Stellungnahme Teil 1
Download: Vernehmlassung Etappe 2 Sachplan V3
Einleitung
Am 23. November 2017 startete der Bundesrat die Vernehmlassung zu den Ergebnissen der Etappe 2 der Standortsuche für geologische Tiefenlager. Im Rahmen der Vernehmlassung haben Kantone, politische Parteien, Organisationen, die Bevölkerung sowie Nachbarstaaten die Möglichkeit, zum Projekt der NAGRA Stellung zu nehmen. Das ENSI[1] fasst die Ergebnisse aus dieser Etappe wie folgt zusammen:
“Der Ergebnisbericht zu Etappe 2 beschreibt die wesentlichen Arbeiten, die in Etappe 2 durchgeführt wurden. Weiter enthält er verbindliche Festlegungen sowie die Objektblätter zu allen sechs Standorten.
Die wichtigsten Festlegungen des Ergebnisberichts:
- In Etappe 3 des Standortauswahlverfahrens für ein geologisches Tiefenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle (SMA) sowie für hochradioaktive Abfälle (HAA) werden die geologischen Standortgebiete Jura Ost (Kanton Aargau), Nördlich Lägern (Kantone Aargau und Zürich) sowie Zürich Nordost (Kantone Thurgau und Zürich) vertieft untersucht. In Etappe 3 muss die NAGRA die Vor- und Nachteile eines Kombilagers (mit zwei räumlich getrennten Lagern für beide Abfallkategorien am gleichen Standort) prüfen und darlegen.
- Als Standortareale für die Oberflächenanlage werden in den geologischen Standortgebieten, welche in Etappe 3 weiter untersucht werden, JO-3+ (Jura Ost, Gemeinde Villigen), NL-2 oder NL‑6 (Nördlich Lägern, Gemeinden Weiach bzw. Stadel) sowie ZNO-6b (Zürich Nordost, Gemeinden Marthalen und Rheinau) festgelegt.
- Die drei übrigen Standortgebiete Jura-Südfuss (Kantone Aargau und Solothurn), Südranden (Kanton Schaffhausen) und Wellenberg (Kantone Nidwalden und Obwalden) werden in Etappe 3 nicht weiter untersucht. Sie verbleiben jedoch bis zur Erteilung der Rahmenbewilligung als Reserveoptionen für ein Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle im Sachplan.
- Der Schutz der geologischen Standortgebiete wird beibehalten (z. B. zulässige Tiefe von Bohrungen im Bereich der Standortgebiete).
- In Etappe 3 werden die Standortregionen räumlich und die Regionalkonferenzen organisatorisch und strukturell angepasst. Die Standortregionen setzen sich zusammen aus «Infrastrukturgemeinden» und aus «weiteren einzubeziehenden Gemeinden».”
Die Blog-Autoren haben sich schon verschiedentlich zu Fragen der Standortwahl im Rahmen des „Sachplan(s) geologische Tiefenlager“ geäussert[2]. Hier fassen wir unsere Befunde im Rahmen der Vernehmlassung zusammen. Dabei berücksichtigen wir auch die Stellungnahmen der „Kommission für nukleare Sicherheit“ (KNS)[3], des „Ausschusses der Kantone“ (Adk) und dessen „Arbeitsgruppe Sicherheit Kantone/Kantonale Expertengruppe Sicherheit“ (AG SiKa/KES). Aus Gründen der Übersichtlichkeit verweisen wir bei eigenen Aussagen aus früheren Blog-Beiträgen nicht immer im Detail auf diese (wir bitten um Nachsicht!).
Stellungnahme
Vorschlag von drei möglichen Lagerstandorten
in Etappe 2
Kommentar: In ihrer intern gedachten Aktennotiz AN11-711 schlug die NAGRA im Jahr 2012 einen abgekürzten Weg vor, um die beiden Standorte Jura Ost (Bözberg) und Zürich Ost (Zürcher Weinland) im Schnellverfahren als Standorte für geologische Tiefenlager vorzuschlagen. Dies tat sie auch als „Resultat“ der Etappe 2 des Sachplanverfahrens. Zur „Ehrrettung“ des Sachplanverfahrens als ehrliches, wissenschaftlich geführtes Verfahren, drangen die Kantone und das im Schlepptau der Kantone agierende ENSI darauf, das magere Angebot der NAGRA um einen weiteren Standort anzureichern. Und so wurde der Standort Lägern-Nord schlussendlich auch wieder in die Auswahl in Etappe 3 eingefügt. Dies ist sicher nicht das, was unter guter Planung verstanden werden kann. Dazu ist nichts hinzu zu fügen.
Methodik für die Auswahl der Standortgebiete in Etappe 3 SGT
Kommentar: In Etappe 3 des Sachplans werden derjenige oder diejenigen Lagerstandorte festgelegt, für welche schlussendlich ein Rahmenbewilligungsgesuch für die Erstellung eines geologischen Tiefenlagers eingegeben werden soll. Die KNS fordert vor der Festlegung der zusätzlich durchzuführenden Untersuchungen, dass die Methodik der Festlegung und die hierzu notwendigen Vorgaben präzisiert werden. Mit diesen Experten erachten wir, dass die durch die NAGRA vorgeschlagene Methodik zur Festlegung des oder der Lagerstandorte nicht hinreichend genau formuliert ist.
Eine grundsätzliche Lücke im Verfahren wird allerdings weder durch die KNS, noch durch die Arbeitsgruppe Sicherheit der Kantone AG Sika/KES genannt: Es geht um die Frage, ob sich unter den drei vorgeschlagenen Standorten wirklich mindestens einer findet, der den Sicherheitsansprüchen an ein geologisches Tiefenlager eine Zeitdauer von 1 Million Jahren wirklich genügt. Es soll in Etappe 3 SGT nicht nur darum gehen, den günstigsten, bzw. den am wenigsten ungünstigen unter den drei vorgeschlagenen Standorten zu finden. Wichtiger ist die Frage, ob der Standort (die Standorte) nun wirklich auch geeignet ist (sind) um die geforderte Langzeitgarantie zu bieten. Konkret ist auch denkbar, dass keiner der drei Standorte wirklich geeignet ist. Dies gehört zu einem wissenschaftlich korrekten, Ergebnis offenen Verfahren.
Ergänzend dazu steht auch die Frage im Raum, ob allenfalls ein Standort für ein Lager mit kürzerer Lagerdauer genügen könnte, d.h. für ausgewählte Kategorien schwach und mittel radioaktiver Abfälle mit kürzeren radioaktiven Abklingzeiten.
Weiter fehlt in den Berichten der NAGRA zu Etappe 2 des Sachplans ein Vergleich mit ausländischen Lagerprojekten, welche einen Vergleich der möglichen und anderswo erreichten Lagersicherheit erlauben würde. Mit einem solchen Vergleich sollte garantiert werden, dass nur Projekte weiter verfolgt werden, welche sich auf dem höchstmöglichen Sicherheitsniveau bewegen.
Empfehlungen: Vor Beginn der Etappe 3 SGT erachten wir insbesondere folgende Präzisierungen für unumgänglich:
- Formulierung von Ausschlusskriterien („Killer“-Kriterien), welche einen Standort definitiv aus der Auswahl ausschliessen, sowohl für ein Lager mit hoch radioaktiven und „langlebigen“, als auch für ein Lager mit „kurzlebigen“ Abfällen.
- Definition der Abfolge der Untersuchungsschritte, von der Interpretation der 3D-Seismik, über die Formulierung der ergänzenden Sondierbohrungen, etc.
Sodann, im Rahmen der Etappe 3:
- Untersuchung des Permokarbontroges: sedimentologischer Inhalt, Entstehungsgeschichte und Geometrie, Aktivität, Vorkommen von Kohlewasserstoffen und Erzen, Geothermie usw.
- Vertiefte hydrogeologische Untersuchungen zur Bestimmung des lokalen und regionalen Grundwasserflusses an den drei Standorten.
- Sodann muss klar festgelegt werden, wie weit die weiteren Untersuchungen und Entwicklungen abgeschlossen sein müssen (Anpassungen des Lagerkonzepts), und auf welche Weise diese Resultate in den Auswahlprozess einbezogen werden.
- Kompilation der Lagerprojekte im Ausland, namentlich in Europa und Vergleich mit dem Entsorgungsprojekt und den vorgeschlagenen Standorten in der Schweiz.
Lagerkonzept
Kommentar zur Konditionierung der zu lagernden radioaktiven Abfälle: Das Inventar der schwach und insbesondere der mittel radioaktiven Abfällen enthält noch immer Abfälle mit bedeutenden Anteilen an organischen Stoffen (z.B. Ionentauscher-Harze). Diese Abfälle können sich nach einer Infizierung in einem geologischen Tiefenlager Gas freisetzen. Dieses Gas kann als Vektor für den Transport von radioaktiven Stoffen in die Biosphäre wirken.
Empfehlung: Lagerkonzept und –projekt haben die thermische Behandlung (oder Nachbehandlung) aller radioaktiver Abfälle vorzusehen, welche mehr als 5% organische Stoffe enthalten.
Kommentar zur Dimensionierung der Untertageanlagen und der Abfallgebinde: In ihrem Lagerprojekt im Opalinuston operiert die NAGRA noch immer mit Kavernengrössen, wie sie zur Zeit von „Projekt Gewähr“ (ab 1978) in kristallinen Gesteinen geplant wurden. Diese Anlagengrössen, ebenso wie die dabei vorgesehenen grossen Abfallgebinde sind im Wirtsgestein Opalinuston nicht angebracht. Es ist daher erforderlich, dass Lagerkavernen mit kleineren Durchmessern und dementsprechend kleinere und leichtere Abfallbehälter verwendet werden. Dadurch verbessert sich die Standfestigkeit der Anlagen. Ausserdem können die technischen Einbauten kleiner gehalten werden, und die eventuelle Rückholung kann erleichtert werden.[4]
Das Lagerkonzept sollte aber auch grundlegend überprüft werden. Die KNS (und ihr damals angehörender Blog-Autor) empfahlen im Jahr 2010 „die Überprüfung der Lagerkonzepte im Hinblick auf die lagerbedingten Einflüsse, die minimale Verletzung der Wirtgesteine und die mögliche Tieferlegung des HAA-Lagers“ gemäss EKRA-Konzept.[5] Die Empfehlung wurde in der Stellungnahme der KNS im Juni 2011 wiederholt. Die NAGRA ist der Empfehlung nicht im erforderlichen Ausmass gefolgt. Auch das ENSI hat eine Auslegung von grundlegend anderen Lagerkonzeptionen bisher nicht verlangt.
Aus oben erwähnten Gründen stellen kleiner dimensionierte Behälter als die aktuell von der NAGRA vorgesehenen Gebinde eine plausible Variante. Allerdings stellt sich die Frage, was dies bedeutet im Hinblick auf die Konditionierung und für potentielle Emissionen/Immissionen? Welche Möglichkeiten ergeben sich aus den Abänderungen für die Lagerkonzeptionen und die Tiefe des Lagers? Was bedeuten kleinere Gebinde für Ausbruchs-, Platzierungs- und Rückholtechniken? Wie verändert sich der Platzbedarf und welche Konsequenzen ergeben sich für die Planung, den Bau, den Betrieb und Verschluss einer solchen Anlage? Und schliesslich: was für Folgen hätten andere Konzeptionen auf die Kosten der Errichtung des Tiefenlagers, im Vergleich zum heutigen NAGRA-Konzept? Oder anders formuliert: was kostet Langzeitsicherheit wirklich?
Empfehlung: Wir empfehlen alle relevanten Aspekte einer Redimensionerung der Lageranlagen und der Lagerbehälter im Hinblick auf die Lagerung im Opalinuston zu prüfen und im Projekt eine entsprechende Optimierung vorzunehmen.
Kommentar zur Frage der für die Lagerbehälter verwendeten Materialien: Seit dem „Projekt Gewähr“ plant die NAGRA die Verwendung von Stahlkanistern zur Verpackung der hoch radioaktiven Abfälle. Finden sich diese im geologischen Tiefenlager in Kontakt mit Grundwasser, so kann es zur Korrosion (Oxydation) der Kanister kommen, wobei durch Katalyse oder Radiolyse gebildetes Gas freigesetzt werden kann, v.a. Wasserstoff. Katalyse kann verzögert werden, indem die Stahlkanister beispielsweise durch einen Kupfermantel umgeben werden. Dies ist eine der alternativen Varianten, welche durch die NAGRA in ihrem Bericht genannt wird. Allerdings bietet auch Kupfer bei basischen geochemischen Verhältnissen nicht optimale Resistenz gegen Korrosion.
Nicht metallische Materialien kennen diese Nachteile nicht. V.a. zwei Varianten wurden bis anhin in Betracht gezogen:
- Synroc ist künstliches Gestein; die Radioisotope werden in den Mineralien eingeschlossen. Sie können allenfalls durch Auflösung im Grundwasser freigesetzt werden. Dies ist allerdings ein sehr langsamer Prozess, sodass die Biosphäre kaum gefährdet werden könnte. Kritisch ist allenfalls die Freisetzung über Spalten im Kristallgefüge. Synroc ist industriell nicht zur Reife gelangt, sondern einzig im Labor in kleinem Massstab getestet worden.
- Keramik ist ein Werkstoff, der industriell produziert und vielerorts eingesetzt wird. So entwickelte die Automobilindustrie etwa Motorblöcke aus Keramik. Diese haben den Vorteil, dass sie aufgrund der isolierenden Eigenschaften weniger Energie verlieren, als metallische Blöcke. Keramik wird durch die Industrie aktiv als Material zur Fertigung von Kanistern für radioaktive Abfälle entwickelt. Industrielle Produkte wurden auch schon in der Schweiz evaluiert, sind aber namentlich deshalb wieder ausgeschieden, weil Keramik ein sprödes Verhalten aufweist und folglich Gebirgsdruck eventuell nicht widerstehen würde. Inwiefern dieses Argument bei einer Stollenverfüllung mit Bentonit oder Zement stichhaltig ist, wurde unseres Wissens nicht untersucht.
Angesichts der Gasprobleme in einem Tiefenlager wie auch der Langzeitsicherheit ist eine starke Ausweitung der Forschung im Bereich alternativer Werkstoffe für die Konditionierung und Verpackung von Abfällen unerlässlich.
Empfehlung: Wir empfehlen für die Lagerbehälter die Verwendung anderer Materialien als Stahl ernsthaft zu prüfen und zu fördern. Durch die Wahl anderer Materialien soll namentlich die Gasbildung im Lager verhindert werden.
Kommentar zur Frage der Verfüllung der Lagerstollen: Bis anhin wurde einer Verfüllung der Lagerstollen mit Bentonit die Priorität gegeben. ENSI und die KNS schlagen nun vor, in Etappe 3 SGT die Auswirkungen einer zementbasierten Verfüllung der HAA-Lagerstollen für Bau, Betrieb und Langzeitsicherheit vertieft zu untersuchen. „Im Hinblick auf eine Minimierung der Gasbildung könnte eine zementbasierte Verfüllung der Lagerstollen für abgebrannte Brennelemente (BE) wegen der zu erwartenden kleinen Korrosionsrate für Stahl und der fehlenden bzw. sehr geringen mikrobiellen Aktivität allenfalls eine interessante Alternative zur Bentonitverfüllung darstellen. Um dies abschliessend beurteilen zu können, sind aber noch weitere Untersuchungen notwendig.“
Die Fragestellung ist allerdings heikel. Auch Zementmörtel hat seine Tücken, wenn er in ein besser formbares („plastisch“ dehnbares) Gestein eingebracht wird. Die Verfüllung mit Zementmörtel sollte nicht allein unter geochemischen, sondern genauso unter geomechanischen Gesichtspunkten gesamthaft betrachtet werden. Hier ist noch viel grundsätzliche konzeptionelle und experimentelle Arbeit erforderlich.
Empfehlung: Wir empfehlen, die Frage der Verfüllung der Stollen auf breiter Basis neu zu prüfen und andere Verfüllmaterialien, wie etwa Zementmörtel in die Prüfung einzubeziehen. Dabei ist sowohl geochemischen, als auch geomechanischen Aspekten Rechnung zu tragen.
Fortsetzung folgt!
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