA) und andererseits hoch radioaktive Abfälle und Brennelemente (HAA). Nachdem die Nagra in der ersten Etappe dieses Plans sechs möglich Standorte für SMA vorgeschlagen hatte, darunter drei welche auch für HAA als geeignet bezeichnet wurden, filterte sie nun in Etappe 2 die beiden Standorte (Bözberg und Zürcher Weinland) für die weitere Untersuchung in Etappe 3 aus[2]. Damit folgte sie der Vorgabe des Sachplans welche vorsieht:
«5.1.2 Vorschlag von mindestens zwei Standorten
Basierend auf den durchgeführten Untersuchungen und der Zusammenarbeit mit den Standortkantonen und den Standortregionen schlagen die Entsorgungspflichtigen mindestens je zwei Standorte für HAA und SMA vor. Sie dokumentieren und begründen ihren Vorschlag in einem Bericht zuhanden des BFE. Weiter reichen sie einen technischen Bericht zu der Methodik und den Resultaten der provisorischen Sicherheitsanalysen ein.»
Die gemäss Sachplan bei der Standortwahl zu berücksichtigenden Kriterien sind folgende:
Gemäss Sachplan ist das Ensi beauftragt, zum Vorschlag der Nagra einen Sicherheitsbericht zu erstellen [3] :
„Das ENSI hat analog zu Etappe 1 SGT den Auftrag, den Einengungsvorschlag hinsichtlich Sicherheit und bautechnischer Machbarkeit zu prüfen und ein Gutachten zum Resultat der Prüfung zu veröffentlichen. Dieses dient dem Bundesrat als Grundlage für seinen Entscheid zur Etappe 2 SGT. Neben dem Einengungsvorschlag erarbeitet die Nagra auch ein Explorationskonzept für die in Etappe 3 SGT weiter zu untersuchende Standortgebiete, welches Bestandteil der einzureichenden Unterlagen zu Etappe 2 SGT ist. Das ENSI prüft dieses Explorationskonzept und hält das Resultat im Gutachten fest.“
Der Sicherheitsbericht des Ensi liegt nun also vor.
Sicherheitstechnisches Gutachten des Ensi
Logischerweise hat das Gutachten des Ensi die Aussagen des Antrags der Nagra in Anlehnung an alle im Sachplan aufgezählten Auswahlkriterien zu berücksichtigen. Aber tut es dies auch?
Das Inhaltsverzeichnis des Gutachtens nennt folgende Hauptkapitel:
- Einleitung
- Beurteilung wichtiger Grundlagen für die Einengung der Wirtgesteine und
- Standortgebiete
- Charakterisierung und Konzeptualisierung der Wirt- und Rahmengesteine
- Methodik für die Auswahl von mindestens zwei Standortgebieten in Etappe 2 SGT
- Abgrenzung optimierter Lagerperimeter – Beurteilung und Bewertung
- Platzierung der Oberflächenanlagen in den Standortgebieten Zürich Nordost, Jura Ost und Nördlich Lägern
- Beurteilung des Standortuntersuchungskonzepts für Etappe 3 SGT
- Glossar & Abkürzungsverzeichnis
- Referenzen
Der Vergleich zwischen diesem Inhaltsverzeichnis und der oben aufgeführten Liste der Auswahlkriterien zeigt, dass der Sicherheitsbericht des Ensi offensichtlich einer andern Logik folgt. Die Sachplan-Kriterien sind im Ensi-Gutachten zwar sehr wohl aufgeführt, nämlich in der Form der bereits durch die Nagra verwendeten Bewertungsmatrizen. Eine genauere Prüfung zeigt allerdings, dass die einzelnen Kriterien in der Analyse des Nagra-Antrags in sehr unterschiedlicher Tiefe behandelt werden. Das Ensi hat in seinem Gutachten offensichtlich „Prioritäten gesetzt“, wobei gewisse für die Sicherheit eines Tiefenlagers wichtige Kriterien bloss approximativ begutachtet wurden. Wir möchten dies hier am Beispiel des Kriteriums „2.4. Nutzungskonflikte“ darlegen[4].
Das Kriterium „2.4. Nutzungskonflikte“ im Rahmen des Ensi-Gutachtens
Das Standort Kriterium „Nutzungskonflikte ist im Sachplan wie folgt formuliert (Tabelle A1-8):
Kriterium |
2.4 Nutzungskonflikte
|
Zu beurteilende Aspekte | Beurteilt werden die nutzungswürdigen Rohstoffe und die sich daraus allfällig ergebenden Nutzungskonflikte. Insbesondere wird beurteilt, ob im oder unterhalb des Wirtgesteins bzw. des einschlusswirksamen Gebirgsbereiches aus heutiger Sicht wirtschaftlich nutzungswürdige Rohstoffe (z. B. Salz, Kohlenwasserstoffe, Geothermie, Mineralquellen und Thermen) im besonderen Mass vorkommen. Beurteilt wird ferner, ob die Erschliessung und Nutzung der Rohstoffe die Barrierenwirkung des Wirtgesteins beeinträchtigen (Schichtverletzung) oder das Lager direkt treffen könnte. |
Relevanz für die Sicherheit | Günstig ist, wenn keine Rohstoffe, deren Nutzung die Barrierenwirkung des Wirtgesteins signifikant beeinträchtigen würde, in besonderem Masse innerhalb des Standortgebietes vorkommen. „ |
Die Beurteilung des Ensi (S. 193-194) zum Standortvorschlag der Nagra (Standorte Bözberg und Zürcher Weinland) lautet dazu wie folgt:
„Das Kriterium 2.4 «Nutzungskonflikte» setzt sich aus fünf Indikatoren zusammen.
Die Bewertungen des ENSI für die Indikatoren 33 «Rohstoffvorkommen innerhalb des Wirtgesteins», 34 «Rohstoffvorkommen unterhalb des Wirtgesteins», 35 «Rohstoffvorkommen oberhalb des Wirtgesteins» und 36 «Mineral- und Thermalwassernutzung» stimmen mit den Bewertungen der Nagra überein.
In Abweichung zur Nagra bewertet das ENSI den Indikator 37 «Geothermie und weitere energiebezogene Nutzungen des Untergrunds» für die beiden Lagerperimeter SMA-JS-OPA und SMA-JS-EFF wegen der in den Bohrungen Gösgen und Oftringen beobachteten positiven Wärmeanomalie mit «bedingt günstig».
Fazit: Für das Kriterium 2.4 «Nutzungskonflikte» stimmt die Bewertung des ENSI mit wenigen Ausnahmen mit derjenigen der Nagra überein. Für die Lagerperimeter SMA-JS-OPA und SMA-JS-EFF kommt das ENSI zu einer schlechteren Bewertung des Kriteriums (Tabelle 13). Nach Ansicht des ENSI sind die Anforderungen und Bewertungsskalen für die aufgeführten Nutzungskonflikte für Etappe 2 SGT stufengerecht. Nach Art. 70 KEV ist der Schutzbereich eines geologischen Tiefenlagers auf der Grundlage des zur Bewilligung des Projekts vorgelegten Berichts zur Langzeitsicherheit festzulegen. Die Nagra muss die dazu erforderlichen Grundlagen in Etappe 3 SGT für die gewählten Standortgebiete der Tiefenlager erarbeiten. Der Schutzbereich umfasst den gesamten Raum im Untergrund, in dem Eingriffe die Sicherheit des Tiefenlagers beeinträchtigen könnten.“
Und das wär’s dann! Nicht ganz eine halbe Seite Beurteilung, mit einer einzigen Begründung, nämlich jener, welche sich auf die geothermischen Verhältnisse in den Bohrungen von Gösgen und Oftringen bezieht. Vor allem die Klärung der beiden Indikatoren 34 «Rohstoffvorkommen unterhalb des Wirtgesteins» und 36 «Mineral- und Thermalwassernutzung» würde verlangen, dass vertiefte Abklärungen mit Hilfe von Nadelstichen (Bohrungen) vermehrte Klarheit über die tatsächlichen Verhältnisse im tiefen und sehr tiefen Untergrund gäben. Insbesondere im und um den Permokarbontrog.
Damit stellt sich das Ensi in Widerspruch zu Aussagen der Nagra, welche in ihrem Bericht zur Standortwahl (NTB 14-01) schreibt[5]:
„Für die Beurteilung der Langzeitsicherheit und für den sicherheitstechnischen Vergleich der Standortgebiete in Etappe 3 SGT haben die erdwissenschaftlichen Untersuchungen zum Ziel, Informationen bezüglich folgender Aspekte weiter zu vertiefen bzw. zu erheben:
. . . . .
- Rohstoffvorkommen im Zusammenhang mit den Permokarbontrögen und ihren Rändern und mögliche Nutzungskonflikte (Kohlenwasserstoffe, Geothermie).“
Aber auch die Nagra widerspricht sich selbst. Es lässt sich an diesem Beispiel schön aufzeigen, wie die Abklärungen im Sachplan jeweils abgeändert werden, wenn dazu Bedarf besteht, wie etwa diesen Frühling, als die Genossenschaft ihre Gesuche für geologische Tiefbohrungen in den Standortregionen Bözberg und Zürcher Weinland einreichte[6]: Hier schlägt die Nagra vor, im Umkreis der Standorte Sondierbohrungen abzusenken. Für bis je 8 Sondierbohrungen liegen Gesuche vor. Die Standorte wurden allerdings vor der Auswertung der neuesten 3D-Seismikdaten, also ohne gesicherte Indikation festgelegt. Sie sollen bis zu 2’000 Meter Tiefe erreichen. Sie werden also die im Rahmen der Etappen 1 und 2 identifizierten Probleme, wie etwa mögliche Abscherungen im Wirtsgestein Opalinuston, oder die ganze Ressourcenproblematik im Permokarbon-Trog nicht lösen. Die Widerspüche sind bei den Abklärungen zum Permokarbon-Trog frappant: was unter dem Wirtgestein Opalinuston liegt, interessiert nicht mehr speziell; wie die Trogränder beschaffen sind und wie die hydrogeologischen Verhältnisse sind, auch nicht, und wie die Geometrie, Tiefe und die strukturellen Eigenheiten sind, schon gar nicht. Was im Bericht NTB 14-01 noch gross angekündigt wurde, wird nicht gelebt.
Kurz: Bohrungen, welche die gestellten Fragen nicht oder bestenfalls so beantworten, wie wir dies in unserem Blog-Beitrag „Bohrungen für die Füchs“ vom 13 März 2017 bereits darlegten.
D.h. (das heisst) im Klartext
Einmal mehr ist festzustellen, dass der Sachplan und die an ihm beteiligten Institutionen (Nagra, Ensi, BFE) den hohen Erwartungen an die langfristige nukleare Sicherheit nicht entsprechen:
Der Sachplan und ihre Vollstrecker lassen den heutigen ungeordneten Ablauf zu:
- Bohrstandorte werden vor Vorliegen der 3D-Seismik festgelegt.
- Bohrgesuche werden vor der Publikation des Sicherheitsberichtes des Ensi eingegeben.
- Der Gesuchsteller Nagra legt Bohrgesuche vor, welche seinen eigenen Vorstellungen, z.B. zur Abklärung der Nutzungskonflikte, widersprechen.
- Die Sicherheitsbehörde Ensi lässt einen solchen Prozess zu, veröffentlicht ein unvollständiges Gutachten, das nur einzelne ausgewählte Standortkriterien fachlich analysiert und beurteilt, nicht aber die Gesamtheit der Standortkriterien.
- Bohrgesuche werden vom BFE als administrativer Akt zugelassen, welche aber die im Sachplan selber definierten offenen Fragen nicht oder nur teilweise beantworten.
- Das Ensi stellt unklare Forderungen auf, was die weitere Standortuntersuchung im Rahmen der Etappe 3 des Sachplans betrifft.
- Das BFE als prozessführendes und koordinierendes Amt nimmt die ihm zugedachte Rolle als Pilot und kompetentes Leitungsorgan des Verfahrens weiterhin nicht wahr.
Der bisherige Ablauf des Sachplans weist eine Vielzahl gravierender Mängel auf. Was sich im bisherigen Verlauf zeigte, ist, dass sich die verantwortlichen Institutionen der Stromwirtschaft (Nagra) und des Bundes (BFE, ENSI, aber zunehmend auch KNS) schwer tun mit der Umsetzung einer Sicherheitskultur. Es geht ihnen nicht primär um die Durchführung und Gewährleistung eines offenen Standortwahlprozesses, sondern um ein administratives Verfahren, welches am Ende des Verfahrens dem Antragsteller „Stromwirtschaft“ eine Rahmenbewilligung für den oder die gewählten Standorte erteilen will. Deshalb weichen die Schlüsselinstitutionen immer wieder den unangenehmen Fragestellungen aus. Jedes Mal wiederholt sich dann das gleiche Interventionsmuster: Kantone (früher auch die KNS), externe Expertengremien, Regionen und regionale Vereine stellen sich quer, bis die zwingend erforderlichen Arbeiten und Korrekturen nachgeholt werden. Die Folge sind nicht nur grosse Verluste an Zeit und Akzeptanz. Ein solches planerisches Vorgehen deckt auch die grundsätzlichen Defizite in den Strukturen auf, die seit Jahrzehnten in diesem Programm bestehen. Strukturen und Prozesse also, die dringend zu reformieren wären.
[1] Bundesamt für Energie (2008): Sachplan geologische Tiefenlager, Konzeptteil, 2. April 2008.
[2] NTB 14-01 SGT Etappe 2: Vorschlag weiter zu untersuchender geologischer Standortgebiete mit zugehörigen Standortarealen für die Oberflächenanlage: Sicherheitstechnischer Bericht zu SGT-Etappe 2.
[3] Ensi 2017 : Sicherheitstechnisches Gutachten zum Vorschlag der in Etappe 3 SGT weiter zu untersuchenden geologischen Standortgebiete, Sachplan geologische Tiefenlager Etappe 2. Ensi 33/540, 300 S.
[4] Weitere Lücken im Ensi-Gutachten werden in kommenden Blog-Beiträgen behandelt.
[5] NAB 14-83: Konzepte für die Standortuntersuchungen der Etappe 3, Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, Nagra Arbeitsbericht, Wettingen, 2014.
[6] Faktenblätter «Beschreibung Bohrplatz und Ziel der Sondierbohrungen – Zürich Nordost» Faktenblätter «Beschreibung Bohrplatz und Ziel der Sondierbohrungen – Jura Ost»
Dipl Physiker Reiner Szepan
Hallo,
ich traue den geologischen Tiefennlagern begründet nicht.
Deshalb möche ich das oberirdische Endlager anregen. Massive oberirdische Bunkler sind aus der Normandie mit den ehemaligen U-Boot bekannt, ferner können die ggf, wie Thernobly, überbaut werden. Die hier lagernden Castoren sind mit Stickstoff gefüllt, was ihre Dichtigkeit jederzeit überprüfen und ggf wie etwa eine russischen Puppe einschließen lässt. Ferner muß die erforderliche Vorsorge als Generationenvertrag in die Verfassung.